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Würzburg
In eigener Sache: Warum wir einen Artikel nach sieben Tagen offline genommen haben
Die Rezension über eine Ausstellung zum Thema Studentenverbindungen in Würzburg gerät aus Sicht der Redaktion zu einseitig. Die Erkenntnis kam spät und schaffte Nährboden für Spekulationen. Was lernt die Redaktion daraus?
Ivo Knahn
Ivo Knahn
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:46 Uhr

Am 12. September haben wir an dieser Stelle den Artikel „200 Jahre Studentenverbindung: Sind sie heute unzeitgemäß?“ veröffentlicht. Autor des Beitrags war der freie Journalist Wolfgang Jung, der darin die Ausstellung „Würzburgs Bunte Mützen – 200 Jahre studentische Tradition in Würzburg“ zum Anlass genommen hat, um über die Geschichte studentischer Verbindungen in Würzburg zu berichten. Den Auftrag dafür hatte er von der Lokalredaktion Würzburg bekommen. Am 19. September, also erst eine Woche nach der Veröffentlichung, hat die Redaktion entschieden, den Beitrag offline zu stellen. Dabei haben wir versäumt, die Gründe für die Zurücknahme des Artikels zu erklären. Das sorgte für Diskussionen in sozialen Medien, wo unter anderem der Verdacht geäußert wurde, dass aus Kreisen studentischer Verbindungen Druck auf die Redaktion ausgeübt wurde, weil der Beitrag zu kritisch gewesen sei.

Wenn auch spät, geben wir hier Einblick, wie es zu der Entscheidung kam, wie die Redaktion mit dem Thema des ursprünglichen Beitrags umgehen wird und was wir aus dem Verlauf der Diskussion um die Artikellöschung lernen.

Der Vorschlag, die Ausstellung zu rezensieren, hat der freie Journalist der Lokalredaktion Würzburg selbst gemacht. Der Redaktionsleiter Torsten Schleicher erteilte den Auftrag und Jung lieferte seinen Text, nachdem er die Ausstellung besucht hatte. In dem Beitrag spielte die Ausstellung dann nur am Rande eine Rolle. Der Autor konzentrierte sich im Wesentlichen auf ein Thema: den Antisemitismus in studentischen Verbindungen, der ihm in der Ausstellung zu kurz kommt.

Der Redaktionsleiter machte sich sein eigenes Bild von der Ausstellung

Nach Abgabe des Textes redigiert eine Redakteurin  der Lokalredaktion den Beitrag, auch der Redaktionsleiter liest gegen. Hier taucht zum ersten Mal der Eindruck auf, der Artikel könne zu einseitig sein. Da die Ausstellung im Oberen Foyer des Rathauses bereits läuft (Eröffnung war am 4. September, Ende am 23. September), entscheidet sich die Redaktion, den Beitrag dennoch zu veröffentlichen. Der Redaktionsleiter macht sich dann selbst ein Bild von der Ausstellung, nachdem nachvollziehbare Kritik aus Leserkreisen gekommen war. Es reift die Überzeugung, dass der Beitrag extrem einseitig ist. Der Autor bekommt den Auftrag, die erste Fassung entsprechend anzupassen, doch auch die überarbeitete Version konzentriert sich zwar auf das wichtige, aber eben bei weitem nicht einzige Themenfeld der Ausstellung und der 200 Jahre Verbindungshistorie: den Antisemitismus. In einer Rezension, die einem Meinungsbeitrag nahe kommt, kann man diese Form theoretisch wählen. Und dennoch kommt die Redaktion zu dem Schluss, dass wir in einer Art und Weise einseitig berichten, wie wir sie mit unseren journalistischen Leitlinien nicht vereinbaren können.

Kritik aus der Wissenschaft: Historiker verweist auf Fehler im Text 

Als der Redaktionsleiter bereits entschieden hat, dass der Text in der gedruckten Zeitung nicht erscheinen wird, und über den Umgang mit dem digitalen Artikel nachdenkt, meldet sich am 19. September Professor Peter Hoeres vom Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Universität Würzburg per Mail in der Chefredaktion. Sein Schreiben beginnt mit folgendem Satz: Ich schreibe Ihnen, weil ich aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive meine Kritik an dem Artikel „200 Jahre Studentenverbindung: Sind sie heute unzeitgemäß“ von Wolfgang Jung aussprechen möchte. Im weiteren Schreiben bestätigt er exakt den Eindruck, der in der Redaktion zu diesem Zeitpunkt zur Gewissheit gereift war. Hoeres wirft Jung aber nicht nur Einseitigkeit vor, sondern auch Fehler: Herr Jung (…) schreibt in einem voller (…) Fehler strotzenden Artikel über ein einziges Motiv der Studentenverbindungen: Antisemitismus. Dabei lässt er nicht nur die Tradition jüdischer Verbindungen in Würzburg wie Salia, Wirceburgia, Veda und Rheno-Palatia, die in der Ausstellung eigens gewürdigt werden, sondern auch die liberalen, demokratischen und katholischen Traditionsstränge ebenso wie die gravierenden Unterschiede zwischen den katholischen Verbindungen, den Burschenschaften und Corps vollkommen außer Acht. Auch ist es schlicht falsch, dass „fast alle“ Studentenverbindungen Anfang der zwanziger Jahre Juden ausgeschlossen hätten.

Der Wissenschaftler schreibt weiter: Ich bin (…) nicht Mitglied einer Studentenverbindung, aber ein Bericht über eine Ausstellung sollte doch die grundlegenden Fakten korrekt wiedergeben, auf Grundlage eines Gespräches mit den Ausstellungsmachern fußen („audiatur et altera pars“!) und nicht einseitige Stimmungsmache bieten, oder?

Für die Redaktion ist damit endgültig klar: Wir müssen den Beitrag prüfen, überarbeiten oder das Thema nochmal anders angehen. Auf jeden Fall kann der Beitrag nicht online bleiben.

An dieser Stelle macht die Redaktion zwei Fehler: Sie informiert zum einen nicht den Autor Wolfgang Jung darüber, dass der Artikel offline geht. Zum anderen löscht sie den Beitrag unkommentiert und schafft damit den Nährboden für jene Spekulationen, die wenig später in sozialen Medien ausgebreitet werden.

Der Autor Wolfgang Jung widerspricht dem Wissenschaftler Peter Hoeres

In der Zwischenzeit hat die Redaktion mit Wolfgang Jung gesprochen, der den Originalbeitrag jetzt auf seiner eigenen Homepage veröffentlicht hat. Die Kritik von Geschichtsprofessor Hoeres nimmt er  teilweise an, widerspricht aber an wesentlichen Stellen. Auch bei der Einschätzung, ob der alleinige Schwerpunkt Antisemitismus im Zusammenhang mit der Ausstellung gerechtfertigt ist oder nicht, bleiben die Meinungen von Autor und Redaktionsleitung sowie Chefredaktion konträr.

Was lernt die Redaktion aus diesem Verlauf? Wann immer wir einen Artikel offline nehmen, müssen wir hinter dem Ursprungslink erklären, warum wir das tun. Einen entsprechenden Workflow haben wir in der Redaktionskonferenz  am 24. September beschlossen. Nur so können wir verhindern, dass Verschwörungstheoretiker und Mutmaßer jeglicher Couleur Nahrung finden.

Wie wir inhaltlich das Thema Verbindungen, über das wir regelmäßig berichten,  vor dem Hintergrund der jüngsten Diskussion nochmals aufgreifen, ist noch nicht entschieden. Dass wir es tun werden, ist sicher.

 
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