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Würzburg
Kommentar zu Weihnachten: Wieso das Feiern in Gemeinschaft so wichtig ist
Nach fast drei Jahren im Pandemie-Modus sehnen sich die Menschen wieder nach Begegnungen und Nähe. Das macht Weihnachten aus.
In Gemeinsamkeit schmeckt der Glühwein – wie hier auf dem Würzburger Weihnachtsmarkt – doch gleich viel besser. 
Foto: Silvia Gralla | In Gemeinsamkeit schmeckt der Glühwein – wie hier auf dem Würzburger Weihnachtsmarkt – doch gleich viel besser. 
Achim Muth
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:24 Uhr

Ich bin Erika.

Jetzt kommt Weihnachten.

Ich schenke Vati ein Tischfeuerzeug zu 22,50 DM.

Vati schenkt Michael einen Tennisschläger zu 22 DM.

Michael schenkt Mutti eine Schälmaschine zu 19,70 DM.

Mutti schenkt mir Schallplatten im Wert von 18 DM.

4,50 DM muss ich noch bekommen.

Von wem?

Ich bin so gespannt auf Weihnachten.

Diese wunderbare Kurzgeschichte des deutschen Dichters Robert Gernhardt benötigt nur wenige Worte, um den Heiligen Abend zu entlarven als das, zu was er von vielen gemacht wird: ein kühl kalkuliertes Fest. Die Königsklasse des Kommerzes. Laut einer Erhebung des Marktforschungsinstituts Statista sind seit 2009 die Umsätze des deutschen Einzelhandels im Weihnachtsgeschäft stetig gestiegen, von 78,7 Milliarden Euro auf prognostizierte 120,3 Milliarden für dieses Jahr. Big business. Nicht wenige Existenzen hängen von den Geschenken unterm Tannenbaum ab.

Worum geht es an Weihnachten wirklich? Nach fast drei Jahren Corona-Pandemie mit sozialer Distanz sehnen sich die Menschen vielleicht eher nach Begegnungen statt nach Geschenken.
Foto: Annette Riedl, dpa | Worum geht es an Weihnachten wirklich? Nach fast drei Jahren Corona-Pandemie mit sozialer Distanz sehnen sich die Menschen vielleicht eher nach Begegnungen statt nach Geschenken.

Aber ist das wirklich so? Ist Weihnachten für die Menschen tatsächlich nur eine Bilanzsumme? Ein nüchternes Aufrechnen von Geben und Nehmen? Ein Heile-Welt-Schauspiel für die Dauer von drei Strophen "Stille Nacht"? Oder ist die Metapher von den süß klingenden Kassen nicht auch ein schönes Klischee, das gerne aus der Schublade gezogen wird, wenn im August die ersten Lebkuchen in den Supermarktregalen aufgebaut werden?

Im Chor klingt das Weihnachtslied schöner

Wer dieser Tage auf Adventsmärkten zwischen Mellrichstadt und Ochsenfurt unterwegs war, wer Gottesdienste, Schulfeste oder Weihnachtsfeiern in Betrieben und Vereinen besucht hat, der kann zu einem anderen Schluss kommen. Nach fast drei Jahren Corona-Pandemie mit sozialer Distanz, Isolierung und Videokonferenzen sehnen sich die Menschen nach Begegnung, nach Nähe, nach einem Miteinander. In Gemeinschaft schmeckt der Glühwein einfach besser. Im Chor klingt das Weihnachtslied schöner. Eine Umarmung überträgt mehr Energie als ein Ciao aus dem Bildschirm. Im Gespräch von Angesicht zu Angesicht werden Empfindungen und Gefühle unabhängig von Worten sichtbar.

Im Hollywood-Film "Cast away", in dem Tom Hanks einen Überlebenden eines Flugzeugabsturzes spielt, der mehrere Jahre auf einer einsamen Insel ausharrt, wird diese Sehnsucht eindringlich dargestellt. Irgendwann gestaltet der Gerettete einen Volleyball als Gesicht und nennt ihn "Wilson". Die Gespräche mit dem Ball lassen ihn die Einsamkeit etwas leichter ertragen.

Für den Münsterschwarzacher Benediktinerpater Anselm Grün ist Gemeinschaft eine Art menschliches Grundgesetz.
Foto: Julia Martin | Für den Münsterschwarzacher Benediktinerpater Anselm Grün ist Gemeinschaft eine Art menschliches Grundgesetz.

Der englische Dichter John Donne schrieb einst: "Niemand ist eine Insel, in sich ganz, jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents." Für den Münsterschwarzacher Benediktinerpater Anselm Grün ist Gemeinschaft eine Art menschliches Grundgesetz: "Wir sind Teil des Ganzen", schrieb er in einem Gastbeitrag. "Und nur wenn wir das akzeptieren, werden wir zum Segen."

Gemeinschaft ist wie Netz, das uns auffängt, sagt Anselm Grün

In der Corona-Krise fand die Solidarität der Menschen untereinander zunächst ein neues Höchstmaß, ehe eine irrationale Bewegung einsetzte und eine laute Minderheit unsere Freiheit hierzulande infrage stellte. Corona hat den Menschen viel abverlangt, aber durch gemeinschaftliche Anstrengungen auf vielen Gebieten hat die Pandemie ihren Schrecken verloren. Lasst uns nicht mit dem Virus anstecken, sondern mit Fröhlichkeit.

Auch wenn Vorsicht weiterhin angebracht und sinnvoll ist angesichts der aktuell grassierenden Grippewelle, dieses Weihnachten sollte niemand allein verbringen müssen. Gemeinschaft, schreibt Anselm Grün weiter, "ist wie ein Netz, das uns auffängt". 

Möge jeder Weihnachten im Kreis von lieben Menschen verbringen und als Geschenke Zuversicht und Zusammenhalt erhalten – und niemand vor dem Christbaum sitzen wie Erika mit dem Rechenschieber.

 
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