Wie riesige, übereinander gestapelte Schachteln mit Fenstern drin wirkt die Installation vor der nüchternen Halle an der Rothenburger Straße in Röttingen. Die Schachteln erinnern an Tiny Homes – winzige, funktionale Häuser als moderner Gegenentwurf zu Wohnungsknappheit und Mietpreisexplosion. Der Vergleich kommt nicht von ungefähr, nur dass sich Bildhauer Winfried Baumann schon seit zwei Jahrzehnten auf künstlerische Weise mit dem Thema beschäftigt, lange bevor daraus ein Trend wurde.
Werkschau und Lager
In seiner Heimatstadt haben sich der Künstler und seine Partnerin Anna Bien in fünfjähriger Arbeit einen großzügigen Rahmen für ihr Oeuvre geschaffen – Werkschau und Stauraum in Einem, wie schon der Name „Kunstlager BaumannBien“ erahnen lässt. Am Sonntag, 8. Juli, öffnet sich das Kunstlager einem Kreis geladener Gäste. Anschließend steht es auch der Öffentlichkeit offen. Ab dem kommenden Jahr sollen dort nach einem festen Programm auch Wechselausstellungen, Lesungen und Konzerte stattfinden.
Winfried Baumann entstammt einem Steinmetz-Betrieb, der sich in den letzen Jahren zunehmend auf die Verarbeitung von Marmor spezialisiert hat. Er lebt seit mehr als drei Jahrzehnten in Nürnberg, hat sein Hauptatelier aber noch immer im Bieberehrener Ortsteil Buch.
Klassische Ausbildung
Nach der Ausbildung zum Steinmetz und Holzbildhauer studierte er an der Akademie der Bildenden Künste und lernte dort 1982 die Koreanerin Anna Bien kennen. Sie hatte zuvor in ihrer Heimat bereits ostasiatische Kunst studiert. Seitdem sind sie ein Paar, zunächst künstlerisch, seit 22 Jahren mit Trauschein.
An Baumanns klassische Ausbildung erinnert im Kunstlager nur wenig. Seine Werke, die in drei Etagen die Wand einnehmen, befassen sich vornehmlich mit dem modernen Nomadentum: winzige Schlafcontainer sind dort zu sehen, ausgestattet mit den Utensilien eines Obdachlosen, eines Campingurlaubers oder eines Büromenschen. Oder flache Metallkoffer, deren Innenleben eine Schlafstätte freigeben.
Wohnsysteme für Obdachlose
„Instant Housing – Wohnsysteme für Obdachlose und andere Nomaden“ nennt Baumann die Installationen. Der Künstler will damit gesellschaftliche Entwicklungen thematisieren. Das moderne Nomadentum hat alle sozialen Schichten erreicht. Die einen ziehen umher, weil sie sich keine Wohnung leisten können, die anderen, weil es ihre Spitzenkarriere verlangt. Hinzu kommen die weltweiten Flüchtlingsbewegungen, die Baumanns Projekt gewissermaßen eingeholt haben.
Subtile Gesellschaftskritik
Was auf den ersten Blick als Parodie erscheint, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als subtile Gesellschaftskritik. „Die ist für mein Kunstverständnis sehr wichtig“, sagt Winfried Baumann, „Kunst hat immer eine gesellschaftliche Verantwortung. Und Kunst kann Aufmerksamkeit erregen und Denkanstöße geben.
Obwohl sie als Kunstobjekte erdacht wurden, fanden einige der Werke sogar einen praktischen Nutzen. Mit Unterstützung von Sponsoren wurden einige der „Instant Houses“ tatsächlich an Obdachlose verschenkt. Und auch der Wagen, den Winfried Baumann für die Verkäufer von Obdachlosenzeitungen entworfen hat, sei inzwischen in einigen deutschen Städten im Einsatz.
Sinnlicher Gegenentwurf
Anna Biens sinnliche Werke wirken wie ein Gegenentwurf. Den Baum, den sie schon in der Rohbauphase mit Bleistift auf eine sechs Meter hohe Platte an der Rückwand der Halle gemalt hat, drückt tiefe Verwurzelung aus. Sie hat das Bild Winfried Baumanns Vater Alfons gewidmet, der ihr regelmäßig bei der Arbeit zusah. In vielen ihrer Bilder kommt die Tradition der fernöstlichen Malerei zum Ausdruck. In anderen Werken befasst sie sich mit ihrer Identität als Wanderin zwischen den Kulturen.
„Als Künstler haben wir immer sehr darauf geachtet, dass jeder seine eigenständige Position behält“, sagt Anna Bien. „Wir merken trotzdem, dass die Dinge sehr viel miteinander zu tun haben“, ergänzt Baumann. Besonders deutlich wird dies in dem Teil des Kunstlagers, in dem er seine Frühwerke untergebracht hat, und jene, die ihn als klassischen Bildhauer auszeichnen.
Kathedralen des Mülls
Hier finden sich auch die Entwürfe und Modelle für seine „Kathedralen des Mülls“: Seit drei Jahrzehnten arbeitet Baumann an dem Thema. Müll sei Teil unserer Zivilisation. Statt die Überreste unserer Konsumgesellschaft zu verstecken, plädiert er dafür, sie auf künstlerische Weise sichtbar zu machen. Große, Schiffsrümpfen gleiche Überbauten hat er dazu entworfen, die den Müll nicht verschwinden lassen, sondern dazu einladen, ihn in ferner Zukunft als Rohstoffquelle zu nutzen.
Kunst demokratisieren
Verblüffende Gedanken, wie der Kunstautomat, an dem Besucher für fünf Euro ein autorisiertes, in limitierter Stückzahl hergestelltes Werk verschiedener Künstler erwerben können. „Kunst für alle“ steht auf dem umgenutzten Zigarettenautomaten. „Kunst zu demokratisieren ist für uns ein ganz wichtiges Thema“, erklärt Winfried Baumann.
Auf dem Gelände des Steinwerks, das inzwischen sein Neffe führt, haben sich der inzwischen 62-jährige Baumann und Anna Bien einen lang gehegten Traum erfüllt. „Es ist eine gewisse Zwischenbilanz über unser Lebenswerk“, sagt der Künstler dazu, „wir sind eine Generation, die auch schon mal Rückschau halten kann.“
Einbringen in die Region
Der Standort für das Kunstlager und die Kooperation mit dem Familienbetrieb habe sich angeboten, zum Einen, weil die Firma die erforderliche Logistik bereithält, zum Anderen, weil dort ein sehr kunstinteressierter und zahlungskräftiger Kundenkreis verkehrt. Genauso wichtig ist für Winfried Baumann aber der Bezug zu seiner Heimat. „Wir wollen uns damit einbringen in das kulturelle Leben in der Region.“
Nach der Eröffnung vor geladenen Gästen am Sonntag ist die Ausstellung im Kunstlager BaumannBien vom 9. Juli bis zum 12. August öffentlich zu sehen. Ab dem kommenden Jahr plant Winfried Baumann ein festes Programm mit Wechselausstellungen und anderen Kulturveranstaltungen.
Öffnungszeiten: Sonntag von 11 bis 17 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung, Tel. (01 76) 92 24 42 25 und (09 11) 22 41 49, Eintritt: 4 €.