Die Abhängigkeit von Alkohol und Medikamenten ist ein tief in der Gesellschaft verwurzeltes Übel – es zu lösen ein Kampf gegen Tabuisierung, Stigmatisierung und mangelndes Problembewusstsein. In Würzburg will nun eine neue Tagesklinik Patienten aus der Suchtspirale helfen. Das Besondere: Sie kommen tagsüber zur Therapie, gehen abends nach Hause und können in ihrer gewohnten Umgebung bleiben.
22 Therapieplätze
Drei Stockwerke hat die AHG Tagesklinik in der Textorstraße 4 angemietet. Man will am Gebäude nur unauffällig werben. Schließlich suchen Abhängige normalerweise einen geschützten Raum. Möchten nicht neugierigen oder gar strafenden Blicken von Passanten ausgesetzt sein. 22 Therapieplätze stehen zur Verfügung. Der örtliche AHG-Verwaltungsleiter Fabian Meid geht von einem großen Bedarf aus. „Die Alternative wäre eine zwei- bis dreimonatige stationäre Behandlung“ – wie etwa in der Mutterklinik in Wilhelmsheim bei Stuttgart. Mit Tageskliniken hat die Allgemeine Hospitalgesellschaft (AHG) – ein großes, inhabergeführtes Familienunternehmen mit Sitz in Düsseldorf, rund 45 Einrichtungen und 3000 Mitarbeitern – schon gute Erfahrungen gemacht. Einrichtungen wie nun in Würzburg gibt es seit sechs Jahren auch in Nürnberg und seit zehn Jahren in Stuttgart.
So verbreitet Alkohol- und Medikamentensucht in der Bevölkerung sind, so verschieden sind die Patienten: „Vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Manager kommen alle“, weiß Dr. Rosemarie Steinberg, die als Allgemeinärztin in der Würzburger AHG-Klinik arbeiten wird. Abhängigkeit, auch das hat sich gezeigt, hat geschlechtsabhängige Merkmale. Zugespitzt sagt die Ärztin: „Männer trinken, Frauen schlucken Tabletten.“ Zumindest in der Mehrzahl. Oft treten Depressionen als Begleiterscheinung auf. Abhängige haben Probleme, ihren Alltag zu bewältigen.
Genau hier will ihnen die Tagesklinik mit zunächst zehn Mitarbeitern Hilfestellungen geben – etwa mit Ernährungsberatung, mit Sport-, Kunst- und Ergotherapie in Form handwerklicher Arbeiten sowie mit einer Sozialberatung. Hierzu gehört beispielsweise das Bewerbungstraining als berufliche Unterstützung. Kern der in der Regel zwölfwöchigen Therapie sind die täglichen psychotherapeutischen Gruppensitzungen, in denen sich die Betroffenen offen austauschen. Auch Lebenspartner können einmal in der Woche miteingebunden werden.
Wenn die Patienten abends nach Hause gehen, müssen sie standhaft bleiben – auch wenn Freunde oder Nachbarn zum Schoppen einladen. Dies setzt eine gewisse Stabilität bei den Therapie-Teilnehmern voraus. Sie müssen Nein sagen können. In der Klinik erhalten sie auch dazu Anleitung und Begleitung. Dr. Stephan Rose, ärztlicher Leiter der Klinik und damit verantwortlich für die Therapie, ist überzeugt: Gerade der Verbleib beim Partner oder in der Familie motiviere die Patienten. Die Kinder freuen sich, wenn der Papa immer gesünder wird und wieder mehr mit ihnen unternimmt.“
Rückfälle sind dennoch nicht ausgeschlossen. Sie sollen dann gleich am nächsten Tag mit den Therapeuten besprochen und analysiert werden. Generell, so die Erfahrung Dr. Steinbergs, nehmen über das Reha-Tagesangebot mehr Abhängige Hilfe an als über die stationäre Entwöhnung. Wobei es auch für den Gang zur Tagesklinik einen Ruck braucht. Er kommt häufig erst nach Jahren des Verharmlosens oder des Verdrängens. Auslöser, so Klinikchef Rose, seien dann oft akute Probleme am Arbeitsplatz, in der Familie oder gesundheitliche Verschlechterungen.
Ab Ende Januar erster Betrieb
Noch Ende Januar will die AHG-Tagesklinik mit einer ersten kleinen Gruppe ihren Betrieb aufnehmen. Wer sich dort behandeln lassen will, muss eine Entgiftung hinter sich haben, auch ein Arztbericht mit medizinischen Befunden und ein Sozialbericht der Beratungsstelle ist vorzulegen. Die Rentenversicherung will laut Verwaltungsleiter Meid die Kosten übernehmen. Bei Patienten über Krankenkassen entscheiden diese nach Einzelfall. Jeden Donnerstag zwischen 18 und 19 Uhr können sich Interessierte die neue Klinik anschauen sowie Konzept und Mitarbeiter kennenlernen.