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Würzburg
K wie Kutsche, H wie Hochzeitsstrauß
Bearbeitet von Michael Mahr
 |  aktualisiert: 09.05.2021 02:16 Uhr
Leonie Retzbach
Foto: AZU | Leonie Retzbach

Was man unter Aphasie versteht, das wird Hannah Vogler öfter gefragt. Dann erzählt sie von dem, was sie gerade ehrenamtlich tut: Die Logopädiestudentin engagiert sich für eine neue Online-Kommunikationsgruppe, an der junge Aphasiker und Aphasikerinnen teilnehmen. "Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung", erklärt Vogler. Ein Schlaganfall kann die Ursache sein. Davon sind gar nicht so selten auch junge Menschen betroffen, berichtet die 22-Jährige anlässlich des bundesweiten Tags des Schlaganfalls am 10. Mai.

Auch Menschen, die einen schweren Unfall erlitten haben, kämpfen manchmal mit Sprachstörungen. Aphasie kann außerdem als Folge eines Hirntumors auftreten. Egal, was der Grund ist: Betroffene finden seit über 30 Jahren im Aphasiker-Zentrum Unterfranken (AZU) Hilfe, informiert dieses in einer Pressemitteilung. Seit Ausbruch der Pandemie werde vorwiegend online unterstützt. Die neue Kommunikationsgruppe für junge Aphasiker sei am 8. Dezember von Leonie Retzbach im Rahmen ihres studentischen Praktikums gestartet worden. Das lief bis Ende Februar. Seither engagiere sich Retzbach freiwillig für das Projekt, an dem derzeit ein junger Mann und drei junge Frauen teilnehmen.

Zu Beginn jedes Onlinetreffens erkundigen sich die Ehrenamtlichen nach dem Wohlergehen der Gruppenmitglieder: Wie erging es ihnen in den letzten zwei Wochen? Was war erfreulich? Was lief nicht so gut? Danach werde spielerisch das Sprechen geübt, erklärt Hannah Vogler: "Zum Beispiel mit dem Spiel Stadt-Land-Fluss, das wir allerdings an unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer angepasst haben." Statt um Städte geht es um Reiseziele. Statt um Flüsse um Automarken. Und statt um Länder wird von A bis Z nach Wörtern gesucht, die mit Hochzeit zu tun haben: K wie Kutsche, H wie Hochzeitsstrauß.

Die Gruppe schützt vor Einsamkeit

Die Gruppe ermögliche es, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, neue Impulse aufzunehmen und Freude zu tanken, auch wenn alle Teilnehmenden mit einem schweren Schicksalsschlag klarkommen müssen. Eine Teilnehmerin erzähle zum Beispiel bei den vierzehntägigen Treffen, was ihr süßer Hund schon wieder angestellt hat. Eine andere Teilnehmerin berichte oft davon, wie toll sie von ihrer Familie unterstützt wird.

Nach einem Schlaganfall gebe es oft kein vollständiges Zurück ins alte Dasein: Betroffene müssten lernen, mit Handicaps zu leben. Der "Tag des Schlaganfalls" ziele nicht zuletzt darauf ab, Schlaganfälle zu verhindern. Oder zumindest zu versuchen, schwere Verläufe zu vermeiden. Das haupt- und ehrenamtliche Team des AZU kümmere sich gerade in der Pandemie intensiv um Schlaganfallpatienten. Einsamkeit zu verhindern, sei ein großes Ziel. Dabei spielten Ehrenamtliche wie Hannah Vogler und Leonie Retzbach eine entscheidende Rolle.

Sie habe große Sympathie für die Teilnehmenden ihrer Online-Kommunikationsgruppe, so Hannah Vogler: "Würden sie nicht so weit weg wohnen, würde ich mich sehr gerne mal live mit ihnen treffen." Doch die vier jungen Aphasiker und Aphasikerinnen kommen aus allen Teilen der Republik. Durch die Kommunikationsgruppe haben sie die Möglichkeit, sich ohne großen zeitlichen und organisatorischen Aufwand zumindest virtuell zu treffen, das Sprechen zu üben und einander vor Einsamkeit in der aktuell kontaktarmen Zeit zu schützen.

Die Einstellung zum Handicap lässt sich drehen

Die Aufgabe, mit einer Aphasie fertig zu werden, stelle hohe Anforderungen. Nicht zuletzt deshalb sei es so wichtig, sich Mitstreiter zu suchen, erklärt Leonie Retzbach. Wie hilfreich gerade Kommunikationsgruppen sind, erfuhr die 22-Jährige, die im sechsten Semester Soziale Arbeit studiert, während ihres Praktikums im AZU bei Gruppenbesuchen. Diese Besuche brachten sie auf die Idee, ein Online-Format für junge Menschen mit sprachlicher Beeinträchtigung ins Leben zu rufen, das dezidiert auf die Interessen von Männern und Frauen zwischen 20 und 30 abhebt.

An der Behinderung sei zwar nicht zu rütteln, doch die Einstellung zum Handicap lasse sich drehen. Man könne das Verlorene beklagen, oder Aufbrüche in die Zukunft wagen. In der Online-Kommunikationsgruppen geschehe Letzteres, erzählt Retzbach: "Alle haben Zukunftspläne." Eine junge Frau, die früher leidenschaftlich gern Fußball spielte, setzt sich weiter für den örtlichen Fußballclub ein, wenn auch nicht mehr als Spielerin. Die Teilnehmerin, die einen Hund hält, hat fest vor, mit ihrem Vierbeiner eine Therapiehundeausbildung zu durchlaufen. 

Dass Corona seit einem Jahr für alle das Leben änderte, könnte das Gespür für Menschen, die einen Schlaganfall oder einen anderen Schicksalsschlag erlitten haben, schärfen, hofft Retzbach. "Nahezu jeder hat gerade mit Einsamkeit und Isolation zu kämpfen", sagt sie. Viele hätten erkannt, wie wichtig es sei, zusammenzuhalten. Auch sie, die meist alleine vor dem Monitor studiert, schätze soziale Kontakte mehr denn je. Auf die Online-Kommunikationsgruppe freue sie sich deshalb jedes Mal sehr.

 
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