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Ist die Kritik aus Unterfranken an Carola Rackete berechtigt?
Anstatt einen "Hafen in Libyen" anzulaufen, habe die Sea-Watch-Kapitänin Kurs auf Europa genommen, empört sich Retzbachs CSU-Bundestagsabgeordneter Hoffmann - zu Recht?
Eine Demonstrantin hält ein Bild von der 'Sea-Watch'-Kapitänin Carola Rackete mit der Aufschrift '#FREECAROLA!' in der Hand. Mit einer Mahnwache haben am Dienstag etwa 100 Menschen vor dem italienischen Generalkonsulat in Köln für die Freilassung der Kapitänin demonstriert. 
Foto: Federico Gambarini, dpa | Eine Demonstrantin hält ein Bild von der "Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete mit der Aufschrift "#FREECAROLA!" in der Hand.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:25 Uhr

Ist die Kritik aus Unterfranken an Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete berechtigt? "Anstatt einen unter internationaler Aufsicht stehenden Hafen in Libyen anzulaufen, wurde Kurs auf Europa genommen. Das ist ein fatales Signal in die Krisenregionen überall in Afrika“, sagt der Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann aus Retzbach (Lkr. Main-Spessart). Stimmt das? Darüber sprachen wir mit der Expertin für Seerecht, Professorin Nele Matz-Lück von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Sie hat dort den Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht und Seerecht inne und ist Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, dem ältesten Universitätsinstitut für internationales Recht in Deutschland. Zudem ist sie Professorin an der Universität Tromsö in Norwegen und Mitglied des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holstein.

  • Update, 21 Uhr: Sea-Watch-Kapitänin Rackete kommt wieder frei
Prof. Dr. Nele Matz-Lück, Expertin für Seerecht an der  Christian-Albrechts-Universität in Kiel und seit Februar 2018 Mitglied des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holstein.
Foto: Universität Kiel | Prof. Dr. Nele Matz-Lück, Expertin für Seerecht an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und seit Februar 2018 Mitglied des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holstein.

Frage: Stimmt die Aussage von Alexander Hoffmann, "die Kapitänin der Sea-Watch hätte einen unter internationaler Aufsicht stehenden Hafen in Libyen anlaufen können"?

Nele Matz-Lück: Nein. Es gibt keine unter internationaler Aufsicht stehenden Häfen in Libyen, in denen die Garantie besteht, dass die zurückgeführten Migranten nicht Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der Vergangenheit entschieden, dass es gegen das so genannte "Refoulement"-Verbot verstößt, Asylsuchende nach Libyen zurückzubringen. Der Kapitän eines Schiffes ist verpflichtet, gerettete Personen an einen sicheren Ort zu bringen; das ist mehr als nur trockener Boden unter den Füßen.

Das "Refoulement"-Verbot ist der völkerrechtliche Grundsatz, der die Rückführung von Menschen in Staaten untersagt, in denen ihnen Folter droht. Mit anderen Worten wird von der Sea-Watch-Kapitänin etwas verlangt, das der deutsche Staat nicht tun dürfte?

Matz-Lück: Nach allem, was wir wissen, drohen Migranten, die nach Libyen zurückgebracht und dort interniert werden, Menschenrechtsverletzungen. Also ist dies kein sicherer Ort. Es ist zynisch, von privaten Rettungsschiffen zu verlangen, Gerettete nach Libyen zu bringen, wenn der deutsche Staat dies wegen seiner Pflichten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht dürfte.

Hat die Kapitänin gegen Seerecht verstoßen, als sie die Geflüchteten vor der libyschen Küste an Bord nahm?

Matz-Lück: Nein, im Gegenteil. Egal, in welcher Meereszone man Personen in Seenot antrifft, müssen diese gerettet werden.

Warum arbeitet die EU mit Libyen zusammen?

Matz-Lück: Die etwas zynische Antwort wäre sicher, dass die Zusammenarbeit erfolgt, damit die Menschen es gar nicht erst in internationale Gewässer schaffen, weil dann die Probleme entstehen, die uns gegenwärtig beschäftigen. Die offizielle Antwort ist sicher, dass Libyen für die Sicherheit der Flüchtenden sorgen soll, damit diese nicht in Not geraten.

Wird die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt, wenn die EU Geld an die libysche Küstenwache bezahlt?

Matz-Lück: Nein. Die Menschenrechtskonvention gilt nur mit Einschränkungen extraterritorial. Eine Geldzahlung an Libyen dürfte dafür nicht ausreichen. Moralisch ist dies trotzdem problematisch.

Hätte die Kapitänin nicht versuchen müssen, einen anderen Hafen anzulaufen?

Matz-Lück: Ob das Schiff angesichts der Lage an Bord eine weitere Reise zu einem anderen Hafen hätte riskieren können, unterliegt der Einschätzung der Kapitänin. Auch war in diesem Fall nicht klar, welche nahe gelegenen Häfen die Einreise gestattet hätten.

In Tunesien gibt es kein Asylgesetz und somit auch keine Möglichkeit für Geflüchtete, einen Schutzstatus zu erhalten. Trotzdem fordern viele, die Menschen dorthin zu bringen...

Matz-Lück: Im Vergleich zu Libyen gilt Tunesien als "sicherer Ort". Doch es ist unklar, ob die Menschen dort überhaupt hätten an Land gehen dürfen. 

Hat sich die Kapitänin strafbar gemacht, als sie gegen den Willen Italiens in den Hafen einlief?

Matz-Lück: Nach seerechtlichen Bestimmungen müssen Küstenstaaten die Einreise in ihre Häfen nicht gestatten. Das nationale italienische Verbot ist daher seerechtlich nicht zu beanstanden. Carola Rackete hat gegen italienisches Recht verstoßen.

Gibt es Ausnahmen? 

Matz-Lück: Wenn ein Schiff selbst in eine akute Notlage gerät, die nicht anders als durch das Einfahren in einen Hafen abwendbar ist, greift ein solches gewohnheitsrechtlich verankertes Nothafenrecht. Ob das hier der Fall war oder ob Italien auch weiter durch die Versorgung der Personen an Bord und die Evakuierung einzelner Fälle seiner Pflicht zur Hilfeleistung hätte gerecht werden können, ist eine offene Streitfrage.

Verstößt Matteo Salvini gegen internationales Seerecht?

Matz-Lück: Nein, aber er verdeutlicht, dass wir eine untragbare Situation haben, in der Menschen zwar aus humanitären Gründen zwingend gerettet werden müssen, dann aber ein unwürdiges Tauziehen beginnt, wo sie an Land gehen dürfen.

Staatliche Rettungsoperationen wurden eingestellt. Jetzt wird auch die private Rettung unterbunden. Missachten wir in Europa unsere eigenen menschenrechtlichen Standards?

Matz-Lück: Wir verletzen in jedem Fall unsere eigenen hohen Ansprüche an humanitäre Standards, selbst wenn das Einstellen der Rettungsaktionen kein unmittelbarer Bruch der geltenden Menschenrechte darstellt. Wir sind rechtlich nicht verpflichtet, im Mittelmeer staatliche Rettungsoperationen durchzuführen. Moralisch sind wir EU-Mitgliedstaaten auf jeden Fall in der Pflicht, wenn wir tatenlos zusehen, wie tausende Menschen ertrinken.

Völkerrecht kontra nationales Recht - was wiegt schwerer?

Matz-Lück: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Es hängt von den betroffenen Regelungen und der jeweiligen nationalen Rechtsordnung ab. Allerdings verhält es sich hier so, dass das Völkerrecht in der entscheidenden Frage des Ausschiffens geretteter Personen keine abschließende Regelung trifft und das Seerecht den Küstenstaaten weitgehende nationale Befugnisse in Bezug auf Häfen einräumt. Die unterschiedliche Beurteilung der Lage des Schiffes - Notlage oder nicht - kommt dann noch erschwerend hinzu.

 
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  • attheendoftheday
    Die Kritik Hofmanns ist ein Affront gegen das deutsche Staatsoberhaupt.
    Er sollte seine Loyalität mal überdenken.
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  • rid.cully
    Was mich gerade viel mehr interessiert: wer hat tatsächlich mit Frau Matz-Lück gesprochen? Schaut man eine wenig in die Presse hinein, scheint es kaum möglich, dass sie so viele Interviews in so kurzer Zeit führen kann. Und besonders auffällig: selbst im TAZ-Interview fallen bei sehr ähnlichen Antworten nirgends der Begriff zynisch. Es ist eine ihrer Reputation angemessene sachliche Sprache. Auch sind dort einige Punke aufgeführt, die der Tendenz in obiger Darstellung nicht entsprechen. Tatsächlich erbringt eine kurze Google-Suche bei den Begriffen Matz-Lück und zynisch an erster Stelle die Mainpost. Bei anderen Treffern (Welt u.a.) findet sich zynisch lediglich in Kommentaren. Das finde ich erstaunlich bis verdachtsweise relotionistisch ... Ich lasse mich aber auch gerne vom Gegenteil überzeugen, wünschenswert wäre es.
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  • angelika.kleinhenz@mainpost.de
    Sehr geehrter/e Herr/Frau rid.cully,
    ich habe gestern Morgen mit Frau Prof. Dr. Nele Matz-Lück von der Universität Kiel ein schriftliches Interview geführt. Sie können versichert sein, dass ich Ihre Aussagen zu 100 Prozent wortgetreu wiedergegeben habe.
    Beste Grüße
    Angelika Kleinhenz
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  • rid.cully
    Dann sage ich Dankeschön für die prompte Info und erkläre meine Bedenken für hinfällig.
    Viele Grüße, (der) Ridcully.
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  • vorzimmer@gemuenden.bayern.de
    Italien sollte jetzt klipp und klar und ganz Europa mitteilen das jeder ab sofort der die Hoheitsgewässer Italien verletzt kein Gerichtsurteil mehr gesprochen wird und sofort ohne wenn und aber 15 Jahre ins Gefängnis muss.
    Boote werden sofort unbrauchbar gemacht und verschrottet.
    Unsere nichts nutze in Berlin sollten dann ganz leise sein.
    Ich als Italien würde aus dem Verein EU austreten.
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  • kej0018@aol.com
    @verwaltung

    Das ist aber eine ganz seltsame Rechtsauffassung, die Sie da haben. Hoffentlich arbeiten Sie nicht auch noch tatsächlich in der Verwaltung...,.
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  • mausschanze
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  • aljoscha.labeille@vcd-bayern.de
    Frau Carola Rackete ist eine taffe Frau! Mein Respekt, auch wenn das Thema "Fllüchtlinge " nicht so mein Mainstream ist. Eine Frau wie sie würde ich heiraten, wenn sie es wollte!
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  • saf.wuerzburg@t-online.de
    Endlich mal wieder ein Beitrag, in dem sich die ja ach so um die Sicherheit der Deutschen besorgte Bürger so richtig austoben können.

    Solche Empörungen wären auch mal angebracht gewesen, als vor kurzem in München ein 43 jähriger Deutscher über ein 11 jähriges Mädchen hergefallen ist und sich an ihm vergangen hat ...

    traurig traurig traurig traurig traurig
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  • TLW-tu_W
    "Leider" der falsche Täter. Wie soll man da hetzen?

    Ist doch schon längst traurigerweise bekannt, dass es den besorgten Bürgern nie um das Opfer, sondern immer nur im die Herkunft des Täters geht.

    Aber nein, das ist bestimmt kein Rassismuss oder Fremdenfeindlichkeit.....
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  • rid.cully
    naja, wenn Sie selbst schon genug Randalierer im Haus haben, holen Sie sich ja nicht unbedingt noch mehr fremde herein. Und wer ein bisschen länger und fern der üblichen Ressorts in einigen der Herkunftsländer unterwegs war - naja, etliche von den Neuankömmlingen bräuchten wir wirklich nicht zur Verstärkung unserer "hauseigenen" Schwachmaten.
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  • Fr-goetz@t-online.de
    Mit Frau Professorin Nele Matz-Lück haben sie natürlich wieder eine Person vorgeführt, für offensichtlich "Seerecht" ein Fremdwort ist.
    Einfach gesagt:" Wenn es um Retten auf offener See geht, ist es mir egal ob mich ein "Kanibalenschiff"rettet, selbst da sehe ich meine Chance mich mit denen zu messen! Die Kapitänin hat die Menschen vor der libanesischen Küste aufgenommen und in ihrer Wunschrepublik "Europa" gebracht. Von daher hat sie sich zu verantworten und muss, so blöd wie es klingt, sich als verlängerter Arm der Schleuder verantworten!
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  • Fr-goetz@t-online.de
    Sorry!
    Natürlich richtig ...verlängerter Arm der Schleußer...usw.
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  • 2ostsee
    Haben Sie die Qualifikation der Frau Prof. nicht gelesen oder nicht kapiert?
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  • ToDietz@web.de
    Verlängerter Arm der Schleußer klingt nicht blöd sondern entspricht den Tatsachen.

    Mann könnte in Anlehnung an den alten Song "The devil´s right hand" auch sagen die rechte Hand der Schleußer-Industrie.
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  • U4564@gmx-ist-cool.de
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
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  • U4564@gmx-ist-cool.de
    Es wird höchste Zeit das das mit dem Flüchtlinge nach Tunesien bringen mal einer ausprobiert. Dann würden auch keine Flüchtlinge mehr in Libyen in die Boote steigen, wenn es am Ende nach Tunesien statt nach Italien ginge grinsen
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  • Einwohner
    Antwort auf die Frage: Ja
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  • FischersFritz
    Danke für dieses Interview, werte MP.

    Endlich mal ein Beitrag von jemandem, der in der Sache Ahnung hat und einen Informationsbeitrag leisten kann ...
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  • ammi187@gmail.com
    Ich denke das Interview Klärt so ziemlich alles.
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