Zwischen 1844 und 1850 wanderten drei junge Männer aus Rimpar in die USA aus: Hajum, Mendel und Maier Lehmann, die sich nun Henry, Emanuel und Mayer Lehman nannten. Im Bundesstaat Alabama gründeten sie eine Baumwollhandlung, die sie später, nach Henrys Tod, nach New York verlegten und in eine Bank umwandelten. Der Name der Bank – Lehman Brothers – war lange ein Synonym für erfolgreiches Investment-Banking. Als die Bank vor zwei Jahren zusammenbrach, gehörte sie schon viele Jahrzehnte nicht mehr der Familie.
Im Juni 1996 trafen sich Mitglieder der Familie Lehman aus den USA und Großbritannien in Rimpar. Erst bei dieser Gelegenheit erfuhren sie, dass eine direkte Verwandte der drei Auswanderer ein Opfer des Holocaust geworden war.
Seligmann Lehmann, der älteste der Lehmann-Brüder, war in Rimpar geblieben und später nach Heidingsfeld gezogen. Seine Tochter Eva, eines von neun Kindern, wurde 1856 geboren. Sie heiratete Salomon Thalheimer aus Veitshöchheim und hatte zwei Kinder. Der Sohn Leo wanderte 1939 in die USA aus; seine verwitwete Schwester Lina und die Mutter Eva blieben in Deutschland.
Um die Emigration von Verwandten und sonstigen Hilfesuchenden zu erleichtern, schufen Mitglieder der Familie Lehman den „Mayer Lehman Charity Fund". Die amerikanischen Einwanderungsgesetze schrieben vor, dass jeder Einreisewillige ohne Vermögen die Bestätigung („Affidavit“) eines US-Bürgers vorweisen musste, dass er persönlich für den Einwanderer sorgen würde, falls dieser in Not geriet.
Bürgschaften für Flüchtlinge
Die Lehmans übernahmen Bürgschaften für viele Flüchtlinge, halfen bei der organisatorischen Abwicklung der Emigration und unterstützten Bedürftige nach der Ankunft, so etwa Leo Thalheimer, seine Frau und die Tochter.
Nicht alle Hilfesuchenden konnten gerettet werden. Auch Eva Thalheimer erhielt ein Affidavit, wanderte aber nicht aus, weil sie sich um ihre krebskranke Tochter Lina kümmern musste. Lina starb im September 1941 und Eva Thalheimer war nun ganz auf sich gestellt. Im folgenden Monat endete die legale Möglichkeit, aus Deutschland auszuwandern; sie war gefangen.
Im Alter von 85 Jahren wurde Eva Thalheimer am 23. September 1942 von Würzburg aus zunächst nach Theresienstadt deportiert und einen Monat später in Treblinka ermordet.
Eva Thalheimers Enkelin, Leos Tochter Ruth Nelkin, wohnte im Juni 1996 in Great Neck im US-Bundesstaat New Jersey. Eines Morgens las sie in der Zeitung, dass sich Nachfahren der Lehmans in Rimpar treffen würden. Kurz entschlossen packte sie einen Koffer und trat die Reise in die Vergangenheit an. Im Gepäck hatte sie ein Foto ihrer Großmutter, von der ihre Verwandten bis vor Kurzem nichts gewusst hatten.
Die Geschichte der Familie Lehman erzählt Main-Post-Redakteur Roland Flade in seinem 1996 erschienenen Buch „The Lehmans. From Rimpar to the New World. A Family History“.