Eine WG mitten in Würzburg. „Anna Hußlein und Veronika Pfeifer“ steht auf dem Klingelschild. Ein Surren, die schwere Haustüre aus Holz springt auf. Breite ausgetretene Holztreppen geht es hinauf. Vor der Wohnungstür ein Meer aus Schuhen – Chucks, Ballerinas, Turnschuhe. Hier findet sie also statt, diese Party. Eine Party, auf der sie Kleider tauschen.
Die Wohnungstür öffnet sich. Lautes Geplauder, Kinderlachen. Es riecht nach frisch gebrühtem Kaffee. „Hey“, sagt Anna. Sie steht im Türrahmen, winkt herein.
Frauen, die Jacken ausziehen
Im Wohnzimmer: Gewusel. Frauen, die Jacken ausziehen – Ponchos anprobieren. Aus Jeans schlüpfen – in Röcke steigen. Betrachten, beraten, begeistern. Sie stehen vor dem Spiegel. Provisorisch ist er vor der moosgrünen Wand aufgeklappt. „Das ist ein bisschen kurz“, sagt Birgit, trippelt auf Zehenspitzen bis sie mit dem Rücken zum Spiegel steht.
Angestrengt lugt sie über ihre Schulter. Rosa ist das Kleid, das sie anprobiert, rosa mit schwarzen Punkten. „Das geht nicht mal über den Po.“ Sie schüttelt den Kopf, zieht das Kleid über den Kopf, sachte flattert es auf den Boden, auf einen kleinen Kleiderberg.
Klamottenberg
Rot, grün, kariert, geblümt – ein Berg aus Kleidungsstücken, die herausgezerrt wurden, ausgemistet, aus Kleiderschränken. Nicht etwa weil sie fehlerhaft wären. Keine Flecken, keine Löcher, keine Fäden, die sich aus dem Saum ziehen. Hier in diesem Wohnzimmer geht es um Ware, die eine zweite Chance haben soll – im Leben eines anderen Menschen.
„Wir von der WG haben uns schon immer damit beschäftigt, dass wir in so einer Wegwerfgesellschaft leben“, sagt Anna. Lehramtsstudentin ist sie und 24 Jahre alt. „Es wird viel gekauft, viel weggeschmissen. Man wertschätzt die Dinge nicht richtig.“ Veronika, 34 Jahre alt und ihre Mitbewohnerin nicken: „Ich finde den Nachhaltigkeitsgedanken hinter den Kleidertauschpartys sehr schön. Die Idee, zu sagen, wenn ich das nicht anziehe, kann es vielleicht jemand anderes gebrauchen“, sagt sie.
Eine im Frühling, eine im Herbst
2013 haben sie angefangen, Kleidertauschpartys zu veranstalten, die Frauen aus der WG. Eine im Frühling, eine im Herbst. Anna erklärt das Prinzip: Kleider, Accessoires, Schuhe, Shirts, Hosen, Schmuck, alles was man loshaben möchte, bringt man mit und alles was einem gefällt, nimmt man am Ende mit.
Anna geht zu ihrem Zimmer. Für die eigentliche Tauschparty ist das zu klein. Und doch sind an diesem Tag die zwei Meter freier Fußboden verschluckt – von einem Flickenteppich aus Handtaschen, Jacken, Rucksäcken, Essensboxen. Nachschubware für den Tausch?
Nein, sagt Anna, im Gegenteil: „Wir wollen sicher gehen, dass nicht aus Versehen Jacken getauscht werden, die eigentlich nicht zum Tauschen da sind.“ Darum ein Raum für die mitgebrachten, persönlichen Dinge.
Anna schließt die Türe, deutet auf Veronikas Zimmer. Dort liegt Tauschware – Oberteile und Kleider. Und dorthin, sie deutet auf das Wohnzimmer, der Rest.
„Es wird wie an einem riesen Wühltisch gewühlt. Nur, dass niemand die Ellenbogen ausfährt, um das beste Schnäppchen zu bekommen.“
Ein silber schimmerndes Kleid
Birgit guckt an sich herunter. Betrachtet ein silbern schillerndes Kleid mit goldenen, bernsteinfarbenen Steinen, die auf die Schultern gestickt sind. Zupft daran. Die 28-Jährige kauft fast keine Kleidung neu, hat alles von Tauschpartys, Second Hand Läden, Flohmärkten.
„Ich kann bei meinen Anziehsachen immer sagen, das war von dem, das von der Kleidertauschparty“, sagt sie. Zu jedem Kleidungsstück, das sie trägt, gibt es eine Geschichte, eine Person, die sie damit verbindet. Das gefällt ihr. Vielleicht hat sie weniger Kleider als andere, aber sie will das so.
Will nicht zu viel besitzen, will sich begrenzen auf das Wesentliche. Kleider tauscht sie aus Prinzip, weil sie Probleme mit dem Konsum hat.
Veronika wirft einen fachkundigen Blick auf die Steinchenkonstruktion auf ihrer Schulter. Wendet, dreht den Stoff, folgt mit dem Finger dem Nähfaden. Sie könne das Umnähen, sagt sie zu Birgit.
„Wenn ich sehe, dass es irgendwas ist, was ich machen könnte, schlag ich das vor. Ich sag den Leuten auch, dass ich nicht garantiere, dass es perfekt wird“, erzählt Veronika. Ärmel abnehmen, kürzen, weiten. Gelernt hat sie das nicht. Es sich selbst beigebracht. Nähen ist ihr Hobby.
Ein Schlemmerparadies
In der winzigen WG-Küche gibt es derweil frischen Kaffee und – ein Schlemmerparadies: Kuchen, Kekse, gerollte Blätterteigschnecken mit Pesto. Würzig, süß, deftig. Die Gäste bringen das mit. Sitzen hier gemütlich beisammen, in diesem kleinen Kleidercafé. Naschen, plaudern, erzählen, ruhen aus.
„Eine Freundin von mir kommt nicht zum Tauschen“, sagt Veronika. „Die sitzt einfach nur da und unterhält sich mit den Leuten, weil sie es so super gesellig findet.“
Um die 20 Leute kommen heute in die WG. Folgen der Einladung, die Anna und Veronika per Mail rausschicken an ihre 30, 40 Freunde, Bekannte, aus der Freizeit, vom Chor, vom Sportverein.
Eine davon ist Luna. Sie sitzt am Küchentisch. Braune lange Haare, gerade geschnittener Pony und bekleidet mit einer petrolfarbene Strickjacke. Die habe sie heute gefunden und eine Jeans, die sogar gut sitzt.
21 Jahre ist Luna alt, studiert Medienkommunikation und liebt Kleidertauschpartys. Andere Stilrichtungen ausprobieren, Neues entdecken, Farben, Kleider, die sie sich niemals kaufen würde. „Ganz oft ist es so: Man nimmt etwas mit, aber irgendwann merkt man, dass es doch nicht perfekt ist. Dann bringe ich es zum nächsten Klamottentausch einfach wieder mit“, sagt sie.
Luna war damals schon dabei, bei der ersten Kleidertauschparty. Ob sich seither etwas verändert hat? Luna überlegt: „Ja, man kennt Teile, weil manche Sachen immer wieder kommen.“
Hausverbot
Sie hätten schon überlegt, manchen Teilen „Hausverbot“ zu erteilen, erzählt Anna lachend. Auch sie ist seit der ersten Kleidertauschparty dabei. Anders als Regine, 55 Jahre alt und die Mutter von Luna.
Sie ist heute zum ersten Mal dabei. Schon oft hat ihr Luna etwas vom Tausch mitgebracht, wollte sie überreden mitzukommen. Heute hat es geklappt. „Es ist toll, wenn man etwas weggibt. Dieses horten und dann wegschmeißen finde ich doof.“ Sie hat ein Sommerkleid mitgebracht zum Tauschen. Es passt ihr nicht mehr. Sie hat es gern gehabt, feiner Stoff, angenehm kühl auf der Haut, graublau.
Und auch das macht das Besondere an diesen Kleidertauschpartys aus, dass verschiedene Generationen zusammen kommen. Die unterschiedlichsten Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen: Schüler, Jugendliche, Studenten, Berufstätige, Mütter. Manchmal auch mit Kindern.
Am Ende der Party kniet Anna am Wohnzimmerboden, sammelt die übrig gebliebenen Klamotten ein. Sie spendet sie.
Bringt sie zum Caritasladen, zu Oxfam, früher zum Luftschloss. Dieses Mal gehen sie an geflüchtete Frauen und Mädchen. Für Anna ist das selbstverständlich, das Teilen. Kritischer Konsum, das ist es, was Anna wichtig ist. „Ich möchte wirklich ein Zeichen setzen, gegen die Verschwendung“, sagt sie. Nachhaltigkeit leben eben.