
Haben Polizisten aus Unterfranken vor zwei Jahren einen gefährlichen Terroristen aus dem Verkehr gezogen? Viel spricht dafür, dass die spektakuläre Festnahme eines iranischen Diplomaten an der Autobahnraststätte Spessart zwischen Würzburg und Aschaffenburg den Schlussstrich zog unter Attentatspläne des Geheimdienstes in Teheran. Dieser soll damit Tausende iranische Oppositionelle, die in Europa Zuflucht gefunden hatten, in Gefahr gebracht haben.
Zwei Jahre nach der spektakulären Festnahme in Unterfranken sollen jetzt Fakten auf den Tisch kommen. Antiterror-Experten aus aller Welt blicken gespannt dem Prozess entgegen, der am Freitag in Antwerpen beginnt. Erstmals muss sich in Europa ein Diplomat wegen direkter Beteiligung am Terrorismus verantworten. Auf der Anklagebank: der 49-jährige Iraner und drei mutmaßliche Komplizen. Laut Staatsanwaltschaft wollten zwei von ihnen, Exil-Iraner aus Belgien, beim Jahrestreffen iranischer Oppositioneller in einem Vorort von Paris eine Bombe platzieren.
Nach der spektakulären Festnahme: Diplomatische Drähte glühten
Beim Entschärfen des Sprengstoffs in letzter Minute war Ende Juni 2018 ein belgischer Polizist verletzt worden. Wenig später wurde der mit internationalem Haftbefehl gesuchte iranische Diplomat an der A 3 bei Würzburg geschnappt. Er sei auf dem Weg zu einem konspirativen Treffen mit den Bombenlegern in einem Kölner Schnellimbiss gewesen, sagt ein beteiligter Ermittler.

In Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland und den USA glühten nach der Festnahme die Drähte in dem politisch heiklen Fall. Deutsche und belgische Behörden weigerten sich angesichts der Indizien, den Diplomaten-Status des Verdächtigen zu respektieren. Der 49-jährige Iraner arbeitet offiziell an der Wiener Botschaft, soll tatsächlich aber hochrangiger Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes sein.
Festgenommener Diplomat als Drahtzieher des geplanten Attentats?
Nach seiner Festnahme saß der Diplomat im Sommer 2018 mehr als drei Monate in Würzburg im Gefängnis. Vehement, aber vergeblich soll sich Teheran bei Bundeskanzlerin Angela Merkel um die Freilassung bemüht haben. Unterdessen sammelten Ermittler in Belgien, Frankreich und Deutschland ein Indiz nach dem anderen dafür, dass der Iraner kein harmloser Mitarbeiter an der Wiener Botschaft war – sondern Drahtzieher des geplanten Anschlags auf iranische Oppositionelle bei deren Jahrestreffen.
Der 49-Jährige sei der „operationelle Kommandant“, heißt es laut Anklageschrift. Er habe den Mitverschwörern zwei Tage vor dem geplanten Attentat den Sprengstoff übergeben. Die französische Tageszeitung „Le Monde“ zitierte zuletzt genüsslich aus einer Stellungnahme des belgischen Geheimdienst-Chefs an die Staatsanwaltschaft Antwerpen: „Der Plan für dieses Attentat entstand im Namen und unter Leitung der Führung des Iran." Er sei "keine Privatangelegenheit" des 49-Jährigen gewesen.
CSU-Politiker Lintner unter den potenziellen Opfern
Der geplante Anschlag galt am 30. Juni 2018 dem Kongress des oppositionellen Nationalen Widerstandsrats des Iran (NWRI) im Pariser Vorort Villepinte. Mehr als 20 000 Menschen nahmen an dem Treffen teil, darunter die NWRI-Präsidentin und Anführerin der iranischen Volksmudjaheddin, Maryam Rajavi, und prominente Politiker: Donald Trumps Rechtsberater Rudy Giuliani, Kanadas Ex-Premier Stephen Harper und der frühere französische Außenminister Bernard Kouchner. Aus Unterfranken zu Gast: CSU-Politiker Eduard Lintner aus Münnerstadt (Lkr. Bad Kissingen).

Der ehemalige Staatssekretär im Innenministerium ist nicht als Zeuge nach Antwerpen geladen, verfolgt den Prozess aber aus der Ferne. Der Anklageschrift ist zu entnehmen, dass der im Spessart festgenommene Iraner am Tag nach dem Scheitern des Anschlages einen Familienausflug nach Luxemburg vortäuschte, um in Köln in einem Schnellrestaurant das Bombenkommando zu treffen. Weil Ermittler fürchteten, er sei mit Sprengstoff unterwegs, wurde er an der Raststätte Spessart aus dem Auto gezogen – vor den Augen seiner beiden erwachsenen Söhne und trotz des Diplomatenpasses.
Codierte Dialoge der Verschwörer via Handy
Dynamit fanden die Polizisten im Wagen nicht, bestätigte das Polizeipräsidium Unterfranken damals auf Anfrage - aber „Sprengstoff“ anderer Art: das Handy des 49-Jährigen mit getarnten SMS-Dialogen der mutmaßlichen Bombenleger. „Ist das Spiel installiert?“, soll der Iraner gefragt haben. Die Antwort: „Ja, das Spiel ist installiert. Wir können am Sonntagmorgen Ball spielen.“ Der 30. Juni 2018 war ein Sonntag. Die besorgte Nachfrage am 1. Juli: „Alles gut und in Ordnung?“. Doch die zwei Exil-Iraner aus Belgien antworten nicht mehr. Sie waren bereits verhaftet.
Ermittlern zufolge Anschlagsort vorher ausgekundschaftet
Bei der Festnahme in Unterfranken sollen Terrorexperten in einem konfiszierten Notizbuch auch verschlüsselte handschriftliche Bedienungsanleitungen des Diplomaten für eine Bombe gefunden haben. „Er muss erklären, warum er als in Österreich stationierter Diplomat ein Jahr vor dem Anschlag den Ort des Treffens der iranischen Oppositionellen bei Paris auskundschaftet“, sagt ein mit dem Fall vertrauter Ermittler. Man könne das Auskundschaften anhand der GPS-Daten eines Leihwagens beweisen, den der Angeklagte in Wien gemietet hatte.
Das Selbstbewusstsein des Dritten Sekretärs der iranischen Botschaft in Wien scheint indes noch immer ungebrochen: Er habe mit Vergeltung gedroht, sollte er schuldig gesprochen werde, berichten belgische Medien. Bewaffnete Gruppen im Irak, Libanon, im Jemen, Syrien und auch im Iran seien sehr interessiert am Ausgang des Prozesses, soll er in einer Vernehmung gedroht haben. Bevor am Freitag in Antwerpen der Prozess beginnt, bestritt sein Anwalt gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters aber jede Drohung.