An das, was damals in Bosnien geschehen ist, kann Fatima Sehic nicht denken, ohne dass ihr die Tränen in die Augen steigen. Das Geschehene liegt zwar schon 22 Jahre zurück. Doch die Bilder, wie sie mit ihrem dreijährigen Kind sieben Tage lang in den Wäldern ums Überleben kämpfte, die Bilder von den Leichen der Getöteten sind tief in sie eingebrannt. „Man vergisst das nie“, sagt die Muslima von der Bosnischen Gemeinde in Würzburg anlässlich des Srebrenica-Gedenktags am 11. Juli.
Was vor 22 Jahren in Bosnien passierte, wird hierzulande kaum noch erinnert, weiß Johanna Falk von der Ökumenischen Nagelkreuzinitiative, die seit fünf Jahren enge Kontakte zur Bosnisch-Islamischen Gemeinde in der Würzburger Zellerau pflegt.
Bosnien scheint weit weg. Wirtschaft, Politik und Kultur dieses Landes wirken fern und fremd. Aktuelle Krisen sind uns durch die Flüchtlinge wesentlich näher. Etwa der Bürgerkrieg in Syrien. Und wer kann sich schon um alle Krisenherde dieser Welt kümmern? Johanna Falk kennt solche Argumente. Dennoch setzt sie sich dafür ein, dass das, was 1995 in Srebrenica geschah, in Würzburg nicht vergessen wird. Das Massaker gilt als schwerstes Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
„Menschen, die den Krieg miterlebten, wohnen mitten unter uns“, sagt Falk. Sie leiden bis heute unter dem Grauenvollen, das sie gesehen und erfahren haben. Dass sie durch den Krieg ihren Mann und ihre Brüder verloren hat, empfindet zum Beispiel Fatima Sehic bis heute als schmerzende, offene Wunde.
„Brücken der Begegnung“
Auch Zahir Durakovic, Imam der Bosnischen Gemeinde, der 70 Familien aus Würzburg angehören, wird niemals vergessen, was er damals erlebt hat. Im 2016 erschienenen Buch „Brücken der Begegnung“, das die Bosnische Gemeinde zusammen mit der Nagelkreuzinitiative im Vorfeld des Srebrenica-Gedenktags vorstellte, schildert er in Tagebuchform seine Erinnerungen an den Bosnienkrieg. Im Juli 1992, also vor genau 25 Jahren, nahm Durakovic in seinem Haus in der bosnischen Stadt Šaševci die ersten Flüchtlinge aus angegriffenen Dörfern der Nachbarschaft auf. Einen Monat später mussten er und die anderen Dorfbewohner selbst in die Wälder fliehen.
„Es ging ums nackte Überleben“, schreibt Zahir Durakovic in dem 112-seitigen Buch, das er zusammen mit Johanna Falk und dem Würzburger Priester Klaus Beurle herausgab. Über 1000 Flüchtlinge schlossen sich in zwei Gruppen zusammen und versuchten, in zwei Nächten einen 30 Kilometer langen Fußmarsch in die sichere Kleinstadt Kladanj zu bewältigen. „Da wir viele alte und kranke Menschen dabei hatten, kamen wir nur langsam voran“, schildert Durakovic. An einem Bergüberhang griffen serbische Truppen die Flüchtenden an: „Es gab viele Verletzte.“
Fast vier Monate dauerte seine Flucht. Am 6. Dezember 1992 erreichte Zahir Durakovic mit einem Bus Frankfurt am Main. Im Februar 1993 kam der heute 50-Jährige als Imam nach Würzburg. „Genau die Hälfte meines Lebens verbrachte ich inzwischen also in Deutschland“, sagt er. Im Herzen sei er jedoch immer noch Bosnier. Nach wie vor leben viele seiner Familienmitglieder in Bosnien: „Weshalb ich jedes Jahr ein- bis zweimal in meine Heimat fahre.“
Vor drei Jahren konnte Durakovic erstmals einer größeren Gruppe von Freunden aus Würzburg sein Heimatland zeigen. Aus der interreligiösen Reise ging das Buch „Brücken der Begegnung“ hervor. Es will die Erinnerung an den Bosnienkrieg wachhalten, gleichzeitig aber auch den Blick auf die aktuelle Situation in Bosnien-Herzegowina lenken. Der Krieg prägt das Land noch immer. Bis heute gehört die bosnisch-herzegowinische Wirtschaft zu den schwächsten Volkswirtschaften in Europa. Etwa jeder vierte Einwohner ist arbeitslos.
Das Buch „Brücken der Begegnung“ ist für 6,99 Euro unter ISBN 978-3-7412-0904-8 zu bestellen. Es ist auch als E-Book für 3,99 Euro erhältlich. Für den Herbst ist eine Lesung geplant.