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Würzburg
Job bei "Brauchbar": "Was wird mit mir in zwei Jahren?"
Sie hat derzeit eine feste Stelle: Sylvie Weißenberger beim Sortieren der Kleiderspenden im Sozialkaufhaus 'Brauchbar'.
Foto: Robert Mayer | Sie hat derzeit eine feste Stelle: Sylvie Weißenberger beim Sortieren der Kleiderspenden im Sozialkaufhaus "Brauchbar".
Bearbeitet von Andreas Köster
 |  aktualisiert: 20.02.2022 02:25 Uhr

Sie hatte sich jahrelang bemüht, einen Job zu bekommen. Doch nichts klappte. „Von 2003 bis 2013 war ich durchgängig arbeitslos“, erzählt Sylvie Weißenberger. Seit drei Jahren hat die 52-Jährige endlich wieder eine feste Stelle: Sie arbeitet in der „Pfundgrube“ von „Brauchbar“. Den Einstieg hat sie dem Instrument „Sozialer Arbeitsmarkt“ zu verdanken. Darüber berichtet das Sozialkaufhaus "Brauchbar" anlässlich des Welttags der sozialen Gerechtigkeit (20. Februar) in einer Pressemitteilung. Das Instrument "Sozialer Arbeitsmarkt", so gut es ist, habe allerdings einen Haken: Gefördert wird lediglich für fünf Jahre. „Was wird mit mir in zwei Jahren?“, fragt sich Sylvie Weißenberger bang.

„Brauchbar“ ist kein nur an Kommerz orientiertes Unternehmen: Der Sozialbetrieb gibt Menschen eine Chance, die kaum einer auf dem ersten Arbeitsmarkt haben will. Diese Chancen zu eröffnen, hat für Geschäftsführer Thomas Johannes etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Allerdings müssten die Chancen wirklich nachhaltig eröffnet werden, appelliert er anlässlich des Welttags der sozialen Gerechtigkeit am 20. Februar. Es dürfe nicht sein, dass man Menschen nach Ablauf von fünf Förderjahren wieder im Regen stehen lässt. Unterm Strich könnte dies die gesamte Förderung fragwürdig machen, droht doch dann alles verloren zu gehen, was mühsam aufgebaut wurde, argumentiert er in der Pressemitteilung.

Ein lang gehegter Wunsch

Für Sylvie Weißenberger ging ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung, als sie 2019 eine Festanstellung bei „Brauchbar“ erhielt. Das Sozialunternehmen kennt die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte bereits seit 2013. Damals stieg sie als Ein-Euro-Jobberin bei „Brauchbar“ ein. Allein sei hilfreich gewesen, so die dreifache Mutter: „Endlich hatte ich wieder einen durchstrukturierten Tag.“ 2014 lief die Arbeitsgelegenheit aus. Weißenberger entschied sich, ehrenamtlich bei „Brauchbar“ weiterzuarbeiten da ihr die Tagesstruktur und die sozialen Kontakte sehr wichtig sind. Das tat sie fünf Jahre lang. Nun hofft sie sehr, dass eine weitere Förderung ihres Arbeitsplatzes nicht an Geldknappheit in den öffentlichen Kassen scheitert. Dies fände sie ungerecht.

Geschäftsführer Johannes meint, es sollten mehr Mittel in die Förderung von Menschen mit Leistungsminderungen fließen. „Brauchbar“ selbst beschäftigt derzeit 13 Langzeitarbeitslose über den „Sozialen Arbeitsmarkt“. Die Jobs werden in den ersten beiden Jahren vollständig gefördert, ab dem dritten Jahr steigt der Eigenanteil des Betriebs jährlich um jeweils zehn Prozent.

Kleider sortieren in der "Pfundgrube"

Dass man irgendwann die Nase voll davon hat, nur zu Hause zu sein, bestätigen fast alle Menschen, die lange vergeblich nach einem Job suchten, heißt es in der Mitteilung. Frustrierend sei es vor allem, immer wieder Absagen von potenziellen Chefs zu kassieren. „Will mich denn niemand haben?“, hatte sich auch Sylvie Weißenberger in der langen Zeit ihrer Erwerbslosigkeit gefragt. Nicht zuletzt aufgrund ihrer bitteren Erfahrungen geht sie heute jeden Tag gern zur Arbeit. „Ich bin in der ‚Pfundgrube‘ in der Kleidersortierung tätig, zeichne Waren aus, fülle Warenbestände auf und mache Reinigungsarbeiten“, sagt die Würzburgerin.

Sylvie Weißenberger bei der Sortimentspflege in der 'Pfundgrube'.
Foto: Robert Mayer | Sylvie Weißenberger bei der Sortimentspflege in der "Pfundgrube".

Weißenberger schildert in der "Brauchbar"-Mitteilung ihren Fall. Als Arbeitslose hatte sie sich oft als Outsiderin gefühlt. Andere erzählten, was sie heute auf der Arbeit erlebt hatten. Sie verdienten genug Geld, um sich mal was Gutes zu gönnen. Sylvie Weißenberger war immer arm gewesen. Und sie konnte lange nicht stolz sein auf etwas, was sie im Arbeitsleben geleistet hatte. Das hatte sich vor drei Jahren endlich geändert. „Seit Frau Weißenberger bei uns ist, ist sie viel selbstbewusster geworden“, konstatiert Thomas Johannes. Genau deswegen kämpfe er um Teilhabechancen für Menschen mit Leistungsminderungen: Von der Erwerbswelt ausgeschlossen zu sein, macht nicht selten psychisch krank.

Schlechte Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt

Sie würde eine sehr bittere Pille schlucken müssen, könnte sie in zwei Jahren nicht weiterbeschäftigt werden, sagt Sylvie Weißenberger. Denn obwohl sie sich stabilisiert hat, seien ihre Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt immer noch schlecht. Das liege an mehreren Schicksalsschlägen, die hinter der 52-Jährigen liegen. Nicht zuletzt ihre Scheidung hatte der „Brauchbar“-Mitarbeiterin schwer zu schaffen gemacht. Weißenberger kann wohl auch künftig nicht das leisten, was andere zu leisten imstande sind. Thomas Johannes wäre darum auf eine dauerhafte Förderung ihrer Stelle angewiesen.

Ein unbefristeter sozialer Arbeitsmarkt wäre ein echter Quantensprung in der Arbeitsmarktpolitik, sagt er. Zum einen müsste das im Januar 2019 gestartete Programm „Sozialer Arbeitsmarkt“ an sich dauerhaft implementiert werden. Hier schaue es auch ganz gut aus, zumindest gibt es im Koalitionsvertrag positive Zeichen, dass das Programm entfristet wird. Andererseits fehlen laut Johannes diese positiven Zeichen noch, was die individuelle Befristung der Jobs für die bisher auf dem „Sozialen Arbeitsmarkt“ beschäftigten Menschen anbelangt. Für viele Programmteilnehmer sei daher laut "Brauchbar"-Mitteilung die Zukunft nach Ablauf der fünfjährigen Förderdauer noch ungewiss.

 
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