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Irene Kober: Leben für andere
Mutig und unerfahren zogen sie von Würzburg in die Welt. Von Äthiopien aus wurden sie zur Hoffnung für Leprakranke. Ein Gespräch mit Irene Kober, die das Deutsche Aussätzigen-Hilfswerk mitgegründet hat.
Das Gespräch führte Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 26.04.2023 17:28 Uhr

Fast am gleichen Tag feiern Mutter und Kind Geburtstag. Die Mutter, Irene Kober aus Zell (Landkreis Würzburg), wurde vergangene Woche 86 Jahre alt. Ihr Kind, die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW), gibt es seit 55 Jahren. Gemeinsam mit Ehemann Hermann, lange Jahre Chefredakteur des Volksblattes, hat sie es in die Welt gesetzt. Genug zu tun gibt es weiterhin, rund um den Globus. Der Welt-Lepra-Tag an diesem Sonntag erinnert daran. Wir treffen Irene Kober zum Gespräch in einem Büro in der DAHW-Zentrale im Missio-Haus am Würzburger Mönchberg. Groß ist dort der Respekt vor ihrer Lebensleistung. Sie gilt als Grande Dame, die gehört wird. Noch heute.

Frage: Frau Kober, in Äthiopien wurden gerade fünf Touristen ermordet. Wie geht es Ihnen, wenn Sie so etwas hören?

Irene Kober: Ich bin betroffen, denn ich liebe dieses Land. Es ist uns eine zweite Heimat geworden. 15 Jahre lang war ich jedes Jahr dort. Wir fühlten uns in Äthiopien zuhause, die Menschen waren so dankbar.

Wie war es, als Sie zum ersten Mal Bisidimo besucht haben? Das Projekt in Äthiopien ist ja die Keimzelle des DAHW... Kober:

Die ersten Bauleute gingen 1958/59 raus, mein Mann hat Anfang der 60er Jahre die ersten Reisen dorthin gemacht. Ich konnte das erst später, als unser jüngster Sohn alt genug war. Außerdem war es eine finanzielle Frage: Ich habe meine Reisen ja immer selbst bezahlt.

Wie haben die Menschen in Äthiopien auf ihre Ankunft reagiert? Kober:

Die waren begeistert. Es war unwahrscheinlich, was wir unter den Menschen ausgelöst haben. Lepröse, die einigermaßen mitarbeiten konnten, waren am Aufbau beteiligt.

Wie war die Aufnahme durch staatliche Stellen?

Kober: Mit dem Zoll war es zunächst schwierig, das hat mein Mann aber dann auch geregelt. Und das Land bekamen wir von Kaiser Haile Selassie geschenkt. Er war sogar selbst zweimal zu Besuch in Bisidimo, hatte keine Angst vor den Leprösen. Das war ein ganz wichtiges Signal, das hat viel bewegt. Im Nu hatte sich herumgesprochen, dass es ein Leprazentrum gibt und die Leute kamen von überall her.

Um in Bisidimo anfangen zu können, brauchte es einen Grundstock an Spenden. Lassen Sie uns zurückschauen: Wo ist der eigentliche Ursprung des DAHW? Kober:

Es fing an mit dem Besuch eines Journalistenkollegen meines Mannes, der über das Kaiserjubiläum in Äthiopien berichten wollte. Auf seiner Reise traf er den französischen Arzt Dr. Féron, der in entlegenste Dörfer mit dem Fahrrad unterwegs war. Er brauchte zur Behandlung Kranker dringend einen VW Bus. Hier wollte mein Mann helfen und hat den Aufruf an Zeitungen geschickt. Außerdem Bilder aus Äthiopien. Die waren teilweise so grausam, dass Zeitungen sie abgelehnt haben mit der Begründung: Das können wir unseren Lesern nicht zumuten. Das Fahrzeug wurde uns vom Autohaus Spindler günstig zur Verfügung gestellt. Aber wir hatten in der Zwischenzeit deutlich mehr Spenden.

Sie haben das DAHW in Ihrem Wohnzimmer in Zell gegründet?

Kober: Ja, wir hatten fremdes Geld auf einem Privatkonto gesammelt und mussten einen Verein gründen. Also haben wir uns, ausgerechnet an meinem Geburtstag, zusammengehockt. Die sieben Leute dafür, Freunde und Journalisten, hatten wir schnell gefunden. Wir wollten Dr. Féron in Äthiopien unterstützen. Deshalb haben wir uns als Aussätzigen-Hilfswerk Dr. Féron gegründet, uns aber nach wenigen Monaten in Deutsches Aussätzigen-Hilfswerk, kurz DAHW, umbenannt.

Haben Sie nicht gehörig überzogen – sich mit sieben Leutchen als „deutsches Hilfswerk“ zu bezeichnen?

Kober: Ja, vielleicht waren wir ein bisschen größenwahnsinnig. Wir waren jung, Anfang 30, und keiner hatte eine Vorstellung von Afrika. Aber so ist es oft: Man fängt klein an und es entsteht was Großes. Dafür hat sich mein Mann, dafür haben wir uns alle mit viel Energie eingesetzt. Manche Sitzungen fingen um drei Uhr nachmittags an und endeten um drei Uhr nachts.

Was hat Sie und Ihren Mann eigentlich motiviert, was war Ihr Antrieb?

Kober: Als OP-Schwester war ich vom Fach. Mich hat das enorm interessiert: Es wusste damals doch kein Mensch, dass es noch so viel Lepra gibt. Plötzlich meldeten sich Leute aus der ganzen Welt. Was meinen Mann angetrieben hat – ich weiß es nicht. Aber mit seiner Begeisterung hat er alle angesteckt. Auch meine Kinder haben – als sie schreiben konnten – mitgeholfen, haben Spenderbriefe adressiert. Sie sind damit groß geworden. Das war alles ganz selbstverständlich, dafür mussten sie auf einiges verzichten.

Die Gründung in Ihrem Zeller Wohnzimmer, die Keimzelle in Äthiopien? Wie schnell hat das DAHW dann seine globalen Kreise gezogen?

Kober: Es ging sehr schnell. Bei uns in Zell gab es einen Laienfunker. Der kam plötzlich angerannt mit einem Funkspruch von den Osterinseln: Man habe dort Lepröse und ob wir helfen könnten. Das nur als Beispiel. Nach vier Jahren waren wir in Äthiopien, Brasilien, auf den Osterinseln, in Thailand und Indien. Pakistan kam 1961 dazu. Es sprach sich wie ein Lauffeuer herum, dass von Deutschland aus Leprapatienten geholfen wird.

Hatten Sie jemals Sorge, die Sache könnte Ihnen über den Kopf wachsen?

Kober: Ich erinnere mich, als wir in Madras das Krankenhaus eröffnet haben und ich das Band durchschneiden durfte. Da habe ich mich neben meinen Mann gesetzt und gesagt: Jetzt wird mir himmelangst – das Krankenhaus, die Patienten, die Schwestern, die Ärzte. Alles ist abhängig von uns, vom DAHW. Da, das gebe ich zu, habe ich mal geschluckt. Aber es ist gut gegangen.

Bei diesem wahnsinnigen Tempo – kamen Sie mit der Verwaltung noch hinterher?

Kober: Es war nicht einfach. Mein Mann hatte überhaupt keine Freizeit, hat nachts um zwei noch Briefe gelesen. Er hatte anfangs fast alles allein gemacht, zusammen mit Freunden. Wer mit uns befreundet war, wurde vereinnahmt und musste helfen.

Hatten Sie später noch Freunde?

Kober: Ja ja. Doch es gab Ängste und Unkenntnis. Da hatten manche sogar Sorge, weil die Briefe aus Leprastationen kamen und man sich vielleicht anstecken könnte. Und manche dachten, mein Mann hätte einen zweiten Verdienst. Dagegen musste er sich wehren. Denn er hat ja alles ehrenamtlich gemacht.

Hatten Sie selbst eine besondere Aufgabe im DAHW?

Kober: Ich habe das Archiv gegründet und aufgebaut. Am Anfang wurde ja noch alles auf Karteikarten geschrieben. Als es immer mehr wurde, musste ich Aufgaben abgeben. Wir haben dann ein Zimmer im Augustiner-Bau angemietet und eine Sekretärin angestellt. Anders ging es nicht mehr. Aber ehrenamtlich sind viele dabei geblieben. Nächtelang haben wir Dias gerahmt und geklebt. Ich selbst bin in Schulen gegangen und habe Vorträge gehalten.

Ist es schwieriger geworden, diesen Idealismus, diesen ehrenamtlichen Einsatz zu finden?

Kober: Ja, nicht nur bei uns. Der Idealismus lässt nach. Auch bedingt durch die Vergrößerung wurden hauptamtliche Strukturen notwendig. Für meinen Mann wäre das übrigens nie in Frage gekommen – er hätte das nie als Beruf gemacht, da hätte er sich eher zurückgezogen. Er hat immer gesagt: Verdienen will ich am DAHW nichts. Das Leben bei uns ist zu materialistisch geworden, die Leute brauchen viel mehr Geld. Trotzdem muss ich sagen, dass auch heute viele Ehrenamtliche und Spender die DAHW unterstützen. Ihnen gebührt großer Dank.

Kann es sein, dass die Noch-Kriegsgeneration mit ihrer Erfahrung von Not eher bereit war zu helfen als die Wirtschaftswundergeneration?

Kober: Das sehe ich so. Ich selbst bin Flüchtling, hatte alles verloren. Ich habe erst mit der Heirat wieder ein Zuhause gefunden. Da wird man dankbar und versucht auch anderen zu helfen.

Dass der Kampf gegen die Lepra Früchte trägt, zeigt sich an den Fallzahlen: Sie gehen weltweit zurück. Bleibt Lepra dennoch das zentrale Thema für die DAHW?

Kober: Ja, es werden immer noch neue Patienten gefunden. Die Arbeit ist noch lange nicht zu Ende.

Und wie sehen Sie eine mögliche Ausdehnung der DAHW zu einem internationalen Gesundheitswerk, das auch bei anderen Krankheiten hilft?

Kober: Nein, das sehe ich sehr kritisch und ich bin dagegen, solange ich hier noch was zu sagen habe. Wir haben mit Lepra angefangen, das sollte als Hauptmotivation bleiben. Und die Tuberkulose haben wir ja schon 1972 hinzugenommen. Wir haben die Leute nicht weggeschickt. Auch eine Öffnung für andere Armutskrankheiten hat schon stattgefunden. Das reicht.

Sie waren auch mit der Umbenennung des Deutschen Aussätzigen-Hilfswerkes in Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe vor einigen Jahren nicht einverstanden?

Kober: Ja, das sage ich auch ganz ehrlich. Und ich war damit nicht allein. Die Leprakranken waren natürlich „ausgesetzt“. Fragen Sie nicht, wo wir teilweise die Patienten gefunden haben. Als ausgrenzend habe ich den Begriff nie verstanden. Vielleicht wird das heute anders wahrgenommen.

Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V.

Die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe will in diesem Jahr 215 Hilfsprojekte in 23 Ländern mit zehn Millionen Euro finanzieren. Damit ist die Würzburger DAHW (Abkürzung von der früheren Bezeichnung „Deutsches Aussätzigen-Hilfswerk“) das größte Lepra-Hilfswerk Deutschlands und eines der größten weltweit. Unterstützt werden u.a. Krankenhäuser, Sozialprojekte sowie nationale Programme zur Bekämpfung von Lepra und Tuberkulose. Zum Welt-Lepra-Tag am letzten Januarsonntag erinnert die DAHW an die Diskriminierung der durch Lepra behinderten Menschen. In der Behandlung hat die DAHW eine Therapie – ein Mix aus drei Antibiotika – vorangetrieben, die bis heute Standard ist. Diese „Multi-Drug-Therapy“ war 1981 laut DAHW-Geschäftsführer Burkard Kömm „ein Durchbruch für alle Patienten. Erstmals konnten Lepra-Kranke komplett geheilt werden.“ Sie müssen nicht mehr lebenslang, sondern nur noch sechs bis zwölf Monate behandelt werden. Die Medikamente werden kostenfrei ausgegeben. Jährlich erkranken über 200 000 Menschen neu an Lepra. Seit 1990 kämpft das Hilfswerk auch gegen Tuberkulose. Hinzu kam der Einsatz gegen „vergessene Krankheiten“ wie Buruli Ulcer: Die Behandlung der „kleinen Schwester“ der Lepra unterstützte diese Zeitung 2007 mit einem Spendenprojekt für die DAHW-Arbeit in Togo. Text aj Spendenkonto der DAHW: Nr. 96 96 Sparkasse Mainfranken (BLZ 790 500 00)

Informationen im Internet: www.dahw.de

Irene Kober

Irene Kober wurde am am 17. Januar 1926 in Berlin geboren und wuchs in in Breslau auf. Nach dem Krieg holte sie in Berlin ihr Abitur nach, machte in Zehlendorf das Staatsexamen in Krankenpflege und die Ausbildung zur OP-Schwester. Ende der 40er Jahre kam sie nach Würzburg, wo sie ihren Mann Hermann kennenlernte. Sie heirateten 1952. Irene Kober hat drei Kinder und vier Enkelkinder. Hermann Kober, lange Jahre Chefredakteur des Fränkischen Volksblattes, starb 1998. Zusammen mit einigen Freunden und Unterstützern gründeten sie am 18. Januar 1957 das Deutsche Aussätzigen-Hilfswerk (DAHW), das 2003 in Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe umbenannt wurde. Heute ist Irene Kober ehrenamtliches Mitglied.

1990 in Buluba (Uganda): Irene Kober (Mitte) und Ehemann Hermann.
Foto: privat | 1990 in Buluba (Uganda): Irene Kober (Mitte) und Ehemann Hermann.
Bundesverdienstkreuz: Damit wurde Irene Kober 2007 ausgezeichnet.
Foto: T. Müller | Bundesverdienstkreuz: Damit wurde Irene Kober 2007 ausgezeichnet.
 
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