"Toll." Mehr sagt Tobias nicht. Der 13-jährige saß genauso mucksmäuschenstill auf seinem Platz wie die übrigen 60 Schülerinnen und Schüler der achten und neunten Klassen der Mittelschule Gaukönigshofen, vor denen sich mit dem Theaterstück "Krass - Hauptsache radikal" ziemlich krasse Szenen in der Turnhalle abgespielt haben. Entwickelt hat das mobile Impulstheaterstück das Junge Theater Augsburg. Laut Jürgen Schwab von der kommunalen Jugendarbeit des Landkreises Würzburg wird die Aufführung durch das "Interkommunale PräventionsNetzwerk Radikalisierung" gefördert.
Die Akteure Kristina Altenhöfer, Jonathan Held, Rami Ali und Sophie Te (Sprechgesang) ziehen mit ihren Texten und den Originaltönen von Betroffenen die Jugendlichen leicht in ihren Bann. Das gesteigerte Interesse am Krass-Sein, das im Mittelpunkt der Handlung steht, zeigt den Zuschauern auf eindrucksvolle Weise, mit welchen Versprechungen zum Teil noch minderjährige Jugendliche in den Islamischen Staat (IS) gelockt werden. "Da darftst du vier Frauen heiraten." "Und wenn ich sterbe?" "Dann warten im Himmel 72 Jungfrauen auf dich." Krass.
Nur wenige Requisiten
Die Akteure, die für die unter die Haut gehende Vorstellung nichts weiter benötigen als eine Turnmatte, einen zerlegbaren Kasten und schwarze Tücher, schlüpfen mühelos von einer Rolle in die andere. Sie zeigen wie "Sarah", ein ganz normales junges Mädchen, das viel zu viel trinkt, sich ins Koma säuft und sich dann auf die Suche nach Gott macht. Sie beginnt sich für den Islam zu interessieren und landet letztendlich als Dschihad Girl in Syrien. Krass.
Ein junger Syrer, der in seiner von Bomben zerstörten Heimatstadt alles verloren hat, macht sich auf den Weg nach Deutschland. Hier hat sich die unglückliche Tochter aus gutem Hause mit zwei ihrer Kumpels den Neonazis angeschlossen. Nach der Devise "Deutschland den Deutschen" finden die drei von ihrer Lebensituation enttäuschten Jugendlichen ihr "irre gutes Gefühl" und ihren Spaß im Zerstören und im Zuschlagen. Ihr Opfer wird der junge Syrer. In seinem Heimatland wollte er nicht töten. Drei Monate war er auf der Flucht in ein vermeintlich sicheres Land und in ein besseres Leben. Nach drei Tagen in Deutschland ist er tot. Getötet von dem gewaltbereiten Trio. Krass.
Das Ende sorgt für Gänsehaut
Das Ende der von Wini Gropper inszenierten Aufführung löst unter dem jugendlichen Publikum Entsetzen und Gänsehaut aus. Die gewalttätigen Neonazis landen am Ende ebenso im Gefängnis wie die radikalisierten IS-Anhänger. Deren Erkenntnis: "Dreieinhalb Jahre Gefängnis in Deutschland sind besser als die Freiheit in Syrien." Krass.
Wie Jürgen Schwab vom Amt für Jugend und Familie am Würzburger Landratsamt erläutert, hat sich das "Interkommunale PräventionsNetzwerk Radikalisierung" im Mai 2017 aus verschiedenen Jugendhilfe-Trägern zusammengeschlossen, um vor allem einer islamistisch geprägten Radikalisierung entgegenzutreten und vorzubeugen.
Mit Veranstaltungen an Schulen will das Netzwerk informieren und sensibilisieren. "Das geht mit dem Theaterstück viel besser als wenn ich den Schülern eine Stunde lang etwas erzähle", sagt Schwab. Das Stück spreche das Thema sehr direkt an. "Es ist heftiger Tobak", so Schwab, "aber gerade so kommt es bei den Schülern an, anders als wenn man um den heißen Brei herumredet." In eineinhalbstündigen Workshops konnten sich die Schüler nach der Aufführung eingehender mit dem Thema Radikalisierung und seinen Hintergründen beschäftigen.