Ausgiebig würdigten Verlage, Feuilletons und die Kulturszene im Jahr 2024 den 100. Todestag des Prager Schriftstellers Franz Kafka (1883-1924). In Würzburg war von diesen Feierlichkeiten wenig bis nichts zu erleben; erst jetzt, am Jahresende, zeigt die Würzburger Theaterwerkstatt mit "Amerika" eine Bühnenfassung von Kafkas drittem Roman, der inzwischen zumeist unter dem vom Autor vorgesehenen Titel "Der Verschollene" geführt wird. Theaterwerkstattleiter Thomas Lazarus hat aus den knapp 350 Romanseiten eine auf rund 160 Minuten verdichtete Bühnenfassung erstellt und mit einem sechsköpfigen Ensemble inszeniert.
Erzählt wird die Geschichte des Jugendlichen Karl Roßmann, der von seinen Eltern in den 10er-Jahren des 20. Jahrhunderts zur Auswanderung nach Amerika gezwungen wird. Statt dort Halt (durch einen Job) oder Geborgenheit (durch Freundschaften) zu finden, gerät er auf seinem "Road Trip" durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten in teils zwielichtige Gesellschaft und erlebt allerlei merkwürdige, teils surreal-groteske Abenteuer.
Lazarus bleibt in der Bühnenfassung eng am Text und verzichtet auf allzu üppige Dialoge. Ausführlich lässt er die Erzählerstimme des Romans zu Wort kommen und transformiert so den Sprachduktus der Vorlage zu einem veritablen Kafka-Sound-Gemälde. Auch die feine Ironie und der teils skurrile Humor des Textes werden durch expressive Kostüme und drastische Zeichnung der Figuren in immer wieder aufs Neue überraschenden Szenen zum Leben erweckt.
Rasante und perfekte Rollenwechsel
Jede und jeder der sechs DarstellerInnen (Agnes Conrad, Adrian Lazarus, Nick Danilcenko, Johannes Kern, Angelina Gerhardt, Uwe Bergfelder) übernimmt in dieser Reihenfolge einen Part aus der chronologisch erzählten Roßmann-Geschichte: u. a. von der Begegnung mit dem Schiffs-Heizer, dem überraschenden Treffen mit dem Onkel im Hafen von New York, seiner Arbeit als Liftboy bis zur abschließenden Fahrt zum "Naturtheater von Oklahoma", wo Roßmann schließlich als Trompeter eine Anstellung findet.
Darüber hinaus ist das Sextett in gleichermaßen rasanten wie perfekten Rollen- und Kostümwechseln in 20 weiteren Figuren des Romans zu erleben, deren oft groteske Überzeichnung das Publikum immer wieder laut losprusten lässt. Texte von Franz Kafka ("Bericht für eine Akademie", "Die Verwandlung", "In der Strafkolonie") sind seit der Gründung durch Wolfgang Schulz vor gut 40 Jahren im Off-Theater in der Würzburger Rüdigerstraße zu Hause. Die höchst kurzweilige und absolut sehenswerte "Amerika"-Inszenierung von Thomas Lazarus fügt dieser Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu.