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WÜRZBURG/SCHWEINFURT
Khalils verzweifelte Wohnungssuche
Auch für viele anerkannte Flüchtlinge in Unterfranken bleibt die Sehnsucht nach den eigenen vier Wänden unerfüllt.
Foto: Thomas Obermeier | Auch für viele anerkannte Flüchtlinge in Unterfranken bleibt die Sehnsucht nach den eigenen vier Wänden unerfüllt.
Melanie Jäger
Melanie Jäger
 |  aktualisiert: 27.10.2016 03:34 Uhr

Khalil ist 19 und vor dem Krieg in Syrien geflohen. Seit einem Jahr lebt er in Würzburg in einer Gemeinschaftsunterkunft. Jeden Tag besucht er die Schule. Vier Stunden Deutschunterricht, vier Stunden Sozialkunde. Er ist froh, so sagt er, dass sein Weg dorthin nicht so lang ist. Er nicht irgendwo auf dem Land lebt und um 5 Uhr aufstehen muss, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln rechtzeitig im Integrationskurs in der Stadt zu sein. So wie einer seiner Freunde. „Wenn der abends um 19 Uhr heimkommt, ist er so müde, er kann nicht mal richtig essen, er kann nur schlafen“, erzählt Khalil.

Heimkommen. Das impliziert Ruhe, Geborgenheit, Rückzug von der Hektik des Lebens draußen. Die eigenen vier Wände eben. Flüchtlinge, die zum Teil seit vielen Monaten und Jahren auf engstem Raum in Notunterkünften mehr hausen, denn leben, haben keine Rückzugsmöglichkeiten. Die meisten werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie wirklich bekommen.

Doch wenn sie wie Khalil anerkannter Flüchtling sind, endlich aus der Gemeinschaftsunterkunft oder dem Erstaufnahmelager raus können, stoßen sie auf die nächsten Hürden. Etwa auf die akute Wohnungsnot in der Unistadt Würzburg, bedingt durch den Beginn des neuen Semesters und der hohen Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum.

Und Khalil weiß es von seinen Betreuern im Jobcenter: „Viele Vermieter scheuen den Papierkram mit den Behörden und haben auch zu wenig Vertrauen in Flüchtlinge.“ So sei auch die Hoffnung, als Nachmieter für die Wohnung einer Bekannten akzeptiert zu werden, schnell zerstört worden. Die Eigentümer der anderen Wohnungen hätten sich gegen Flüchtlinge als Mieter ausgesprochen.

Für 814 Asylbewerber ist die Stadt Würzburg derzeit zuständig. Wie viele von ihnen schon in Wohnungen leben, konnte man spontan nicht beziffern. Mitarbeiter im Jobcenter und der Caritas helfen den Flüchtlingen bei der Wohnungssuche, auch ehrenamtliche Helfer kümmern sich um das Verstehen und Ausfüllen von Mietverträgen. Sofern Verträge überhaupt zustande kommen.

Khalil sucht weiter. Jeden Tag. Im Internet, in der Zeitung. 30 Bewerbungen hat er in den letzten vier Wochen abgegeben, vor ein paar Tagen durfte er eine Wohnung am Heuchelhof besichtigen. „Toll!“, schwärmt er. Aber dann erlischt sein Lächeln. „Es waren noch fünf andere Familien da, und ich habe auch noch nichts gehört.“ Khalil würde gerne mit seinem großen Bruder zusammenleben. „Wir sind Brüder, uns reicht auch eine Einzimmerwohnung.“ Hauptsache, was eigenes. Hauptsache, nicht zu weit draußen auf dem Land. Denn dann wird alles zeitlich knapp. Sein Bruder ist Tischler und hat ein Angebot für eine Arbeit in der Innenstadt. Dazu kommen die Kurse. „Wie soll das dann zeitlich gehen ohne Auto?“

Doch Khalil zählt als anerkannter Flüchtling, der noch immer in einer staatlichen Unterkunft lebt, zu den „Fehlbelegern“. Zu jenen, die dort eigentlich ausziehen müssten, um Platz zu machen für neue Flüchtlinge. Khalil teilt sich die hässliche Bezeichnung „Fehlbeleger“ mit vielen anderen. In den Erstaufnahmeeinrichtungen in Schweinfurt und drei Außenstellen im Raum Würzburg etwa leben derzeit 389 Flüchtlinge. „Davon sind 186 Fehlbelegungen, das entspricht einer Quote von 47,8 Prozent“, sagt Johannes Hardenacke, Pressesprecher der Regierung von Unterfranken.

Mit der Anerkennung fallen die Flüchtlinge dann nicht mehr unter das Asylbewerberleistungsgesetz, sondern wechseln in den Bereich Hartz IV. Zwar haben sie jetzt Rechtssicherheit, aber eben auch keinen Anspruch mehr auf einen Platz in einer Flüchtlingsunterkunft. Auch in den Anschlussunterbringungen steige diese Quote. „Es ist eine der größten Herausforderungen dieser Zeit, geeigneten Wohnraum zu schaffen“, sagt Hardenacke und verweist auf staatlich geförderte Wohnprojekte. So plant und baut der Freistaat Bayern in seinem Sofortprogramm „Wohnungspakt Bayern“ Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge und sozial schwache Familien.

„Es waren noch fünf andere Familien da und ich habe auch noch nichts gehört.“
Khalil (19), anerkannter Flüchtling

70 Millionen nimmt der Freistaat dafür in die Hand. Die erste fertiggestellte Wohnanlage dieses Projekts steht in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart). 21 Wohneinheiten sind dort entstanden. „Ausreichender Wohnraum“, sagt Bayerns Sozialministerin Emilia Müller, „ist entscheidend für den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft.

“ Deshalb stünde der neu geschaffene Wohnraum nicht nur anerkannten Flüchtlingen, sondern auch der heimischen Bevölkerung zur Verfügung. Kommunen, die vorhandene Gebäude umbauen und in Wohnraum verwandeln, können mit üppiger Förderung von bis zu 90 Prozent rechnen.

In Unterfranken sind gerade drei Gemeinden zum Zug gekommen. In Kürnach und Röttingen (Lkr. Würzburg) und Iphofen (Lkr. Kitzingen) werden Leerstände, darunter auch ein ortsbildprägendes Geschäftshaus, in Wohnungen umgewandelt. Dennoch drängt es die meisten Flüchtlinge in die Städte. Wohnwünsche hängen eben auch immer an der Frage der Mobilität und Infrastruktur. In Schweinfurt ist man dabei, mit staatlichen Fördermitteln leer stehende Objekte in der Hauptstraße und der Bauerngasse umzuwandeln, überhaupt gilt Schweinfurt als beliebte Wohnstadt für anerkannte Flüchtlinge. Wo indes Integration besser gelingen kann, in einer überschaubaren kleinen Gemeinde oder dem vielfältigen Stadtleben, das weiß niemand so genau.

Aufgrund der stagnierenden Zahlen an neu ankommenden Flüchtlingen, können Khalil und andere „Fehlbeleger“ in Unterfranken – in Schweinfurt sind es laut Auskunft der Stadt derzeit 110 (von insgesamt 1048 Flüchtlingen) – noch ein paar Monate in ihrer Unterkunft wohnen bleiben, bis sie dann einer Kommune zugewiesen werden. Im besten Fall schafft es diese Kommune gleich, eine Wohnung zu finden. Im schlechtesten Fall droht die Obdachlosigkeit.

Khalil will deshalb alles dran setzen, selbst eine Wohnung auf Basis dessen, was das Sozialamt im Bereich Hartz IV zugesteht, zu finden. Deshalb geht auch heute Abend in dem Zimmer, das er seit einem Jahr mit seinen drei Cousins und einem Bekannten teilt, die verzweifelte Wohnungssuche weiter.

Vorgaben bei der Wohnungssuche

Damit ein Flüchtling auf Wohnungssuche gehen kann, muss zuvor sein Asylverfahren positiv entschieden sein. Das kann je nach Flüchtlingsherkunft stark variieren. Flüchtlinge aus Ländern, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Bleiberecht erteilt wird, dazu gehört derzeit in erster Linie Syrien, dürfen auch schon während des Asylverfahrens umziehen, heißt es bei der Regierung von Unterfranken.

Bezieht ein Flüchtling soziale Hilfe vom Staat, muss er sich bei der Größe der Wohnung und Höhe der Miete an die geltenden Obergrenzen für Sozialhilfeempfänger halten. Für eine Person liegt die maximale Wohnfläche derzeit bei 50 Quadratmetern, die Kaltmiete inklusive Nebenkosten bei 373 Euro. Eine vierköpfige Familie darf 87 Quadratmeter und 639 Euro Miete nicht überschreiten.

Wer Wohnungen an Flüchtlinge vermieten will, kann sich an die Flüchtlingsberatungsstellen der jeweiligen Caritasverbände in Unterfranken wenden. Diese helfen den Flüchtlingen bei der Wohnungssuche. Sie sind ansässig in Würzburg, Schweinfurt, Lohr, Bad Neustadt/Saale, Haßfurt und Miltenberg. Sie werben bei Vermietern dafür, Flüchtlingen unvoreingenommen zu begegnen und ihnen Wohnraum anzubieten.

Vertragspartner beim Abschluss eines Mietvertrages ist laut Auskunft der Stadt Würzburg immer der Flüchtling. Wenn es um den Erwerb von Einrichtungsgegenständen geht, so gelten die Hartz-IV-Vorgaben.

Wer sein Haus als Gemeinschaftsunterkunft zur Verfügung stellen möchte, kann sich an die Regierung von Unterfranken wenden. MEL

 
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