Kommerzieller Wettlauf rund um kleine Satelliten im All
Bei der Forschung an Nanosatelliten war Europa - auch die Uni Würzburg - immer vorne dabei. Nun hat die kommerzielle Nutzung der kleinen Würfel im All begonnen - ohne die Europäer.
Foto: Zentrum für Telematik, Würzburg
| Künftig sollen zehn Zentimeter große Kleinsatelliten im Weltraum nicht nur mit Stationen auf der Erde kommunizieren, sondern auch direkt untereinander Informationen austauschen.
Ralf Thees
| aktualisiert: 27.04.2023 00:18 Uhr
Kleinstsatelliten sind eine günstige Möglichkeit, um spannende Anwendungen aus einer Erdumlaufbahn zu realisieren. Die Idee ist einfach: Wenn ein herkömmlicher Satellit mit einer Rakete ins All gebracht wird, ist im Laderaum oft noch ein wenig Platz frei. Diese Lücken können für sehr kleine und leichte Satelliten genutzt werden.
Die Idee entstand Ende der 90er Jahre in den USA. Noch vor wenigen Jahren waren die etwa zehn Zentimeter großen Würfel – Pico- oder Nanosatelliten genannt – nur eine kostengünstige Möglichkeit für Hochschulen, an Satellitentechnik im Weltraum zu forschen.
Die Uni Würzburg war in Deutschland von Anfang mit dabei und baute den ersten deutschen Pico-Satelliten UWE-1. Am Lehrstuhl für Informatik betreibt Professor Klaus Schilling mit seinem Team Grundlagenforschung in dem Bereich, am Zentrum für Telematik in Würzburg werden Anwendungen für die Kleinstsatelliten entwickelt.
Rasantes Wachstum beim Geschäft im Nanosatelliten
Heute werden schon die ersten Nanosatelliten wirtschaftlich genutzt – eine Flotte von kleinen Satelliten umkreist bereits die Erde und macht Fotos, die verkauft werden. Bei der kommerziellen Verwendung der kleinen Satelliten wird Europa von den USA mittlerweile abgehängt.
Dort entstehen immer mehr Firmen, die Kleinstsatelliten produktiv einsetzen. „Es macht keinen Sinn, dass wir in Europa jahrelang die Technik entwickeln, und wenn die dann wirtschaftlich genutzt wird, sind wir plötzlich nicht mehr dabei“, sagt Klaus Schilling.
Bisher waren es immer die Raumfahrtagenturen, die Großaufträge an etablierte Firmen gegeben haben, so Schilling. Jetzt findet der Übergang ins kommerzielle Zeitalter statt.
Unternehmen schicken selbst Satelliten ins All, um Geschäfte zu machen. Firmen wie SpaceX oder Planet Labs wurden in den USA gegründet und sind auf Wachstumskurs. „SpaceX hatte vor kurzem nur etwa 40 Mitarbeiter im Satellitenbau, jetzt wollen sie um die 1000 Leute mehr einstellen“, erzählt Schilling. „Wir Europäer haben im Moment einen Vorsprung in der Forschung, aber das wird bei diesem Personalaufgebot der Amerikaner wohl nicht lange anhalten.“
Ein Geschäftsfeld, das mit den kleinen Satelliten im All abgedeckt werden soll, ist die Telekommunikation. Zwar kann man schon seit längerem eine Internetverbindung über Satelliten herstellen, doch die fliegen in einem geostationären Orbit in 36 000 Kilometern über der Erde.
Die Signale brauchen mit Lichtgeschwindigkeit eine Zehntelsekunde hin und wieder zurück. Das klingt schnell, aber für geplante Anwendungen wie die Steuerung von Industrieanlagen in Echtzeit ist das zu langsam. „Verzögerungszeiten dieser Größenordnung sind oft schon zu viel, das schafft bei der Regelungstechnik große Probleme“, erklärt Klaus Schilling.
Hier kommen die Kleinsatelliten ins Spiel. Statt wenigen teuren und großen Kommunikationssatelliten sollen viele kleine Satelliten eingesetzt werden. Die fliegen in etwa 600 Kilometern um die Erde, die Signale brauchen nur wenige Millisekunden. Damit werden kleine Satelliten für kommende vernetzte Industrien kommerziell interessant.
„Diese Nanosatelliten werden wohl die Netze stellen, um Industrien weltweit zu verbinden“, sagt Schilling. Fernwartung wird ein Thema sein – Deutschland exportiert viele Maschinen in die Welt. Man muss die Anlagen aber auch in Betrieb halten und warten.
Mit solchen Fernwartungen kann man die Maschine am Laufen halten, ohne einen Techniker für viel Geld hinzuschicken. Man lässt die Daten statt der Menschen reisen.
Erdbeobachtung rund um die Uhr
Foto: Planet Labs Inc, www.planet.com/gallery, CC-BY-SA
| Eine Bild der Escondida Mine in Chile, aufgenommen von einem 30x10x10 Zentimeter großen Satelliten der Firma Planet Labs aus einer Höhe zwischen 400 und 600 Kilometern.
Die neuen Satellitenfirmen steigen auch in die Erdbeobachtung ein. Das Unternehmen Planet Labs wurde Ende 2010 gegründet und hat schon über 100 Satelliten ins All gebracht, jeder etwa nur so groß wie ein Laib Brot.
Im Inneren der Geräte befinden sich Teleskope, die Aufnahmen von der Erdoberfläche mit einer Auflösung von drei bis fünf Metern machen. Damit kann man schon Autos oder Schiffe erkennen.
Herkömmliche Beobachtungssatelliten sind weiter weg, größer und mehrere hundert Millionen Euro teuer. Planet Labs baut seine Satelliten klein und billig – und davon viele. Permanent sollen 125 Satelliten im Orbit bleiben.
„Die machen alle zehn Minuten ein Bild der Erde. Ein großer Satellit macht ein Bild und braucht etwa einen Tag, bis er wieder an dieser Stelle ist“, sagt Klaus Schilling und berichtet von einem Beispiel, das er auf einer Konferenz gesehen hat: Eine Mine wurde von diesen Satelliten beobachtet und man konnte sehen, wie viele beladene Lkw gefahren sind. So weiß man zum Beispiel, wie viel Erz gefördert wird – interessant für die Konkurrenz.
„Da kann keiner was dagegen machen, solche Informationen werden auf den Markt kommen“, sagt Schilling. Man könne es auch positiv formulieren: Es wird alles transparenter sein. Doch der Informatik-Professor warnt auch, dass man beim Datenschutz aufpassen und regulieren muss. „Wenn wir das alles mit uns geschehen lassen, dann dürfen wir uns nicht wundern, was die Amerikaner alles über uns wissen“, so Schilling.
Doch der Platz für Erdbeobachtung in niedrigen Umlaufbahnen wird knapp werden. „Es ist zu befürchten, dass die guten Plätze im Orbit alle belegt sind, wenn die Europäer aufwachen und mitmachen wollen“, sagt Klaus Schilling.
Denn über welche Orte die Satelliten fliegen, wird allein durch ihre Flugbahn bestimmt. Und die Firmen wollen immer wieder über die gewünschten Orte fliegen, um vergleichbare Bilder machen zu können. Städte, so vermutet Schilling, sind für Beobachtungssatelliten wohl am interessantesten. „Ich kann mir vorstellen, alle wollen über New York fliegen, über Würzburg wird es wohl nicht so voll.“
Schilling sieht ein großes wirtschaftliches Potenzial in den Bildern aus dem Orbit. Wenn man aktuelle Bilder aus dem Orbit hat, können zum Beispiel Verkehrsstaus beinahe in Echtzeit erkannt werden.
Investoren sehen auch die Möglichkeiten, die in den kleinen Satelliten stecken. Planet Labs hat in kürzester Zeit 180 Millionen Dollar an Beteiligungskapital bekommen. Für ein herkömmliches Satellitenprogramm wäre das nicht viel Geld, aber im Markt der Kleinsatelliten sieht das anders aus. „Damit kann man mehrere hundert Nanosatelliten in den Himmel schicken und seine Mitarbeiter ein paar Jahre gut bezahlen“, so Schilling.
Der Informatiker glaubt aber, dass nicht viele Konsortien ein paar tausend Satelliten nach oben bringen. „Das machen zwei oder drei, dann ist der Raum dicht. Und wie es im Moment aussieht, kommen die alle nicht aus Europa.“
Aus Europa wurden bisher nur Ausbildungssatelliten von Hochschulen ins All gebracht, kommerziell genutzte Pico-Satelliten noch keine. „Man hat hier leider noch nicht wahrgenommen, was man mit den modernen Kleinstsatelliten alles machen kann“, bedauert Schilling.
UWE-4 - mit Elektroantrieb durchs All
Am Zentrum für Telematik entwickelt Klaus Schilling Anwendungen für Kleinstsatelliten. Er bedauert die langen Entscheidungswege der europäischen Wirtschaft und Politik: „Solange die etablierten Firmen ihre großen Satelliten verkaufen können, ist die Welt für sie doch in Ordnung. In Europa hat man kein Interesse, dass sich daran viel ändert. Aber so langsam verliert man die Märkte.“
In den vergangenen Jahren waren Europa und die USA im Bereich der Kleinsatelliten auf gleicher Höhe. Doch Schilling sieht die Situation seit Anfang diesen Jahres dramatisch kippen. „Die Märkte sind hochdynamisch, geworden, die werden jetzt im Moment besetzt und wir Europäer sind nicht dabei.“
Zumindest in der Forschung will Schilling die Nase vorne behalten. Im September fand an der Uni Würzburg der Pico-und-Nanosatelliten-Workshop PINA statt. Dort tauschten sich Forscher aus 13 Ländern über den Bau von Kleinsatelliten aus.
Ein Ziel ist die Entwicklung eines gemeinsamen technischen Standards. Damit könnten Kleinsatelliten einfach modular zusammengebaut werden. „Da nimmt man dann das Bauteil für die Datenübertragung aus der Türkei, die Platine für die Borddatenverarbeitung aus Würzburg und ein Messinstrument aus Italien – das steckt man zusammen und es passt“, erklärt Schilling. Die Zusammenarbeit würde dadurch leichter und kostengünstiger.
Foto: Informatik VII, Uni Würzburg
| Das Innenleben des Experimental-Nanosatelliten UWE-4 der Uni Würzburg, der Anfang 2016 in einen Erdorbit gebracht werden soll. In den Hohlräumen der Eckstützen befindet sich der Treibstoff für den kleinen Teilchenantrieb
Die Uni Würzburg hat ihren neuen Kleinsatelliten UWE-4 schon fast fertig gebaut und wartet auf einen günstigen Starttermin. UWE-4 hat einen Elektroantrieb, eine Neuheit bei den Kleinsatelliten, die bisher ohne die Möglichkeit zum Manövrieren auskommen müssen.
Dadurch sollen später vier Satelliten koordiniert als Schwarm im All agieren. Der Schwarm kommuniziert über Funksignale miteinander, um beispielsweise gemeinsam ihre Kameras auf einen Punkt auf der Erdoberfläche richten und ihn aus verschiedenen Perspektiven beobachten zu können.
„Bei vier Satelliten kann man dann zum ersten Mal im dreidimensionalen Raum optimale Plätze einnehmen und hochauflösende und dreidimensionale Bilder machen und das ergibt dann ganz neue Möglichkeiten“, sagt Schilling.
Neben der Zusammenarbeit und Koordination mit anderen Satelliten hat der Antrieb bei Kleinsatelliten einen weiteren Vorteil. Durch die Manövrierfähigkeit ist es möglich, UWE-4 am Ende seiner Betriebszeit gezielt in niedrigen Umlaufbahnen zu lenken und ihn gezielt abstürzen zu lassen. Er verglüht dann in der Erdatmosphäre.
Damit wird vermieden, noch mehr Weltraumschrott im Erdorbit anzusammeln. Die Nasa weiß von etwa 27.000 Objekte in der Umlaufbahn, die größer als zehn Zentimeter sind und als Weltraumschrott angesehen werden: ausgefallene Satelliten, ausgebrannte Raketenstufen, abgelöste Bauteile von Flugkörpern, Trümmer von Explosionen.
Durch ihre hohen Geschwindigkeiten können selbst diese kleinen Teile zu einem Problem für die Raumfahrt werden. „Die Internationale Raumstation muss jetzt schon ständig Ausweichmanöver fliegen“, so Schilling.
Beim Antrieb werden geladene Teilchen mit geringer Masse durch ein Magnetfeld auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt. Der daraus entstehende Schub ist zwar relativ schwach, aber er wirkt ständig und bewegt UWE-4 langsam durch den Weltraum.
Als Treibstoff wird Gallium verwendet. Das ist bei niedrigen Temperaturen fest und wird beim Start als Teil der Struktur von UWE-4 verwendet, um die Beschleunigung beim Start abzufangen. Im Orbit wird das Gallium verflüssigt und dient als Treibstoff – die starken Streben braucht der Satellit dann nicht mehr. „Man könnte sagen, UWE-4 frisst sich selbst im Orbit auf“, erklärt Schilling.
„Das hat bisher noch keiner mit Kleinstsatelliten gemacht. Da sind wir bei der Forschung noch ganz vorne. Es ist nur die Frage, wie lange.“
Die Möglichkeit, mit zusammenarbeitenden Satelliten hochauflösende dreidimensionale Bilder zu liefern, hat auch die US-Weltraumbehörde Nasa beeindruckt. Bei einem Vortrag in den USA stellte Klaus Schilling die Technik vor und erhielt von der Nasa positive Resonanz.
Eine Kooperation zwischen den Amerikanern und dem Zentrum für Telematik ist nun konkret in Planung. „Wir arbeiten dann mit der Nasa zusammen, aber natürlich geht dann auch ein Teil unseres Wissens in die USA“, sagt Schilling. Die Kooperation könnte so aussehen, dass die Nasa die Startkosten übernimmt, die Forschungsergebnisse kommen aber beiden Seiten zugute.
Noch liegt UWE-4 im Labor in Würzburg. Denn sein Vorgänger UWE-3 ist noch im All „und funktioniert noch perfekt“, so Schilling. Beide Nanosatelliten gleichzeitig zu bedienen, würde die Kapazitäten der Uni Würzburg sprengen.
Insofern besteht kein Zeitdruck, UWE-3 wird im All weiter betrieben und UWE-4 noch weiter verbessert „Wir haben keine Eile und können noch warten und preisgünstigere Startangebote wahrnehmen“, erklärt Klaus Schilling.