Ein Griff in eine etwas angestaubte Musical-Mottenkiste war ein Revival des Musicals „Der Glöckner von Notre Dame“, das als „Das Original“ nach Victor Hugos Roman aus dem Jahre 1831 angekündigt wurde und jetzt im halbgefüllten Würzburger Congress Center zu erleben war.
Schon vor acht Jahren trieben Frollo und der bucklige Quasimodo im Glockenturm dieser „Originalproduktion nach Ch.de Lellis und P. Langer“ auf den Bühnenbrettern deutscher Stadttheater ihr Unwesen. Untote leben bekanntlich länger; in diesem Fall zu lange, denn die Produktion hat nichts mit dem 1999 erstmals außerhalb der USA uraufgeführten Disney-Musical zu tun, das drei Jahre lang mit großem Erfolg im Berliner Theater am Potsdamer Platz lief und dann „generalüberholt“ mit Songs des mehrfach mit Oscars und Golden Globe Awards prämierten Komponisten Alan Menken wieder auf die Bühne kam.
Düstere Stimmungsbilder
In Würzburg wurde die bewegende Geschichte über den verkrüppelten Glöckner Quasimodo und die gleich von vier Männern begehrte Zigeunerin Esmeralda nicht als Familienmusical für Jung und Alt erzählt, sondern orientierte sich an den düsteren Stimmungsbildern des Roman-Klassikers.
Die Atmosphäre des spätmittelalterlichen Paris brachte Tim Osten als Erzähler textverständlich nahe und schlüpfte zugleich in die Rolle des Dichters Pierre Gringoire, einem direkten Nachfahren des berühmten Victor Hugo.
Als erfolgloser Autor, dessen moralisches Schauspiel „Das gute Urteil der heiligen Jungfrau Maria“ dem Narrenfest des vergnügungssüchtigen Volks weichen musste, reihte er sich gleich mit dem Glöckner Quasimodo, dem Erzdechanten von Notre Dame Frollo und dem Hauptmann der Stadtwache Phöbus in ein Bewerber-Quartett um die Gunst der schönen Zigeunerin Esmeralda ein.
Esmeralda: eher brav als feurig
Diese verkörperte die Sopranistin Tamara Peters gesanglich und tänzerisch eher brav als feurig, was Quasimodo (Michael Ewig) und Frollo (Dale Tracy) nicht daran hinderte, ihr rettungslos zu verfallen. Lediglich der schlachtenerprobte Kämpfer Phöbus (Hermann Bedke) sah in Esmeralda nur eine seiner vielen Affären. Dabei erschloss sich dem geneigten Musical-Liebhaber nicht so richtig, warum die allseits begehrte Esmeralda unbeirrt an ihrer vermeintlich großen Liebe festhielt.
Die beiden einzigen Frauenrollen in diesem eher im Stil des finstersten Mittelalters gehaltenen Stücks, das der Romanvorlage, nicht aber der schmerzlich-süßlichen Disney-Welt seine Referenz erwies, waren mit Tamara Peters und Cemile Bakanyildiz als Esmeraldas Mutter Gundula gesanglich gut besetzt, litten aber hörbar unter den leicht hölzernen wirkenden Liedtexten.
Songs klangen alle ähnlich
Aus dem Sängerensemble ragte der amerikanische Tenor Dale Tracy als verklemmter und hinterhältiger Kirchenmann Frollo heraus, ohne dass seine Strahlkraft ausreichte, um dieser Produktion den ersehnten Glanz zu verleihen. Dazu klangen die Songs alle irgendwie ähnlich; es fehlt ein zündender Hit und Musik vom Band kann nie ein Live-Orchester ersetzen, mag die Tonanlage noch so gut ausgesteuert sein.
Das karge Bühnenbild überdeckte erfolgreich den Bühnenhintergrund ausfüllende Videoeinblendungen, die das Innere der Kathedrale, den Glockenturm, das Zigeunerlager und die Hinrichtungsstätte mit ihren unterschiedlichen Stimmungen bestens ausgeleuchtet suggerierten.
Ständig präsente Leere im großen Saal
Halbwegs erfolgreich bekämpfte das Regieduo Alexander Kerbst und Stefanie Kock die gefühlsmäßig ständig präsente Leere im großen Saal mit schwungvollen Choreographien, etwa von Michael Spiess als Bettlerkönig und Sergent mit dem Tanzensemble als Zigeuner, Soldaten, Bettler und Gaukler.
Zum Schluss wurde wohlwollend, aber nicht enthusiastisch geklatscht; ein etwas intimerer Rahmen hätte der Aufführung gut getan.