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WÜRZBURG/SYDNEY
Interview: So erlebte eine Würzburgerin Sydney während der Geiselnahme
Julia Haug
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:49 Uhr
Per Skype-Telefonat meldet sich Bettina Friedrich aus ihrer Wohnung in Sydney, Ortszeit 22 Uhr. Friedrich arbeitet seit zwei Monaten an der Universität Sydney in der Psychologie-Forschung und fährt täglich auf dem Weg zur Arbeit am Martin Place vorbei. Dort fand am Montag eine Geiselnahme statt.

Mittlerweile haben Polizisten gut 16 Stunden nach dem Beginn der Geiselnahme das Café gestürmt. Es waren laute Explosionen und Schüsse zu hören. Schwerbewaffnete Einheiten stürmten in der Nacht zum Dienstag (Ortszeit) das Café. Das teilte die Polizei mit, ohne Details zu nennen. Medienberichten zufolge gab es mindestens zwei Tote und mehrere Verletzte. Die Polizei bestätigte diese Angaben zunächst nicht.

Polizisten trugen mindestens vier Menschen auf Krankentragen aus dem Gebäude. Ob sie verletzt waren, war unklar. Zahlreiche Krankenwagen hatten sich der abgesperrten Zone zuvor mit Blaulicht genähert. Der ganze Einsatz wurde von Fernsehsendern live übertragen.

 
Frage: Frau Friedrich, Sie waren vor Ort zum Zeitpunkt der Geiselnahme. Wie haben Sie das Geschehen erlebt?

Bettina Friedrich: Ich war nicht ganz vor Ort. Ich wohne ein bisschen außerhalb, aber arbeite in der Stadt an der Universität von Sydney. Auf dem Weg zur Arbeit bin ich heute Morgen, Ortszeit 9.45 Uhr, wie immer im Bus unterwegs gewesen. Da flog ein Helikopter neben der Harbour Bridge und ich hab mich gefragt, was die da machen? Auf Höhe des Martin Place, also nahe zum Tatort, musste ich regulär den Bus wechseln. Über den Funkverkehr der Busfahrer konnte ich hören, dass die Polizei offenbar jemanden suchte. Ich dachte zuerst an einen Banküberfall, was nicht ganz so ungewöhnlich gewesen wäre.
 
Wie ging der Tag für Sie dann weiter?
 
An der University of Sydney angekommen, habe ich die News aufs Handy bekommen. Außerdem kamen SMS von Kollegen, dass Gerüchten zufolge noch andere „devices“, also versteckte Sprengsätze, in der Stadt verteilt
seien. Das hat sich auch bis jetzt noch nicht widerlegen lassen. Die Atmosphäre an der Uni war den ganzen Tag gedrückt.
 
Gab es Anweisungen der Polizei für die Bevölkerung?

Man solle es melden, sobald einem etwas Seltsames auffallen sollte. Außerdem die Innenstadt meiden. Respekt an die Bewohner von Sydney: Es gibt relativ wenig Schaulustige und die Leute verhalten sich diszipliniert und besonnen.

…dabei ist ein Terrorakt in Australien nicht alltäglich.

Ja, es ist unwirklich, dass sowas in der friedlichen positiven Stadt passiert, wie ich sie kennengelernt habe. Ich hab auch schon in London oder New York City gelebt, dort wäre das weniger überraschend.

Welches Verhältnis hatten die Australier bisher zu Terror? Bestand Gefahr?
 
Terrorangst hatten die Australier bisher weniger, soweit ich das beurteilen kann, anders als in Europa. Bisher gab’s in Australien nicht viele Zwischenfälle. Eine Sache war allerdings größer: Erst vor ein paar Monaten, noch vor meiner Zeit hier, wurde eine Warnung rausgegeben. Da wollten Islamisten in Sydney Leute gezielt enthaupten und es gab entsprechende Festnahmen.
 
Wie wird die Geiselnahme in Australien verfolgt, als nationales Thema?

Überall in den Medien. Man hört nichts anderes. Und auch die Stimmen der Nachrichtensprecher zittern zum Teil – die Leute sind hier sehr betroffen.
 
Wo sind Sie jetzt? Fühlen Sie sich sicher?
 
Absolut. Ich bin nach der Arbeit gegen 16 Uhr – früher als sonst  - nach Hause gefahren, und verfolge das Ganze jetzt übers Internet. Ich hatte gehofft, die Geschichte würde sich im Laufe des Tages auflösen, leider vergeblich. Auf dem Heimweg bin ich nochmal am Café vorbeigekommen und habe zwei Fotos gemacht. Die Polizisten wirkten unruhig und hektisch. Vermutlich wussten sie schon, dass gleich ein paar (fünf, Anm. der Redaktion) Geiseln herauskommen würden. Ich wollte keine Schießerei sehen und bin darum in einen Pub in der Nähe gegangen, um dort die Nachrichten in sicherer Entfernung mitzukriegen.
 
Sie werden vermutlich bald ins Bett gehen, morgen ist ein normaler Arbeitstag?
 
Ja, ich muss wieder arbeiten. Mal sehen, ob ich schlafen kann. Am Morgen werden die Busse vermutlich relativ normal fahren. Eventuell muss ich eine alternative Route nehmen. Die Harbour Bridge war heute teilweise für Verkehr gesperrt.


Hintergrund:
  • Geiselnahme in Café in Sydney
  • Auch Opernhaus in Sydney geräumt
  • Kein Ende der Geiselnahme in Sydney in Sicht
 
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