
Der ständig wechselnde Maßnahmenkatalog zur Eindämmung der Corona-Pandemie hält das Team des Zentrums für Aphasie & Schlaganfall Unterfranken (AZU) seit März auf Trab. „Dann flatterte uns nach über 20 Jahren auch noch unerwartet eine Kündigung ins Haus“, sagt AZU-Geschäftsführer Thomas Hupp. Neue Räume mussten gesucht, der Umzug gestemmt werden. Seit 1. Dezember befindet sich das AZU in der Würzburger Kaiserstraße 31 – und damit bestens erreichbar in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof.
Selbst der neu entwickelte Impfstoff wird wohl keine rasche Lösung des Problems „Corona“ bringen. Weshalb wahrscheinlich noch auf geraume Zeit keine Treffen in den neuen Räumen stattfinden werden, heißt es in einer Pressemitteilung des Aphasiker-Zentrums Unterfranken. „Wir beraten jedoch intensiv telefonisch, per Mail und Videochat“, sagt Hupp. Das wird auch rege genutzt. Zum einen melden sich Betroffene, die durch einen Schlaganfall oder eine andere Hirnerkrankung die Fähigkeit, zu sprechen und Gesprochenes zu verstehen, zum Teil eingebüßt haben. Aber auch Angehörige greifen zum Hörer oder schreiben eine Mail, weil sie Hilfe brauchen. Das kann berufliche, therapeutische, finanzielle, rechtliche oder psychosoziale Probleme betreffen.
Betagte Klienten beherrschen die Technik nicht
Pro Woche trudeln derzeit nahezu 40 Anfragen ein. Wobei sich viele Klienten mehrfach melden, weil die Pandemie ständig neue Fragen aufwirft. Aktuell berät Hupp zum Beispiel eine junge Frau, die kurz nach ihrer Volljährigkeit einen Schlaganfall erlitten hatte und aphasisch wurde: „Sie entschied daraufhin, in Einrichtung für betreutes Wohnen zu ziehen.“ Da sitzt sie nun einem kleinen Zimmer. Ihr Freund wohnt weit weg in einer anderen Stadt. Die junge Frau sehnt sich nach seiner Nähe. „Was soll ich tun?“, fragte sie: „Kann ich zu meinem Freund fahren?“
Die junge Frau hat das technische Knowhow, um mit Thomas Hupp über Videochat zu kommunizieren. Das jedoch haben nicht alle Klienten des AZU. Viele sind betagt. Aber auch das Grundproblem, nämlich die verlorene Fähigkeit, flüssig zu sprechen sowie Geschriebenes und Gesprochenes schnell aufzufassen, macht es schwierig, auf eines der virtuellen Ersatzangebote für persönliche Gespräche zurückzugreifen. „Immerhin fünf unserer Gruppen laufen nun schon online“, berichtet Hupp. Rund 35 Angehörige und Betroffene tauschen sich darin aus. Das allerdings sind nur etwa zehn Prozent aller Gruppenmitglieder in der Region.
Aphasie Tage finden online statt
Die bange Frage, ob die verlorene Sprache wohl noch einmal zurückkommt, kann Menschen mit Aphasie am Beginn der Erkrankung heftig quälen. In den Selbsthilfegruppen des AZU motivieren Betroffene einander, am Ball zu bleiben. In Kommunikationsgruppen können sie gemeinsam das umsetzen, was sie in der Logopädie gelernt haben. Dass dies nun weitgehend wegfällt, ist für Aphasiker schwierig.
2021 sollten wieder die „Würzburger Aphasie-Tage“ stattfinden, ein bundesweit einzigartiger Selbsthilfekongress. Da dies aufgrund der Pandemie immer noch nicht möglich ist, wird es stattdessen eine Online-Veranstaltung sein. „Damit begeben wir uns auf absolutes Neuland“, sagt Thomas Hupp. Während der Pandemie wurde zwar deutschlandweit sehr viel Erfahrung mit virtuellen Kongressen gesammelt. Doch es ist noch einmal etwas anderes, einen Kongress für Menschen anzubieten, deren Sprachvermögen eingeschränkt ist. Ohnehin handelt es sich bei den Würzburger Aphasie-Tagen um einen besonderen Kongress. Sinn und Zweck ist es, dass sich Betroffene, Angehörige, Mediziner und Therapeuten auf Augenhöhe begegnen und voneinander lernen.
Durch Austausch bei Kongressen wurden neue Projekte angestoßen
Dort, wo sich Expertenwissen mit den konkreten Erfahrungen von Patienten paart, kann Therapie so optimiert werden, dass sie noch besser hilft. „Durch den Austausch bei den Kongressen wurden in der Vergangenheit außerdem schon viele neue Projekte angestoßen“, berichtet Hupp. Den ersten Online-Kongress so zu gestalten, dass Austausch möglich wird, stellt eine Herausforderung dar. Das AZU fand ein auf virtuelle Kongresse spezialisiertes Unternehmen aus Bayern, das mithelfen will, eine adäquate Alternative zu der von jährlich rund 600 Teilnehmern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz besuchten Veranstaltung zu organisieren.
Auch wenn die Bedingungen 2020 alles andere als ideal waren, schaffte es das Team des AZU, Menschen mit Aphasie bestmöglich zu unterstützen. Auf diese Weise, so Hupp, konnte ein Beitrag dazu geleistet werden, dass Betroffene nach einem Schlaganfall nicht in Einsamkeit und Isolation gerieten. Beides stellt bei der Erkrankung „Aphasie“ ein generelles Risiko dar: Wer sich nicht gut ausdrücken kann, droht auch in ganz normalen Zeiten, ins Aus zu geraten.
Das Team des AZU ist unter Tel.: (0931) 299750 oder per Mail unter info@aphasie-unterfranken.de erreichbar.