
Sie sollte der große Wurf werden: die Pflegereform 2021, die der Bundesgesundheitsminister vor der Bundestagswahl im Herbst verabschieden wollte. Doch Jens Spahn (CDU) musste sich von seinen teilweise heftig kritisierten Plänen verabschieden. Noch in der vergangenen Woche hieß es, dass die geplante Pflegereform in dieser Legislaturperiode nicht mehr komme.
Jetzt hängt die Große Koalition Teile der Pflegereform als Änderungsantrag plötzlich an ein bestehendes Gesetzgebungsverfahren an, um sie noch vor der Sommerpause durch den Bundestag zu bekommen. Der Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss, der Würzburger Andrew Ullmann, kritisiert dies - und spricht von "Organisationsversagen" der Regierung. Offenbar habe man erst jetzt gemerkt, dass es nur noch zwei Sitzungswochen vor der Bundestagswahl gebe.
Laut der Gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar aus Maßbach (Lkr. Bad Kissingen), soll nur ein kleiner Teil des Reformpaketes geregelt werden. Im wesentlichen gehe es darum, Pflegeeinrichtungen zu verpflichten, Tariflöhne zu zahlen. Im Gegenzug würden die Eigenanteile der zu Pflegenden neu geregelt, so Dittmar. Denn die erhöhten Löhne sollen nicht zu einer erhöhten Belastung der Bewohnerinnen und Bewohner führen. Anlass sei dasScheitern eines bundesweiten Tarifvertragesfür die Pflegekräfte in Altenheimen. Über die Hälfte der Beschäftigten in den Senioreneinrichtungen würden keinen Tariflohn erhalten, so Dittmar.
Zunächst solle das Gesetz viele Einrichtungen ermutigen, überhaupt Tarifverträge abzuschließen, so Sabine Dittmar. Verdi müsse diese Chance für eine Tarifoffensive nutzen. Um einen Versorgungsvertrag der sozialen Pflegeversicherung zu bekommen, dürften Heime ohne Tarifvertrag laut Gesetzesvorlage den durchschnittlichen Tariflohn in ihrer Region künftig nicht unterschreiten.

Für das erste Jahr im Heim war zunächst keine Entlastung vorgesehen. Laut kurzfristig geänderter Gesetzesvorlage soll der Eigenanteil für die reine Pflege im Heim im ersten Jahr nun um fünf Prozent gesenkt werden. Im zweiten Jahr im Heim um 25 Prozent, im dritten Jahr um 45 Prozent und ab dem vierten um 70 Prozent. Wichtig: Dies betreffe jedoch nur den Anteil der reinen Pflegekosten, nicht die Kosten für Unterbringung, Verpflegung und die Investitionskosten, sagt Dittmar. Da die Pflegeversicherung anders als die Krankenversicherung als Teilkaskoversicherung konzipiert ist, übernehmen die Pflegekassen nur einen Teil der Kosten, abhängig vom Pflegegrad. Laut dem Verband der Ersatzkassen in Bayern (vdek) liegen dieZuzahlungen für die reine Pflege in Bayern im Schnitt bei 985 Euro im Monat. Damit ist Bayern nach Baden-Württemberg und Berlin das drittteuerste Bundesland. Insgesamt betragen die Zuzahlungen in den bayerischen Pflegeheimen laut vdek im Schnitt 2078 Euro im Monat.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, spricht von einer Mogelpackung, weil die Hälfte der Bewohner im ersten Jahr im Heim stirbt. Die tatsächliche Entlastung greife aber erst bei einem längeren Heimaufenthalt. Eine zukunftssichere Pflege sei nur mit einem gedeckelten Höchstbetrag für alle Betroffenen zu stemmen, so Brysch. Mehr als 40 Prozent der derzeitigen Bewohner lebten indes bereits drei oder mehr Jahre im Heim, erwidert Dittmar. Sie würden also sofort um mindestens 45 Prozent der reinen Pflegekosten entlastet. Ausschlaggebend sei, wie lange die Bewohner bereits im Heim lebten, wenn das Gesetz in Kraft trete.
Die Tariferhöhung bei gleichzeitig sinkenden Eigenanteilen werde durch einen Bundeszuschuss finanziert, so Sabine Dittmar. Hinzu käme eine weitere Anhebung der jetzt bereits höheren Beiträge zur Pflegeversicherung bei Kinderlosen um zusätzlich 0,1 Prozent. Dieser Vorschlag von Jens Spahn habe der SPD nicht gefallen, sagt Dittmar, sei aber verfassungsrechtlich gedeckt.
Es würden vor allem diejenigen Punkte umgesetzt, die den Pflegekräften mehr Kompetenz geben, sagt Dittmar. Zudem werde ein wirtschaftlicher Anreiz für mehr Kurzzeit-Pflegeplätze geschaffen sowie die Überleitungspflege aus dem Krankenhaus neu geregelt. Oft würden Angehörige für Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen werden könnten, keinen Kurzzeitpflegeplatz finden. Künftig könne der Patient noch bis zu drei Wochen im Krankenhaus gepflegt werden.

Der Würzburger FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann hält höhere Löhne für Pflegekräfte und eine Deckelung der Eigenanteile in der Pflege für "ehrenwerte Vorhaben". Seine Kritik: "Leider werden die Mehrkosten aus dem Bundeshaushalt finanziert. Somit ist es kein Reformprogramm, das Strukturen dauerhaft verbessert." Ullmann spricht von "teurem Wahlgeschenk auf Kosten der nächsten Generationen".