In Nürnberg spricht man bereits von einer Jahrtausend-Entscheidung: Nach einem Beschluss des bayerischen Kabinetts soll die Stadt tatsächlich eine eigenständige Universität mit 5000 bis 6000 Studenten bekommen. Entstehen soll ein Technologie-Campus auf dem Gelände des früheren Südbahnhofes im Stadtteil Lichtenreuth.
Was Nürnberg freut, wirft an regional nahen Wissenschaftsstandorten wie Würzburg und Schweinfurt Fragen auf: Geht die Neugründung auf Kosten bestehender Hochschulen?
Ankauf des AEG-Areals geplatzt
Der Entscheidung für den Aufbau einer eigenen Uni vorausgegangen war ein jahrelanges politisches Tauziehen: Wie den Hochschulstandort Nürnberg stärken, ohne Erlangen zu schwächen? Historisch bedingt spielt die Musik unter dem Dach der gemeinsamen Friedrich-Alexander-Universität (FAU) im kleinen Erlangen. Dort lernt der Großteil der gut 40 000 Studenten, begleitet und verwoben mit Forschungsinitiativen von Siemens. In der fünfmal so großen Halbmillionenstadt Nürnberg verlieren sich dagegen nur die Wirtschafts- und Erziehungswissenschaftler.
Drei bayerische Minister hatten sich in den vergangenen Jahren darin versucht, Teile der technischen Fakultät aus Erlangen auf das ehemalige AEG-Gelände im Nürnberger Westen zu verlagern – so hatte es der Ministerrat noch im Jahr 2015 gewollt.
Doch Innenminister Joachim Herrmann (Erlangen), Finanzminister Markus Söder (Nürnberg) und Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle kamen auf keinen grünen Zweig. Der geplante millionenschwere Ankauf des AEG-Geländes war zu teuer und zerschlug sich. Das Areal sei nicht geeignet, hieß es offiziell. Und im Hintergrund machte sich der Siemens-Konzern für den Heimstandort Erlangen stark – und gegen eine Aufteilung der technischen Fakultät.
Neue Themenfelder für neue Uni
Schließlich erklärte Ministerpräsident Horst Seehofer den Fall zur Chefsache und bereitete dem Gerangel ein schnelles Ende: Erlangen behält seine technische Fakultät und baut sie in Zusammenarbeit mit Siemens aus. Die Lehrerbildung verbleibt in Nürnberg.
Und: Es wird eine neue Hochschule mit einem „Höchstmaß an Eigenständigkeit“ (Seehofer) in Nürnberg aufgebaut. Das Konzept dafür sollen FAU, die Technische Hochschule (TH) Nürnberg, die Stadt und die Siemens AG gemeinsam erarbeiten.
Die neue Universität im Nürnberger Süden soll eine technologische Ausrichtung bekommen und nicht in Konkurrenz zu Erlangen treten. Gedacht ist laut Kabinettsbeschluss an zukunftsträchtige Forschungsfelder wie Mobilität, Energie, Automatisierungstechnik, Robotik, Leistungselektronik oder IT-Sicherheit.
Eine 16-köpfige Struktur- und Expertenkommission unter Leitung des Münchner TU-Präsidenten Wolfgang Herrmann soll Genaueres definieren. Mindestens 100 neue Professorenstellen sind geplant, der Freistaat lässt sich die neue Universität einiges kosten.
Summen werden zwar nicht genannt. Seehofer sprach gegenüber dem Bayerischen Rundfunk aber von „mindestens dreistelligen Millionenbeträgen“, die bis 2030 fließen sollen.
Kooperation oder doch Verdrängung?
Da dürfte an anderen Hochschulen eine gewisse Nervosität nicht ausbleiben – nicht nur an der Technischen Hochschule (TH) Nürnberg mit ihren aktuell 13 000 Studenten und zwölf Fakultäten. Auch aus Würzburg verfolgt man die Entwicklung in Mittelfranken aufmerksam und kritisch.
Der CSU-Abgeordnete Oliver Jörg, stellvertretender Vorsitzender des Wissenschafts- und Kunstausschusses im Landtag, sieht die Neugründung in Nürnberg zwar als Chance für die gesamte bayerische Uni-Landschaft – wenn die Hochschulen kooperieren, sich vernetzen und international aufstellen.
Oliver Jörg (CSU): „Das muss etwas Additives sein“
Zu vermeiden sei aber eine Doppelung von Forschungs- und Lehrfeldern in regionaler Nähe. Dann könnte es zu Verschiebungen und zu einer Kannibalisierung kommen – auch zum Nachteil Würzburgs.
„In Nürnberg muss etwas Neues, Additives mit internationaler Strahlkraft entstehen“, fordert der Hochschulpolitiker. Er hat bei Wissenschaftsminister Spaenle angeregt, die fränkischen Hochschulpräsidenten in erste Schwerpunkt-Überlegungen für die neue Uni einzubinden.
Jörg kennt die Verteilungskämpfe um die Hochschulgelder des Freistaates. An die 400 Millionen Euro jährlich wurden zuletzt in Baumaßnahmen an staatlichen Hochschulen gesteckt – samt Uniklinika. Ein sechstes entsteht nach Versprechen von Ministerpräsident Horst Seehofer in Augsburg.
Weitere neue Hochschulstandorte
Ferner gründet der Freistaat kleinere dezentrale Hochschuleinrichtungen wie im niederbayerischen Pfarrkirchen oder in Straubing. Im oberfränkischen Kulmbach baut die Universität Bayreuth eine eigenständige Fakultät für Lebensmittel und Gesundheit für 1000 Studenten auf.
Forderung nach einem höheren Hochschul-Etat
Und jetzt noch eine neue, zehnte bayerische Universität in Nürnberg. Fehlen dann Mittel für andere Hochschulstandorte wie Würzburg oder Schweinfurt? CSU-Mann Jörg formuliert es diplomatisch: „Bei all den geplanten Vorhaben müssen die Investitionen in den kommenden Jahren zwingend nach oben angepasst werden. Dass dies nicht zulasten anderer Standorte gehen darf, versteht sich von selbst.“
Heißt: Der Freistaat muss seinen Hochschuletat besser ausstatten, sollen andere Unis nicht unter Neugründungen leiden.
Georg Rosenthal (SPD): „Mehr Aktivität in Würzburg“
Der Würzburger SPD-Abgeordnete und Ex-Oberbürgermeister Georg Rosenthal, ebenfalls Mitglied im Hochschulausschuss des Landtages, hält die Schaffung einer eigenen Universität für Nürnberg angesichts der Stadtgröße für nachvollziehbar. „Aber für Würzburg sehe ich das kritisch“, warnt er im Gespräch mit der Redaktion vor einem möglichen Abwerbewettbewerb bei der Besetzung von Lehrstühlen und einem drohenden Verlust von Studenten.
Würzburgs universitäre Schwäche sieht der Ex-OB im Fehlen einer technischen Fakultät. Deshalb müsse die Würzburger Hochschulleitung in die Offensive gehen. Rosenthal: „Ich wünsche mir von der hiesigen Uniführung mehr Aktivität, um diese Stärkung des nordbayerischen Raums auch für Würzburg nutzen zu können.“
Würzburgs Uni-Präsident gelassen
An der Spitze der Julius-Maximilians-Universität (JMU) in Würzburg nimmt man die Nürnberger Pläne unterdessen recht gelassen zur Kenntnis. Einbußen oder negative Veränderungen durch die neue Technische Universität befürchte er nicht, so JMU-Präsident Alfred Forchel gegenüber der Redaktion. Sein Hauptaugenmerk liege auf der Ansiedlung weiterer außeruniversitärer Forschungsinstitute und der Zusammenführung von Uni-Einrichtungen auf dem neuen Campus Nord am Hubland.
Statt drohender Konkurrenz durch den neuen Player sieht er in der regionalen Nähe und in der technischen Ausrichtung der Nürnberger Universität sogar eine Chance – nämlich eine „gute Basis für neue Kooperationsmöglichkeiten“.
Auch FHWS braucht mehr Mittel
Robert Grebner, frisch wiedergewählter Präsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) und promovierter Informatiker, geht rechnerisch an die Sache heran. Er erwartet einen Wettbewerbsschub durch die Nürnberger Neugründung: „Wenn der Freistaat festlegt, 6000 neue Studienplätze zu schaffen, dann müssen die 6000 Studierenden natürlich auch irgendwo herkommen.“
Insofern müssten alle Hochschulen in Bayern für ihre Attraktivität kämpfen. „Die lässt sich natürlich nicht aus dem Ärmel schütteln.“ Dafür brauche es innovative Ideen und Profilierung, „für deren Umsetzung aber auch Mittel hinterlegt werden müssen“, sagt er auf Anfrage der Redaktion.
Die FHWS selbst will 2000 neue Studienplätze in Schweinfurt und 1000 in Würzburg schaffen. Punkten will man mit einer Internationalisierungsstrategie und sogenannten Twin-Bachelorstudiengängen (identische Studiengänge in deutscher und englischer Sprache). Grebner: „Auch hierfür benötigen wir die politische Unterstützung sowie entsprechend Mittel.“
Ministerium: keine Verlagerungen
Im Münchner Wissenschaftsministerium versucht man mögliche Ängste bestehender Hochschulen zu zerstreuen. Es gehe keineswegs um eine Verlagerung vorhandener Kapazitäten zulasten anderer Hochschuleinrichtungen – im Gegenteil, so Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle: „Mit der Gründung der Universität Nürnberg stärken wir den Wissenschaftsraum im Norden des Freistaats enorm und verleihen der gesamten bayerischen Hochschullandschaft zusätzlichen Schub.“
Laut Ministeriumssprecher Andreas Ofenbeck ist vorgesehen, im Staatshaushalt zusätzliche Mittel für die neue Nürnberger Uni in die Hand zu nehmen. Das Versprechen aus München: „Die Finanzierung wird – wie schon im Fall des neuen Uniklinikums in Augsburg – nicht zulasten der bestehenden Einrichtungen gehen.“
Auf der anderen Seite: Ein paar Tausend weniger Studenten in Würzburg, wäre für den Wohnungsmarkt sicher keine schlechte Sache.