Der Freund ihres Bekannten hatte sie bei der zufälligen Begegnung auf der Straße nicht auf die Wange geküsst. Sondern nur die Hand gereicht. Maeva Nguimfo verstand das nicht: "Bei uns im Kamerun hätte man in diesem Fall Küsse getauscht." Nguimfo interpretierte die Sache so, dass der fremde Mann etwas gegen sie als Ausländerin hatte. Aber woher hätte die 23-Jährige, die heute in Würzburg BWL studiert, wissen sollen, dass man sich in Deutschland anders begrüßt als in ihrer Heimat.
Ihre persönlichen Erfahrungen machen Maeva Nguimfo zu einer "Expertin" in Sachen Migration und Integration. Als solche setzt sie sich heute, zweieinhalb Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland, ein, um junge Menschen in Würzburg zu integrieren. Das Expertenwissen von Migranten für die Herausforderungen der Integration zu nutzen, diese Idee steckt hinter dem Projekt "Expertenpool Fluchtperspektive", das vor genau zwei Jahren mit 14 Geflüchteten an der unterfränkischen Jugendbildungsstätte (jubi) in Würzburg gegründet wurde.
Elf Jugendintegrationsbegleiter gibt es derzeit
"Inzwischen hat sich das Projekt weiterentwickelt", informiert Götz Kolle von der jubi. Die jungen Experten werden seit einem Jahr zu "Jugendintegrationsbegleitern" weitergebildet. Elf "JiBs" gibt es derzeit.
Alle möchten, wie Maeva Nguimfo, Brücken bauen zwischen Menschen, die mit Jugendlichen zu tun haben, und jungen Leuten mit Migrationshintergrund. Die JiBs beraten Jugendorganisationen oder gehen in Kitas und Schulen, wenn dort Schwierigkeiten auftauchen. Zum Beispiel, weil Eltern ihr Kind wiederholt zu spät bringen, da sie nicht verstehen, dass in Deutschland jeder Schultag pünktlich um 8 Uhr beginnt.
Kommunikation, sagt Osama Albernawi, stellt eine der größten Integrationshürden dar. Wobei darunter nicht nur die Sprache fällt. Allein die Art und Weise, wie man in Deutschland kommuniziert, sei völlig anders als in Syrien, pflichtet ihm Jugendintegrationsbegleiter Mohammed Karssli bei: "Wenn die Leute hier ‚Ja!' sagen, meinen sie ‚Ja!', und wenn sie ‚Nein!' sagen, meinen sie ‚Nein!'." In Syrien werde erwartet, dass man sich erst mal ein bisschen ziert. Man bekommt etwas angeboten, und sagt: "Nein, danke!" Man kriegt es ein zweites Mal vorgehalten. Und lehnt ab. Erst beim dritten Mal, so will es die Sitte, darf man es annehmen.
In Deutschland meint man, was man sagt
Zu welchen Verwirrungen sei gewohntes Verhalten in der neuen Heimat führen kann, erfuhr der 24-Jährige, als er das erste Mal bei Deutschen zum Essen eingeladen war. Als sein Teller leer war, fragte ihn die Gastgeberin, ob er noch etwas essen möchte. Karssli sagte: "Nein!" Obwohl er gern noch etwas gehabt hätte. Er erhielt keine zweite Chance. Die anderen aßen weiter. Er saß vor seinem leeren Teller. Und hatte etwas Wichtiges gelernt: In Deutschland meint man, was man sagt.
Für die Jugendarbeit, so Jugendintegrationsbegleiter Mohamed Dweidari, stellen die nach Deutschland geflüchteten Jugendlichen eine große Chance dar. Haben es doch viele Vereine zunehmend schwerer, Jugendliche zu gewinnen. Junge Geflüchtete sind deshalb für Organisationen wie die Feuerwehrjugend oder die Jugend des Technischen Hilfswerks (THW) interessant. Aber auch die Jugendlichen könnten enorm davon profizieren, wenn sie hier mitmachen dürften. Die Frage stellt sich, wie man beide Parteien zusammenbringt. Das ist oft gar nicht einfach.
Viele Geflüchtete sind skeptisch gegenüber Jugendarbeit
Wer sich zum Beispiel für junge Syrer interessiert, sollte wissen, dass es in Syrien nichts gibt, was vergleichbar wäre mit der auf Freiwilligkeit und Mitbestimmung basierenden Jugendarbeit in Deutschland. "Die Jugendlichen können also die Angebote zunächst gar nicht verstehen", schildert Karssli. Das Wenige, was es in seiner Heimat an Jugendarbeit gegeben habe, sei von der Regierung organisiert worden. Diese Angebote seien mit großer Skepsis und Angst vor "Gehirnwäsche" betrachtet worden.
Auf ihre Aufgabe werden die Jugendintegrationsbegleiter intensiv vorbereitet, berichtet JiB Basel Asideh. An 24 Fortbildungstagen, die an wechselnden Orten in Bayern stattfinden, lernen die angehenden JiBs das Handwerkszeug, das für ihren Job notwendig ist. Angeboten wird die Qualifizierung vom Bayerischen Jugendring.
Identität ist mehr als Religion
Auch Kawa Essa durchlief die Schulung. Sie habe ihm sehr viel gebracht, sagt der Student der Sozialen Arbeit. Zum ersten Mal befasste er sich intensiv mit dem Thema "Identität". Viele Muslime, sagt er, verstehen unter "Identität" vor allem das Religiöse. Diese Vorstellung begann Kawa zu hinterfragen. Für ihn ist Identität heute etwas viel Individuelleres. Das sind die Überzeugungen, zu denen man im Leben gekommen ist. Die persönlichen Werte. Und die ureigenen Erfahrungen.
Die Jugendintegrationsbegleiter können über Götz Kolle kontaktiert werden: goetz.kolle@jubi-unterfranken.de. Pat Christ