
Der achtjährige Marco (Name geändert) schnappt sich den Roller und hält sich am Lenker ganz fest, denn er weiß, was jetzt kommt: Start, und die Räder drehen durch! Ab geht die Post auf dem Gerät im Kinderspielzentrum („Spieli“) Zellerau, wo das Vehikel aus Reha-Schrott zusammengebaut wurde. Der Lenker stammt von einem Fahrrad und die Elektrik im Heck aus einem Elektrorollstuhl. Maximal fährt der Roller mit seinen 0,4 PS zehn Stundenkilometer. Die Kinder reißen sich darum.
Spieli-Leiter Horst Wagner
Das Spieli wurde jetzt mit einem bisher ungewöhnlichen Preis geehrt, „einer Art TÜV-Stempel für Social Sponsoring (Soziales Fördern)“, so Wagner. Die verliehene Ehrung klingt unspektakulär: das „Phineo-Wirkt-Siegel“ zum Themenfeld „Kinder in Armut“. Sponsoren und Stiftungen oder sozial engagierte Unternehmen, die sich überlegen, an wen sie ihre Spendengelder geben, sagt diese Auszeichnung aber, dass der prämierte Anbieter sehr qualifiziert und vorbildlich für den Nachwuchs arbeitet – jenen Nachwuchs, der es besonders nötig hat –, und dass diese Arbeit positive Wirkung zeigt.
Das Spieli, das inmitten der Zellerau offene Kinder- und Jugendarbeit anbietet, hat viele junge Besucher, die weder finanziell noch sonst vom Glück verfolgt sind. Im Spieli dürfen sie Spaß haben, sie lernen viel – und viele machen es zu ihrer zweiten Heimat.
„Der Start gibt den Kick“, schmunzelt Spieli-Leiter Horst Wagner über die Kinder, die manchmal auch zu zweit den Roller fahren. Ursprünglich war ein Kurzschluss der Grund dafür, dass das Gefährt zunächst losgeht wie eine Rakete. „Die Kinder fühlen sich wie Formel-I-Fahrer“, sagt Wagner, und deshalb haben die Pädagogen den Fehler einfach belassen. „Steuern unter Sonderbedingungen“, so der Spieli-Chef, „das ist ja das Lebensthema der Kinder: steuern lernen, koordinieren, aber auch Verantwortung für den Sozius übernehmen“.
Ungewöhnliche Spielsachen sind typisch für das Kinderspielzentrum, denn aus allem wird noch was gemacht, zum Beispiel aus Altglas Perlen für bunte Ketten, aus Sperrholzplatten Mini-Drehorgeln, aus verschiedenen Abfällen Musikinstrumente und aus einem Dach wird obendrauf ein Kartoffelacker. Und aus Schrott ein Roller. Damit wird den Kindern klar, wie kreativ sie sein können und sie lernen, sich selbst immer mehr zuzutrauen. Gleichzeitig erfahren sie, dass Müll noch lange nicht weggeworfen werden muss, sondern oft sogar wertvoll ist – Recycling fürs Leben.
Zudem können sie sich mit den Spieli-eigenen Ziegen und Eseln auseinandersetzen, erleben Wärme, staunen und lachen. Schließlich sind Ziegen manchmal olympiareif, so wie Milka, die aus dem Stand über einen knapp zwei Meter hohen Zaun springt, oder Schoko, die auf dem Spielplatz mal eben auf der Drehscheibe mitfährt oder als Beifahrer im dreirädrigen Dino-Car. „Wir haben eine große landwirtschaftliche Fläche mitten in der Stadt“, freut sich Wagner über das Spieli-Außengelände.
Phineo ist nach eigenen Angaben ein „unabhängiges Analyse- und Beratungshaus für wirkungsvolles gesellschaftliches Engagement“ mit Sitz in Berlin. Als gemeinnützige Aktiengesellschaft (gAG) wird Phineo von einem breiten Bündnis aus Wirtschaft und Gesellschaft getragen. Zu den Gesellschaftern gehören die Bertelsmann-Stiftung und die Deutsche Börse, die KPMG (Netzwerk unabhängiger Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Managementberater), daneben die PwC (Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft) und die Stiftung Mercator. Phineo existiert seit dem Jahr 2010. Seine Mission ist es, den gemeinnützigen Sektor und die Gesellschaft zu stärken. Mit Reports in zahlreichen Medien bietet die gemeinnützige Aktiengesellschaft Orientierung für wirkungsvolles gesellschaftliches Engagement, wie es in einer Mitteilung heißt.
Das Spieli gibt es schon seit 37 Jahren, es zog einmal um, neben das neue Kletterzentrum. Die Einrichtung hat ein bewährtes Team, das seinerseits bereits einige Kinder von früheren Schützlingen kennt. Es ist immer Ansprechpartner in der Not. Die Betreuer und Kinder haben sich sehr über die Auszeichnung gefreut und hoffen, so auch in Zukunft vermehrt finanzielle Unterstützung von Firmen und Privatpersonen zu erhalten.
Info: www.phineo.org Stichwort: Kinderzentrum. Öffnungszeiten: Montag mit Freitag von 13 bis 17.45 Uhr.
Kinderzentrum „Spieli“ in der Zellerau
Träger des Kinderzentrums „Spieli“ in der Zellerau ist die Stadt, Betreiber allerdings der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Es befindet sich in der Dr. Maria-Probst- Str. 11. Das Spieli wurde für Kinder aus dem sozialen Brennpunkt Zellerau gebaut und konzipiert. Circa 80 Buben und Mädchen im Alter zwischen sechs und 16 Jahren kommen täglich in diese offene Einrichtung. Der Eintritt ist kostenlos.
Die Vertreter von Phineo waren nicht nur von den Räumlichkeiten beeindruckt, sondern auch von dem pädagogischen Ansatz, jedes Kind mit seinen Stärken, Schwächen und Bedürfnissen zu sehen und ihm Würde zu geben, „damit es selbstbewusst zu einem freien Menschen wird“, wie die Heilpädagogin im Kinderspielzentrum, Sr. Ruperta Krieger, sagt. Wichtig ist den Betreuern dabei auch das Gespräch und die Mithilfe der Eltern.
Das Spieli erhielt eines von bayernweit fünf und bundesweit 23 „Wirkt“-Siegeln bei insgesamt 120 Bewerbungen in diesem Jahr.
Kontakt: Tel. (0931) 4 26 63, E-Mail: spieli@skf-wue.de