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Rottendorf
Impfungen oder Narkosen bei der Ferkelkastration?
Landwirte, Tierärzte und Politiker suchen nach praktikabler Lösung bei der Ferkelkastration, aber die gegenseitigen Argumente scheinen verhärtet. Wir haken nach.
Kleine Ferkel im Stall von Familie Hetterich.
Foto: Irene Konrad | Kleine Ferkel im Stall von Familie Hetterich.
Irene Konrad
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:59 Uhr

Ein aktuelles Thema bei deutschen Schweinehaltern: Am 31. Dezember sollte nach einer Novellierung des Tierschutzgesetzes im Jahr 2013 eine fünfjährige Übergangsfrist enden, nach der männlich geborene Ferkel nur noch mit einer Betäubung kastriert werden dürfen. Die Koalition hat quasi im letzten Moment die Frist um zwei Jahre verlängert. Sachliche Diskussionen, viel Aufklärungsarbeit und praktikable Resultate für das künftige Vorgehen sind gefragt.

"Kein Politiker traut sich aus der Deckung", ärgert sich Rolf Herzel aus Rottendorf. Dabei gebe es massiv Handlungsdruck, ist der Tierarzt verärgert "über die Regierung und den Handel". Die Verantwortlichen würden Versuchsreihen mit Impfungen gegen Ebergeruch ignorieren und "dem Ruf der Verbraucher nach Tierwohl keine Fakten entgegensetzen".

Herzel gehört zum Team einer Tierarztpraxis. Zusammen mit seiner Kollegin Martina Kroiß, eine Fachtierärztin für Anästhesie, hat er "seine Landwirte", Tierarztkollegen sowie Vertreter der Fleischindustrie und des Handels zu einem Informationsabend eingeladen - nach der Landtagswahlwahl. Das Thema sei zu ernst gewesen für den Wahlkampf.

Rolf Herzel: "Desinteresse geradezu peinlich!"

Rund 40 Personen sind gekommen. Aus der Politik waren mit den Landtagsabgeordneten Paul Knoblach und Kerstin Celina nur Politiker aus seiner Partei da, den Grünen. Geradezu peinlich empfindet der Tierarzt dieses Desinteresse an den Fakten zur Ferkelkastration. "Es ist ein eklatantes Versagen der CSU, CDU und SPD, sich jahrelang nicht um Alternativen gekümmert zu haben", nickt Abgeordnete Celina dazu.

In Franken gibt es nur noch rund 1000 Landwirte mit Sauenhaltung. Meist vermarkten sie über den Metzger vor Ort. Sie werden im Rahmen Bayerischer Qualitäts-, Herkunfts- und Tierwohlprogramme kontrolliert. Über die ungeklärte Rechtslage im neuen Jahr bei der Ferkelkastration sind sie verärgert und enttäuscht.

Abschneiden der Hoden bei vollem Bewusstsein

"Landwirte sind offen für praktikable Lösungen und wollen nichts anderes, als ihre Arbeit machen", weiß Celina. Sie kennt und unterstützt den berechtigten Wunsch der Verbraucher, dass es Alterativen geben muss gegen das Abschneiden der Hoden bei kleinen Ferkeln bei vollem Bewusstsein. "Ausländische Betriebe führen längst geeignete Verfahren wie das Impfen gegen den Ebergeruch durch", sagt sie.

Besseres Fleisch durch Impfung

"Eine Narkose ist zu teuer", versteht Tierarzt Herzel die Landwirte. Er plädiert eindeutig für die Immunokastration. Dafür sind zwei, manchmal drei Impfungen der Ferkel durch den Tierarzt nötig. Die Futterverwertung und das Schweinefleisch seien genauso gut, wenn nicht dank des höheren Anteils an Magerfleisch sogar besser.

In 64 Ländern zugelassen - aber nicht in Deutschland

Allerdings sind in Deutschland die Injektionen mit Antigenen gegen Ebergeruch noch nicht erlaubt und zudem in Verruf geraten. Dabei ist die Eiweiß-Peptid-Verbindung bereits seit 2005 in Australien und Neuseeland und mittlerweile in 64 Ländern der Welt zugelassen, auch von der obersten EU-Behörde. Die Impfung nutzt das Immunsystem des Schweins zur Unterdrückung der Hormonproduktion.

Landwirt Rupert Hetterich in seinem Stall mit einem drei Tage alten Ferkel.
Foto: Irene Konrad | Landwirt Rupert Hetterich in seinem Stall mit einem drei Tage alten Ferkel.

"Impfung ist kein Gesundheitsrisiko"

Das Impfmittel Improvac selbst ist kein Hormon. Auch kein Antibiotikum und kein Wachstumsförderer. Es bestehe kein Gesundheitsrisiko für den Verbraucher, so Herzel. "Wir brauchen keine Narkose", ist der Tierarzt überzeugt, dass Impfungen der richtige, "erste" Weg als Maßnahme gegen Ebergeruch sind. "Die Ferkel können groß werden, ohne dass das Messer gewetzt werden muss", hofft er auf Gehör.

Kleine Ferkel am Gesäuge der Muttersau.
Foto: Irene Konrad | Kleine Ferkel am Gesäuge der Muttersau.

Stellungnahme des Bauernverbandes

Aber der Bauernverband lehnt die Immunokastration ab. "Wir gehen von einer fehlenden Akzeptanz der Verbraucher aus", sagt Elmar Konrad, der Geschäftsführer des Bauernverbands in Würzburg und Main-Spessart. Die Menschen hätten aufgrund des "medikamentösen Eingriffs" Bedenken in Bezug auf Langzeitwirkungen. Der Bauernverband peilt deshalb eine lokale Betäubung an.

In Ländern wie Schweden und Dänemark wird sie bereits praktiziert und akzeptiert. Vollnarkosen zur geforderten "vollkommenen Schmerzausschaltung" seien in der Praxis nicht durchführbar. So viele Tierärzte gebe es hierzulande gar nicht, um die kleinen Ferkel in Narkose zu legen und sie zu überwachen.

Betäubte Tiere könnten zudem nicht zurück zur Muttersau. Sie könnten dort leicht erdrückt werden. Außerdem müsse ein Ferkel zur Steigerung der Abwehrkräfte Biestmilch (die erste Milch) aufnehmen und regelmäßig saufen. "Wenn ein Ferkel die Narkose nicht verträgt, ist es auch kein Tierschutz", sagt Rupert Hetterich.

Eines der Ferkel im Stall von Familie Hetterich.
Foto: Irene Konrad | Eines der Ferkel im Stall von Familie Hetterich.

Familie Hetterich hat sich auf ihrem Aussiedlerhof im Weiler Fährbrück auf die Ferkelerzeugung und Schweinemast spezialisiert. Im Moment stehen 24 Muttersauen in den Boxen. Es gibt Wochen, in denen im modernen Stall rund 300 Ferkel (und damit etwa 150 männliche Tiere) geboren werden.

Rupert Hetterich und sein Sohn Felix haben mit der herkömmlichen Kastration gute Erfahrungen gemacht. Das sei ein kleiner, schneller Schritt von etwa einem Zentimeter und die Ferkel würden sich unmittelbar nach dem Entfernen der Hoden genauso verhalten und zur Mutter zum Saufen gehen, wie vorher. Die Kastration würde kaum bluten und gegen den Wundschmerz wird ein entzündungshemmendes Schmerzmittel verabreicht.

Die Landwirte Felix und Rupert Hetterich im 'Geburtszentrum' ihres Schweinestalls mit Ferkeln, die vor drei Tagen geboren wurden.
Foto: Irene Konrad | Die Landwirte Felix und Rupert Hetterich im "Geburtszentrum" ihres Schweinestalls mit Ferkeln, die vor drei Tagen geboren wurden.

Hetterich: "Es wird Schmerzmittel verabreicht."

Landwirt Hetterich ärgert sich über Begriffe wie "brutale Praxis" oder "hochgradig qualvolle Amputation". Er halte immer die Gesetze ein. Er wird bei der Kastration auch die örtliche Betäubung mit Isofluran und Schmerzmitteln durchführen, wenn es gesetzlich erlaubt wird. Wichtig für ihn ist, dass er diese Betäubung selbst, also ohne Tierarzt, durchführen kann.

 

Wege, um Ebergeruch zu vermeiden
Ebergeruch und Ebergeschmack tritt bei fünf bis zehn Prozent der Eber nach der Geschlechtsreife auf und wird von den meisten Menschen als unangenehm empfunden. Um beim Kochen diesen strengen Geruch im Fleisch zu vermeiden, werden männliche Mastferkel kastriert. Bisher ist die betäubungslose Kastration von Ferkeln innerhalb der ersten sieben Lebenstage erlaubt. Deutschlandweit werden zurzeit etwa 20 Millionen Ferkel im Jahr kastriert.
Erster bis fünfter Weg:
Ab 2019 dürfen Ferkel in Deutschland nur noch unter Betäubung oder wirksamer Schmerzausschaltung kastriert werden. Die Bundesregierung benennt für die Zeit danach drei Verfahren: Die Ebermast, die Impfung gegen Ebergeruch (Immunokastration) und die Kastration unter Vollnarkose (1. bis 3. Weg). Der Bauernverband und ein Großteil der Schweinehalter sieht als "4. Weg" die Ferkelkastration mit örtlicher Betäubung durch den Landwirt tierschutzgerecht, praktikabel und strukturschonend. Als "5. Weg" wird die völlige Aufgabe der Ferkelproduktion in Deutschland bezeichnet. Dann werden kastrierte Ferkel aus dem Ausland zur Mast eingekauft.
Kleine Ferkel im Stall von Familie Hetterich
Foto: Irene Konrad | Kleine Ferkel im Stall von Familie Hetterich
 
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    1. Das Mittel zur Immunokastration hat eine europaweite Zulassung (ist also auch in Deutschland erlaubt.
    2. Isofluran ist ein Narkosegas und wird in Human- und Tiermedizin für eine Vollnarkose verwendet (also nicht für eine "örtliche Betäubung"). Die Narkose ist gemäß dem Tierschutzgesetz dem Tierarzt vorbehalten.
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