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WÜRZBURG
Kein Schmerzensgeld für Industriesilikon-Brüste
Enferntes Brustimplantat der Firma PIP       -  Defekt: Die Silikonimplantate der Firma PIP waren mit billigem Industriesilikon gefüllt.
Foto: DPA | Defekt: Die Silikonimplantate der Firma PIP waren mit billigem Industriesilikon gefüllt.
Gisela Schmidt
Gisela Schmidt
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:46 Uhr

Keinen Cent bekommt eine Frau, der in Würzburg mit billigem Industriesilikon gefüllte Brustimplantate eingesetzt wurden. Das Landgericht wies zwei Klagen der Patientin ab.

Der Leidensweg der Frau aus Baden-Württemberg begann im Januar 2008. Damals hatte sie sich in Würzburg Silikon-Kissen des französischen Herstellers Poly Implant Prothese (PIP) in die Brüste operieren lassen. Nach dem Eingriff, so klagt die Patientin vor dem Landgericht Würzburg, habe sie acht Wochen lang starke Schmerzen verspürt, sie habe sich nicht allein waschen und anziehen können und im Haushalt habe sie auch Hilfe gebraucht. In den nächsten vier Jahren habe sie brennende, ziehende, stechende Schmerzen in den Brüsten gehabt und sei extrem empfindlich gegen Wärme und Kälte gewesen.

Langes Leiden nach der OP

Am 8. Februar 2012 hatte die Frau die Nase voll. Sie ließ sich die Silikom-Implantate entfernen. Auch diese Operation, so ließ sie vor dem Landgericht Würzburg vortragen, sei sehr schmerzhaft gewesen.

Inzwischen steht fest, dass die Silikon-Kissen, die ihr 2008 eingesetzt wurden, nicht mit den für diesen Zweck freigegebenen Materialien produziert worden sind. Statt mit Spezialsilikon für medizinische Zwecke hatte PIP seine Implantate mit billigem Industriesilikon gefüllt, das als Dichtungsmasse auf dem Bau verwendet wird. Dieser Stoff, so die Anwälte der Frau vor dem Landgericht Würzburg, schwäche die Implantathülle, es sei keine Reißfestigkeit mehr gegeben und es könnten schwere Entzündungen auftreten.

54 000 Euro gefordert

Für ihr jahreslanges Leiden fordert die Baden-Württembergerin ein Schmerzensgeld von 45 000 Euro, sowie den Ersatz ihrer Aufwendungen von rund 9000 Euro. Zahlen sollen der TÜV Rheinland, der die PIP-Implantate zertifiziert hat und die französische Haftpflichtversicherung des inzwischen insolventen Herstellers.

Das Landgericht wies beide Klagen der Frau ab. Der TÜV Rheinland, so heißt es im Urteil der siebten Zivilkammer, habe die PIP-Silikonkissen zwar zertifiziert. Aber er hafte nicht. Laut Gesetz gebe es keine „allgemeine staatliche Präventivkontrolle“ von Medizinprodukten, heißt es in der Gerichtsentscheidung. Die Hersteller müssten selbst „für den sicherheitstechnischen Standard ihrer Erzeugnisse sorgen“. Zwar dürfe in Deutschland nur mit Medizinprodukten gearbeitet werden, die über ein CE-Kennzeichen verfügen. Das bedeute aber nicht, dass die Zertifizierungsstelle, die dieses Kennzeichen ausstellt, eine „hoheitliche Aufgabe“ erfüllt. Das CE-Zeichen sei kein „verwaltungsrechtliches Genehmigungsverfahren“ und einem solchen „auch nicht gleichgestellt“. Im Übrigen bestehe zwischen dem TÜV Rheinland und der Patientin „keine rechtsgeschäftlichen Beziehung“ und somit keine vertragliche Haftung.

Chance beim Berufungsgericht?

Auch die französische Haftpflichtversicherung von PIP muss der Frau kein Schmerzensgeld zahlen. Begründung des Gerichts: Der Klägerin habe keinen Anspruch, weil der in Deutschland eingetretene Schaden nicht zu den von PIP versicherten Risiken gehöre. Laut Versicherungsvertrag sähe das wohl anders aus, wenn die Silikonkissen nicht in Würzburg, sondern in Frankreich eingesetzt worden wären.

Im französischen Toulon hat das dortige Handelsgericht im Januar den TÜV Rheinland zur Zahlung von je 3000 Euro Schmerzensgeld an 20 000 Klägerinnen aus Frankreich verurteilt. Der TÜV hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Die Chancen, dass er auch in Frankreich nichts zahlen muss, stehen recht gut: Bereits im Sommer 2015 hat ein Berufungsgericht eine ähnliche Entscheidung wie die des Touloner Gerichts aufgehoben.

TÜV wurde getäuscht

Weltweit haben sich in den vergangenen 20 Jahren etwa 400 000 Frauen nach Brustkrebs-Operationen oder zur Brustvergrößerung PIP-Silikonkissen implantieren lassen. 30 000 dieser Patientinnen leben in Frankreich, mindestens 5000 in Deutschland. Die PIP–Implantate wiesen das CE-Zeichen auf und laut TÜV haben Prüfungen beim Hersteller vor Ort stets ergeben, dass das Unternehmen das „richtige“ Silikon verarbeitet habe. Inzwischen habe man herausgefunden, dass PIP immer dann, wenn keine Prüfer da waren, nicht zugelassenes Industriesilikon verwendet habe. Ein französisches Gericht hat bestätigt, dass der TÜV bei PIP getäuscht wurde.

Im Dezember 2011 war eine Französin, die sich PIP-Implantate hatte einsetzen lassen, gestorben. Danach wurde allen 30 000 französischen PIP–Kundinnen geraten, ihre Silikonkissen entfernen zu lassen. Das Unternehmen wurde zwangsliquidiert, PIP-Gründer Jean-Paul Mas wurde angeklagt. Im Mai 2016 wurde der damals 76-Jährige zu vier Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 75 000 Euro verurteilt. Er hatte eingeräumt, betrügerisch gehandelt zu haben. Dass das von PIP verwendete Industriesilikon eine Gefahr für die Gesundheit darstellt, hatte Mas allerdings bestritten.

(AZ: 71 O 2307/15, 71 O 1010/16)

 
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    Der TÜV .... Schadensersatzplichtig ?? traurig Einzelne haben da gar keine Chance.. !
    Europa .. Versicherungen, Haftung, VerbraucherRecht ? NIE !! Nur wenns ums Einkassieren von Beiträgen geht, dann über alle Grenzen hinweg. Leistung im Schadensfall ? Vergiss es. Versicherungen sind dazu da, möglichst viele Beiträge zu kassieren u. gewinnmindernde Schadensfälle abzuwehren ! Die Lobbyisten leisten im EU Parlament perfekte Arbeit..., der SPD- Martin Schulz hat sich in Brüssel aus dem Staub gemacht. In USA kriegst beim Biss auf den harten Samen eines SESAM-Brötchens bei MC Donald breits 2 Million $ u. hier... eine Watschn weil Du es wagst vom überirdischen TÜV einen Schadenersatz zu fordern. Egal, hauptsach die die jahrlich abgepressten Steuergelder werden für "Wir schaffen das " sinnvoll verwendet. traurig
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