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GERBRUNN
Junge Tagesmutter klagt gegen Stadt und Landkreis
trab
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:57 Uhr

Jennifer Hartmann ist eine qualifizierte Tagesmutter. Das heißt, sie betreut neben ihren eigenen beiden Söhnen gegen Entgelt noch drei weitere Kinder bei sich zu Hause in Gerbrunn. Nun klagt Jennifer Hartmann, gegen Stadt und Landkreis Würzburg, wegen nicht „leistungsgerechter Bezahlung“ sowie das Zuzahlungsverbot – das Verbot also, von Eltern der von ihren betreuten Kinder zusätzliche Beiträge (für Essen, Windeln oder ähnliches) zu erheben.

Sie klagt außerdem, weil sie vom Kreisjugendamt seit November gar kein Geld mehr bekommt. Die Zahlung der Förderbeiträge wurde eingestellt, weil sie die Kooperationsvereinbarung nicht unterschrieben hat. Der Grund: Diese wäre nachteilig für sie gewesen. Weil sie, so erklärt Anwältin Carmen Stocker-Preisenberger, ihre Klientin einseitig binde, das Jugendamt aber nicht in gleichem Maße verpflichte. Hinzu kommt: „Grundsätzlich ist ein Kooperationsvertrag laut Gesetz nicht Bedingung für die Förderung einer Tagespflegeperson.“

Leicht gefallen ist die Klage der jungen Mutter nicht. „Im Prinzip ist das so, als wenn ich gegen meinen Arbeitgeber klage. Das ist kein schönes Gefühl.“ Da sie als ausgebildete Erzieherin jedoch jederzeit wieder eine Arbeitsstelle findet, falls das Tischtuch zwischen ihr und den Jugendämtern gänzlich zerschnitten sein sollte, wagte sie diesen Schritt. „Viele andere Tagesmütter“, ist sie überzeugt, „leiden wie ich unter den schlechten Bedingungen, sind aber oft seit Jahren aus dem Beruf heraus und können es sich daher nicht leisten, es sich mit dem Jugendamt zu verscherzen und eventuell plötzlich ohne Einkommen dazustehen“.

Tatsächlich, sagt Stocker-Preisenberger, bereiten sich mittlerweile immer mehr Tagesmütter, auch in Unterfranken, auf eine Klage vor. Der Grund: Seit der Einführung der staatlich geförderten und damit für Eltern günstigeren Kindertagespflege, schwindet der Markt für die freien Tagesmütter. Damit bestimmt nicht mehr der Markt den Preis, sondern die Behörden legen den Verdienst der Tagesmütter fest.

„Viele andere Tagesmütter, leiden wie ich unter den schlechten Bedingungen.“
Jennifer Hartmann Tagesmutter

„Und deren Sätze sind einfach viel zu niedrig, und zusätzlich wird den Tagesmüttern noch ein Zuzahlungsverbot auferlegt“, sagt die Anwältin. Sie vergleicht das mit anderen freien Berufen etwa im Gesundheitswesen. Diese können jederzeit, über die mit den Krankenkassen vereinbarten Sätze hinaus, zusätzlich erbrachte Leistungen privat abrechnen.

Jennifer Hartmann hat durchgerechnet, wie viel sie monatlich verdienen müsste, um Vor- und Nachbereitungszeiten, Ausfallzeiten wegen Krankheit, Urlaub oder „schlechter Auftragslage“ (wenn die Plätze bei ihr nicht voll belegt sind) zu überstehen. Denn Geld bekommt sie nur für die Zeit, in der sie Kinder betreut. Damit am Ende die Rechnung noch stimmt, fordert Hartmann einen Stundensatz, von mindestens 4,50 Euro brutto pro Stunde und Kind. Damit verkleinere sich auch der krasse Unterschied der Bezahlung im Vergleich zu angestellten Erziehern, sagt sie. Der, so urteilten bereits Gerichte, sei ohnehin nicht gerechtfertigt.

Weil Tagesmüttern anders als Angestellten keine Lohnfortzahlung bei Krankheit oder Urlaub zustehe und sie „eine Vielzahl an organisatorischen Leistungen erbringen, die im Bereich der institutionellen Kinderbetreuung dem Träger oder der Leitung obliegen“ (VG Düsseldorf am 19-11-2013), sei es nicht rechtens, die Vergütung mit dem Bruttolohn angestellter Erzieher zu vergleichen oder sich bei der Höhe der Sätze ausschließlich an den geleisteten Betreuungsstunden zu orientieren.

Jetzt muss das Verwaltungsgericht Würzburg Gericht entscheiden. Die Anwältin sieht gute Chancen auf Erfolg für ihre Klientin. Verschiedenste Gerichtsurteile in letzter Zeit, bei denen in ähnlichen Fällen die Tagesmütter Recht bekamen, machen der Anwältin und ihrer Klientin Mut.

Interessant ist das Ergebnis für alle Tagesmütter im Landkreis. Denn der Fachbereich Verwaltung der Jugendhilfe im Landkreis Würzburg erklärt in einer Stellungnahme: Auch wenn man erst im April 2014 die Betreuungssätze (von drei Euro auf 3,98 Euro brutto) erhöht habe, sei die Verwaltung vom Kreisausschuss beauftragt worden, „die Höhe der laufenden Geldleistungen zu prüfen; dabei soll die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Würzburg im Rahmen der anhängigen Klage Berücksichtigung finden“.

Die Argumente für die Klage

• Die Jugendämter legen die Betreuungssätze pro Kind und Stunde fest, verbieten aber zusätzliche Privatvereinbarungen mit den Eltern und behalten sich das Recht vor, den Tagesmüttern von heute auf morgen die Förderung zu entziehen, wenn sie die Mindestanzahl betreuter Kinder unterschreiten.

• Die Zahl der Verträge wird begrenzt. Selbst wenn die Betreuung in den so genannten Randzeiten erfolgt, dann also wenn andere Betreuungseinrichtungen ausfallen, dürfen Tagesmütter nicht mehr als acht Verträge abschließen. Und nicht mehr als fünf Kinder gleichzeitig betreuen. Letzteres steht nicht zur Debatte, sagt die Anwältin. Aber warum Tagesmütter nicht beispielsweise an einzelnen Tagen morgens bis zur Schul- oder Kindergartenöffnung eine Handvoll Kinder betreuen kann und am Spätnachmittag, nach der Schließung, andere fünf, ist nicht nachvollziehbar.

• Für einen Monat Vollzeitbetreuung

setzen die Jugendämter aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung 160 Arbeitsstunden (also vier mal 40 Stunden) an. Und nur diese bezahlen sie den Tagesmüttern auch. Tatsächlich allerdings hat ein Monat aber mehr als vier Wochen. Aufs Jahr gerechnet bedeutet das, dass betroffene Tagesmütter durchschnittlich pro Monat 13 Stunden unbezahlt arbeiten.

• Der Anteil für Betriebskosten (Strom, Miete, Müll, Verpflegung etc.), der in der Stundenpauschale pro Kind eingerechnet ist, wurde seit 2009 nicht mehr angepasst, steigenden Lebenshaltungskosten zum Trotz.

 
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Kommentare
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  • G. S.
    Gegen diese Erbsenzähler in der Bürokratie gehört demonstriert, und zwar jede Woche! Sie sind es, die mit ihrer Kleingeistigkeit anständige Bürger drangsalieren. Niemand sollte mehr einen Vertrag mit dem Staat eingehen. Boykottieren wo immer es geht. Landräte und Bürgermeister wollen vor Wahlen immer etwas ändern, sprechen von schlanker Verwaltung. Nichts davon ist wahr! Hauptsache die Kohle kommt pünktlich im Voraus zum ersten eines Monats, während rechtschaffende Bürger in die Röhre gucken. traurig
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