Bergkristalle, ein grüner Achat und Amethysten sowie ein Bildnis aus Elfenbein schmücken den Einband des Kilian-Evangeliars. Es ist eines der drei „irischen Schätze“ der Sondersammlung der Universitätsbibliothek und Symbol der Christianisierung. Der Legende nach wurde das Evangeliar im Grab des Heiligen Kilian gefunden.
Etwa im Jahr 686 seien die drei Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan aus Irland an den Main gekommen, erklärt Hans-Günther Schmidt, Leiter der Abteilung Handschriften und alte Drucke der Universitätsbibliothek Würzburg. Um den christlichen Glauben zu verkünden, zu taufen und die spätantike christliche Bildung zu bringen. „Im Bistum Würzburg werden sie verehrt, weil sie hier vor über 1300 Jahren den Märtyrertod erlitten haben“, so Schmidt.
Der Sage nach sind sie auf Geheiß von Gailana, der Gattin des Herzogs Gozberts, ermordet worden, da die Heiligen sich in ihre Ehe eingemischt hatten. Das zeigt auch das Elfenbein-Relief auf dem Kilians-Evangeliar, das aus dem Jahr 1090 stammt und „die Hinrichtungsszene und somit den Höhepunkt des großen Konfliktes zwischen der germanischen und der römisch kirchlichen Tradition zeigt“. Ob die Legende um das Kiliansevangeliar wirklich stimmt, sei dahin gestellt, denn, so der 41-jährige Schmidt, es gebe Indizien, dass manche Anmerkungen in der Handschrift aus dem frühen 8. Jahrhundert stammen, als Kilian längst unter der Erde lag. „Der symbolischen Bedeutung tut dies jedoch keinen Abbruch.“
Die Paulusbriefe hingegen bestechen nicht durch Diamanten, jedoch durch ihren besonderen Wert für die irische Geschichte: Es handelt sich hierbei um authentische alt-irische Texte, die der fränkische Sprachwissenschaftler Johann Kaspar Zeuss im 19. Jahrhundert ausgewertet und in seinem Werk „Grammatica Celtica“ zusammengefasst hat. Zeuss habe es mit seinen Ausarbeitungen geschafft, den Iren ein Stück ihrer Sprachgeschichte zurückzugeben, „in einer Zeit, in der die englische Herrschaft in Irland versuchte die Spuren der irischen Identität zu verwischen“, sagt der promovierte Historiker. Mit ein Grund, warum immer wieder irische Staatsoberhäupter Würzburg besuchen, die Reliquien besichtigen und in die Kultur eintauchen wollen – wie vergangene Woche die Präsidentin Mary McAleese (wir berichteten). Öfters, so Schmidt, melden sich auch Studenten oder Historiker, die in die Dokumente einsehen wollen. „Wir planen, diese zu digitalisieren, damit eine breite Öffentlichkeit Zugang zu ihnen hat.“
So auch zu dem dritten wichtigen, mit Irland verbundenem Dokument, das im Besitz der Universität ist – das Matthäusevangelium. Es enthält neben dem Haupttext mehrere Kommentare von Mönchen aus dem Irland des 7. und 8. Jahrhunderts. „Sie haben Metainformationen eingefügt und Diskurse geführt. Das ist wahnsinnig spannend“, so Schmidt. Vermutlich seien diese Schriften durch den Iren Clemens Scotus, der im achten Jahrhundert die Palastakademie in Aachen leitete, nach Würzburg gekommen.
Aufbewahrt werden die wertvollsten Stücke der Sammlung in einem klimatisierten Tresor. Da sie sehr lichtempfindlich sind, werden sie nur zu ganz besonderen Anlässen ans Tageslicht befördert. Das Paulusevangelium zum Beispiel sei vergangene Woche zum ersten Mal seit 20 Jahren „ohne Vitrinen-Schutzwand“ gezeigt worden. Angefasst werden dürfen die Schriften nur mit Handschuhen, „man weiß ja nicht wie das alte Pergament zum Beispiel auf moderne Handcremes reagiert“.
Schmidt hat Spaß an seinem Beruf: „Ich empfinde es als Privileg, mit den alten Schriften zu arbeiten. Der Zauber ist für mich, dass wir den mittelalterlichen Menschen in ihren Diskursen gar nicht so fremd sind. Außerdem fasziniert mich die Ästhetik der Schrift und die mittelalterlichen Buchkultur.“