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Veitshöchheim
Kameradschaft in Stein gemeißelt
Andreas Münch (links), Freund des Verstorbenen, und der Kasernenkommandant in Veitshöchheim, Oberstleutnant Andreas Störmer, haben am Kasernenzaun einen neuen Gedenkstein aufgestellt.
Foto: Karsten Dyba | Andreas Münch (links), Freund des Verstorbenen, und der Kasernenkommandant in Veitshöchheim, Oberstleutnant Andreas Störmer, haben am Kasernenzaun einen neuen Gedenkstein aufgestellt.
Bearbeitet von Peter Kallenbach
 |  aktualisiert: 31.08.2019 02:11 Uhr

Wer das Wort „Kameradschaft“ erklären will, tut sich häufig schwer, einen treffenden Satz zu formulieren, heißt es in einer Pressemitteilung der Bundeswehr. Hunderttausende von Soldaten haben sie erlebt – sie ist das einende Band. Was Kameradschaft auch bedeuten kann, macht eine Geschichte deutlich, die sich jüngst in der Balthasar-Neumann-Kaserne zugetragen hat. Sie beginnt mit einem Kreuz, dem Wind und Wetter in den vergangenen 33 Jahren schon sehr zugesetzt hatten. So sehr, dass Andreas Münch sich immer wieder fragte, wie lange es wohl noch hält. Täglich joggen viele Soldaten auf der sogenannten „Kasernenrunde“ am Zaun entlang und an dem schlichten weißen Holzkreuz mit der verwitterten Messingplatte vorbei. Was damals wohl passiert sein mag?

Die 2. Kompanie des damaligen Sanitätsbataillons 12 hat dieses Kreuz vor mehr als 30 Jahren aufstellen lassen. Einige Jahre später brachte Andreas Münch das Messingschild mit einem Namen an dem anonymen Kreuz an. Es erinnert an seinen besten Freund, Stabsunteroffizier Jürgen Heer, Jahrgang 1962, aus dem unterfränkischen Marktbreit. Ein junger Mann der 80er Jahre, Vokuhila-Frisur und Schnauzer, der sportlich war und gerne Cowboy-Stiefel trug, und den das Schicksal jäh aus dem Leben gerissen hat. „Das war nicht zu begreifen“, erinnert sich Münch.

Als Andreas Münch am frühen Nachmittag des 5. Juni 1986, einem Donnerstag, den Rettungshubschrauber über der Kaserne hörte, dachte er sich nichts dabei. Erst am nächsten Tag erfuhr er, dass er einen Menschen verloren hatte, der ihm viel bedeutete. „Es war mehr als einfach nur Freundschaft“, sagt Münch heute. „Jürgen war so viel reifer als ich“. Er habe zu ihm aufgeschaut. „In dem Alter sucht man sich ja noch Vorbilder“, sagt er fast entschuldigend. „Er hatte schon eine Lebensphilosophie. Er ist für mich ein Wegweiser im Leben gewesen. Das bleibt bis heute.“ Immer fröhlich sei der Jürgen gewesen, streiten konnte man sich gar nicht mit ihm. „Er war ein Gemütsmensch, der Country-Musik liebte.“

Lungenembolie als Todesursache

Jürgen, der Sanitäter, und Andreas, der Funker, hatten ein Jahr zuvor noch gemeinsam den Unteroffizierlehrgang in Feldafing absolviert. Doch an diesem Tag im Juni brach Jürgen Heer beim gemeinsamen Ausdauertraining auf der Kasernenrunde plötzlich und unerwartet zusammen. Erst das Obduktionsergebnis hat Wochen später Gewissheit gebracht: Heer starb an einer Lungenembolie – womöglich auch deshalb, weil seine heftige Erkältung aus der Vorwoche noch nicht richtig auskuriert war.

33 Jahre später hat das Kreuz ausgedient. „Es war von Anfang an meine Befürchtung, dass das Kreuz nicht bleiben wird“, dass es irgendwann beim Mähen stört oder schlicht zerfällt, sagt Münch. Der 54-Jährige arbeitet heute als Stationsleiter im Würzburger Universitätsklinikum. An der Wache habe er stets seine Geschichte erzählt, um in die Kaserne gelassen zu werden, damit er nachschauen kann. Und während er jahrelang darüber nachdachte, was wohl aus dem Kreuz für seinen Freund wird, fragte sich am anderen Ende der Liegenschaft der Kasernenkommandant, was er mit seinem alten Kompanie-Stein machen soll.

Der Sandsteinbrocken stand einmal vor dem Unterkunftsgebäude und trug das Wappen seiner alten Kompanie, erinnert sich Oberstleutnant Andreas Störmer. Im Lapidarium des Kalten Kriegs, jener Steinsammlung zur Erinnerung an längst aufgelöste Bataillone auf einer Kasernenwiese, wollte Störmer ihn nicht abladen. Nun lag er in der Wiese nahe seines Büros – scheinbar so achtlos, dass er eines Tages verschwand. Die Grünflächenpfleger der Bundeswehr-Verwaltung habe er so lange genervt, bis der Stein wieder da war. „Was willst Du mit dem Ding?“, sei er immer wieder gefragt worden. „Ich weiß es noch nicht“, antwortete Störmer stets, „aber es wird der Tag kommen, da werde ich es wissen“.

Im Juni 2016, kurz nach Jürgens 30. Todestag – die Kaserne lud die Bevölkerung zum Tag der Bundeswehr – sprach Münch den „Kasernen-Bürgermeister“ Störmer, seinen alten Vorgesetzten, an. Und so fanden zwei zusammen, als wenn sie sich gesucht hätten. Störmer erkannte, dass sein aufbewahrter Stein nun endlich seine Bestimmung finden wird. Sergej Schäfer, ein Sportkamerad Münchs und von Beruf Steinmetz, hat den Brocken aus rotem Sandstein direkt auf dem Parkplatz vor Störmers Büro bearbeitet und daraus etwas Einzigartiges gezaubert. Münch hob am Kasernenzaun eigenhändig ein Loch aus, die beiden rührten den Beton an, stemmten den Stein in die richtige Position. In Zeiten, in denen Soldaten um Kameraden trauern müssen, weil sie im Auslandseinsatz mit barbarischer Gewalt, Tod und Verwundung konfrontiert werden und manchmal auch daran zerbrechen, sei dieses Thema allgegenwärtig, sagt Oberstleutnant Störmer. „Der Verstorbenen zu gedenken, auch das gehört zur Kameradschaft.“ Der Gedenkstein für Stabsunteroffizier Jürgen Heer, der vor 33 Jahren – inmitten eines trügerischen Friedens im Kalten Krieg – in Ausübung seines Dienstes starb, sei ein Beispiel dafür, dass es diese Haltung nicht erst gibt, seit die Bundeswehr in Auslandseinsätze entsandt wird.

„Ich war in den letzten Tagen ziemlich aufgeregt“, gesteht Münch. Jetzt steht er mit den Angehörigen am Kasernenzaun und betrachtet den neuen Stein. Die treue Verbundenheit der Angehörigen und das respektvolle Gedenken berühren ihn sehr, sagt Militärpfarrer Dr. Andreas Rudiger, der die Gruppe begleitet.  Jürgens Mutter, zwei seiner Brüder, seine damalige Freundin und die alte Clique sind gekommen. Für alle geriet die Welt damals mehr oder weniger aus den Fugen.

Es ist zu spüren, dass die Gefühle von damals sofort wieder präsent sind. Nicht zuletzt daran merkt man, dass die Verarbeitung eine Lebensaufgabe ist. 

 
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