Der Kinderporno-Verdachtsfall lässt die Region nicht los. „Natürlich schlägt der Fall hohe Wellen. Auswirkungen spüren auch Institutionen, die mit dem Verdächtigen überhaupt nichts zu tun hatten“, sagt die Schweinfurter Musikschulleiterin Andrea Schärringer. In einer gewissen Weise stünden jetzt wohl alle Erwachsenen, die beruflich bedingt Zeit allein mit Kindern verbringen, unter Generalverdacht - gerade die Männer. In einem Berufsumfeld, in dem Körperkontakt mit Kindern zum Alltag gehöre, sei das durchaus belastend.
Und Musikunterricht ist körperbetont. "Ob beim Flöten-, Geigen- oder Trompetenunterricht - der Lehrer steht üblicherweise dicht beim Kind", sagt Schärringer. "Weil er ja die Handhabung des Instruments überprüfen muss und Griffe korrigiert und dabei natürlich ab und zu auch die Finger des Kindes anfasst.“ Sie selbst lehrt Flöte, ein Instrument, bei dem Atemtechnik wichtig ist. Um zu zeigen, wie und wo man ein- und ausatmen muss, lege sie dem Kind auch mal die Hand auf den Bauch. „Bezüglich des Körperkontakts ist man da im Moment sensibel. Ich glaube, die Kollegen halten gerade mehr Distanz als sonst zu den Schülern“ , sagt Schärringer.
Kids müssen gefragt werden, ob sie berührt werden wollen
Mit Blick auf den Würzburger Missbrauchsfall sind der Musikschule Schweinfurt mit ihren 3200 Schülern und über 70 Lehrern zwei Regeln wichtig: Erstens seien Lehrer angewiesen, vorher das Kind zu fragen, wenn sie es berühren wollten. Also etwa: „Darf ich dir auf den Bauch fassen?“ Wolle das Kind das nicht, könne der Lehrer die Atemtechnik an sich selbst zeigen oder anhand eines Videos erklären.
Zweitens könnten Bezugspersonen der Kinder jederzeit mit im Unterricht sein. „Weil Musik nun mal laut ist, sind die Klassenzimmertüren zu, anders geht das nicht", sagt Schärringer. "Aber wenn die Mutter oder die Oma jetzt immer mitkommen möchten, dann ist das für uns okay.“
Gerade der Umstand, dass Kinder beim Instrumentalunterricht oft mit einem Erwachsenen allein seien, sei für ihre Kollegen „gerade sehr problematisch“, sagt auch Andrea Schanzer, Leiterin der Würzburger Sing- und Musikschule mit über 3000 Schülern und über 70 Lehrern. Halb im Scherz, halb im Ernst hätten männliche Kollegen nach dem Kinderporno-Verdachtsfall aus Sorge vor einem Generalverdacht gesagt: „Sollen wir überhaupt noch Einzelunterricht geben?“
Genau diese Frage stellt sich derzeit auch der Würzburger Schulamtsleiter Erwin Pfeuffer, dessen Behörde die Aufsicht über alle Volksschulen in Stadt und Land Würzburg hat. Die Frage, ob Einzelunterricht „überhaupt noch vertretbar“ sei, werde er mit in die Schulleiter-Dienstbesprechung im Mai mitnehmen, sagt Pfeuffer. Zwar werde der Unterricht üblicherweise mit einer ganzen Klasse abgehalten; aber externe Mitarbeiter wie Schulbegleiter oder Mittagsbetreuer würden auch Situationen kennen, in denen sie allein mit einem Kind sind.
Dass dann ein zweiter Erwachsener zu Kind und Betreuer dazu kommt, sei nicht realistisch: „Das Vier-Augen-Prinzip ist bei unserer Personaldecke nicht umsetzbar", sagt Pfeuffer. Und Videoüberwachung sei grundsätzlich in Schulen verboten. „Es ist schlimm, dass durch diesen Fall Vertrauen verloren gegangen ist“, so der Schulamtsleiter. Dennoch müsse man jetzt darüber reden, wie Kindern optimaler Schutz geboten werden könne - und wie gleichzeitig Lehrer vor falschen Anschuldigungen geschützt werden könnten.
Körperkontakt zu Kindern wird derzeit häufig hinterfragt
Dass Männer in Kitas und Schulen im Moment misstrauischer angeschaut werden als sonst, schildert ein Erzieher aus der Region: „Es wird nie explizit gesagt, aber Männer in pädagogischen Einrichtungen werden ohnehin skeptischer betrachtet als Frauen.“ Nachdem der Kinderporno-Verdachtsfall durch die Medien gegangen sei, habe er das Gefühl gehabt, im Hort „mehr unter Beobachtung zu stehen“. Er habe an sich selbst beobachtet, dass er jetzt Körperkontakt mit Kindern, der zuvor ganz normal und auch erwünscht gewesen sei, hinterfragt.
„Unter den 25 Kindern in meiner Gruppe sind auch immer ein, zwei Kinder, die kommen morgens angerannt, werfen sich in meine Arme, um mich zu begrüßen“, schildert der Erzieher. Das sei an und für sich nichts Schlechtes, manche Kinder bräuchten mehr Körperkontakt als andere. Schimm sei, dass man selbst jetzt über ganz normale Gesten nachdenken müsse. Mehr Distanz zu wahren? „Darüber habe ich nachgedacht“, sagt der Erzieher. „Aber ich verhalte mich genauso wie vorher. Wenn ein Kind auf mich zugerannt kommt, will ich es ja nicht wegschubsen.“