Als Johannes Mack auf der Orgel den Gottesdienst in der Friesenhäuser Schlosskirche begleitete, schweifte sein Blick in einer Spielpause in das Gewölbe der von 1713 bis 1715 erbauten Kirche. Da hatte er die zündende Idee. Als Student der Architekturgeschichte an der Universität in Saarbrücken war er auf der Suche nach einem Thema für seine Magisterarbeit. Warum sollte er diese nicht über den Erbauer dieser Kirche schreiben – über den Würzburger Hofbaumeister Joseph Greissing, der sehr viele Kirchen, Schlösser und Verwaltungsgebäude in Mainfranken gebaut hatte und der der Vorgänger des genialen Baumeisters Balthasar Neumann war.
Mack begann zu forschen und beim Studium alter Schriftstücke fiel ihm auf, dass der Architekt sich selbst „Joseph Greissing“ schrieb. Für ihn gibt es keinen Grund, davon abzuweichen, auch wenn Greissing in Würzburg bisher meist mit einem „s“ geschrieben wird. So gibt es eine Greisingstraße, aber auch eine Berufsschule, die sich gar „Josef-Greising-Schule“ nennt. Für Mack ein Versehen: „Josef mit 'f' kam in der damaligen Zeit nicht vor.“
Bei seinem Studium der Quellen und der Literatur erkannte er bald, dass über Greissing nur sehr wenig geschrieben worden ist. „Er steht zu sehr im Schatten des genialen Nachfolgers Balthasar Neumann“, so Mack. Dies sei sein Pech gewesen. Durch Neumanns Ruhm sei das Werk von Greissing nicht angemessen gewürdigt worden. Manche Bauten von Greissing seien auch Balthasar Neumann zugeschrieben worden, obwohl sie vom Baustil Greissing zugeordnet werden müssten.
So war bald seine Grundthese geboren, für die er im Laufe seines Forschens immer mehr Belege fand. Ohne Greissing hätte Balthasar Neumann seine Genialität nicht so schnell entfalten können. Neumann steht gewissermaßen auf den Schultern von Greissing, der als Nachfolger von Antonio Petrini etwa ab 1701 Hofbaumeister war. Johann Philipp Franz von Schönborn entschied sich dann 1719 für Balthasar Neumann als dessen Nachfolger. Dieser baute gleich als erstes Werk die Residenz. Nach Meinung von Mack sei dies nur möglich gewesen, weil sich der damals noch junge Baumeister von Greissing solide Grundkenntnisse beispielsweise im Gewölbebau erworben hatte.
Mack forschte weiter und baute schließlich in seinem Studium der Kunstgeschichte in Saarbrücken die Magisterarbeit zu einer Doktorarbeit aus. Nach Unterbrechungen, in denen er als Archivpfleger im Diözesanarchiv Würzburg gearbeitet hatte, reichte er die Doktorarbeit im August 2006 zur Prüfung ein; sie erhielt das Prädikat „opus eximium“ („ein herausragendes Werk", d.h. Note 1,0).
Diese Bewertung wird nur ganz selten vergeben und sie verlangt eine Bestätigung durch eine weitere Universität. „Disputatio“ nennt man die abschließende mündliche Prüfung, in der der Autor seine Thesen öffentlich verteidigen muss. Da der Hauptwirkungsort von Greissing Würzburg war, erfolgte die Drittkorrektur auch an der Universität Würzburg, die Mack erfolgreich bestand. Schließlich war er mittlerweile zum absoluten Experten in Sachen Joseph Greissing geworden.
Drei Jahre hat es dann gedauert, bis seine Doktorarbeit (800 Seiten, 350 Bilder!) als Luxusausgabe mit Goldprägung von der Gesellschaft für fränkische Geschichte herausgegeben wurde. Im Juli dieses Jahres hat der mittlerweile 38-jährige Mack, der nun als Religionslehrer im Dienst der Diözese arbeitet, sie stolz in Würzburg der Öffentlichkeit präsentiert. „Sie ist jetzt schon zum Standardwerk über Greissing geworden“, sagt er selbstbewusst. Viele Universitäten hätten sie bestellt. Selbst britische, französische und amerikanische Universitäten seien darunter.
In seiner Doktorarbeit vertritt er die These von Greissing als Wegbereiter Balthasar Neumanns und belegt diese mit vielen Beispielen wie dem Kuppelbau. Nach Erkenntnissen von Mack hat Greissing die Technik der Eisenarmierung für den Gewölbebau perfektioniert. Die alten Römer hatten ihre Kuppeln ohne Eisen gebaut. Dazu brauchte man aber dicke Mauern. Greissing verpasste dem Gewölbe ein Eisengerüst, das den Druck senkrecht auf die Grundmauern ableitet und so eine filigranere Bauweise ermöglicht. Gleichzeitig nimmt er als Baumaterial den besonders leichten Tuffstein. Dies sei beispielsweise an der Neumünsterkuppel in Würzburg neben dem Dom zu sehen, die ein Werk von Greissing ist.
Balthasar Neumann übernahm diese Technik dann für die Residenzgewölbe in Würzburg. Er bediente sich damit eines Verfahrens von Greissing, er bediente sich aber auch des Bauunternehmens „Greissing“. Denn Greissing war nicht nur Architekt, er war laut Mack auch Großbauunternehmer. Er sei der erste in Mainfranken gewesen, der Baukörper schlüsselfertig übergeben hätte. Wenn eine neue Kirche gebaut wurde, habe er oft alles geliefert bis auf Bänke und Altar. „Ein Logistiker ersten Ranges“, meint Mack. So sei es auch beim Residenzbau gewesen, der vom Bauunternehmen „Greissing“ mitgebaut worden sei (1719 bis 1749), obwohl Greissing selbst im Jahr 1721 an einer „hitzigen Krankheit“ gestorben ist, wie es in den Quellen heißt.
So war auch Quellenforschung ein wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit, sagt Mack. Unbedingte Voraussetzung war, die lateinische und auch die altdeutsche Schrift lesen zu können. Damals seien auch viele Abkürzungen gebräuchlich gewesen, deren Sinn sich nur dem geübten Experten erschließt. Das alles sei sehr mühsam gewesen. Mack erinnert sich, dass er oft wochenlang in Archiven gestöbert habe. „So lange bis der Kopf raucht.“
Doch dann waren da auch die tollen Momente, als er endlich den entscheidenden Hinweis gefunden hatte. Da ist er. Der Beweis, dass Greissing an diesem Ort tätig war. Einmal konnte er dies anhand einer Rechnung über Hafer nachweisen, die Greissing gestellt wurde und die zur Verpflegung seines Pferdes nötig war. Damals wurden die Wege in der Regel mit dem Pferd zurückgelegt.
Mack betont als Fazit seiner Doktorarbeit, dass er das Wirken von Greissing nicht dem von Balthasar Neumann als gleichrangig gegenüberstellt. Die Bedeutung von Greissing sieht er in dem enormen Umfang und der stilistischen Dominanz über die Architektur einer ganzen Epoche mainfränkischer Baukunst innerhalb der süddeutschen Barockarchitektur. Greissings Verhängnis sei der ständige Vergleich mit seinem Nachfolger am Würzburger Fürstenhof gewesen, dem künstlerisch haushoch überlegenen Balthasar Neumann, einem europäischen Glanzlicht. Da müsse der „nur“ gute Architekt maßlos abfallen.
Mack sieht in Greissing einen Verfechter des gut proportionierten Hausteinbaus und Entwerfer von konstruktiv ausgereiften Gewölben und Kuppeln. Seine Einturmfassaden bei Sakralbauten seien ein Leitmotiv bis zum Spätrokoko gewesen. Mack zeigt in seiner Doktorarbeit auf, dass Neumann von Greissing viel mehr gelernt hat, als bisher gedacht. Die Würzburger Forschung habe sich aber nach Meinung von Mack um Greissing nur wenig gekümmert. Schließlich hatte man ja Balthasar Neumann. „Das ist mein Glück gewesen“, sagt Mack. „Daher konnte ich diese Arbeit schreiben.“
Daten & Fakten
Joseph Greissing Geboren 1664 bei Bregenz in Vorarlberg. Er absolvierte dort eine Lehre als Zimmermann. Erster Beleg für Greissings Anwesenheit in Würzburg aus dem Jahr 1698. Er löste spätestens 1701 Antonio Petrini als Hofbaumeister ab und blieb es bis 1719.
Eine Auswahl von Greissings Werken
Fürstenbau und Gartenpavillon des Juliusspitals, Neumünster, St. Peter, Rückermainhof und Priesterseminar Würzburg
Rathäuser Eibelstadt, Iphofen und Haßfurt
Das Buch
Johannes Mack: Der Baumeister und Architekt Joseph Greissing. Mainfränkischer Barock vor Balthasar Neumann, ISBN 978-3-86652-816-1, 59 Euro.