Was unterscheidet den heuer 750 Jahre gewordenen Konvent der Würzburger Augustiner von einer klassischen Studenten-WG? „Die Verbindlichkeit“, sagt Bruder Christian Rentsch. Der 33-Jährige hat am 24. August seine erste Profess in der Konventskirche gefeiert . „Hier leben wir zusammen und interessieren uns füreinander." Sein Mitbruder Jürgen Heß nickt und ergänzt: „Gemeinschaft wird von den Menschen geprägt, die hier sind und ihre unterschiedlichen Gaben mitbringen.“
Forschergeist, das ist das Talent, das Pater Michael Wernicke mitbekommen hat. Der 1935 in Berlin geborene Augustiner hat seinen Vater früh in Buchenwald verloren und ist bei den Augustinern zur Schule gegangen. „Die Patres haben mir sehr imponiert, weil sie viel mit uns gemacht haben. Das waren sehr gebildete Leute.“ Und da Wernicke begabt war, entschieden die Ordensoberen, dass er nach dem Theologiestudium promovieren sollte.
Auf der Suche nach einem ordenshistorischen Thema stieß er dann in der Bibliothek des Münnerstädter Konvents auf die Werke des italienischen Augustiners Enrico Noris, der von 1631 bis 1704 lebte. Sein Doktorvater, der bekannte katholische Kirchenhistoriker Hubert Jedin, akzeptierte das Thema. „Da habe ich mich in meinen Gegenstand verliebt“, sagt Wernicke mit einem Lächeln. Zu seinem zweiten wissenschaftlichen Lebensthema ist die Geschichte der deutschen Augustiner geworden. Noch heute beteiligt er sich am wissenschaftlichen Austausch und wurde beispielsweise 2009 zu einem Symposion anlässlich des 300. Todestags des Barockpredigers Abraham a Sancta Clara eingeladen. „Ich finde es sehr eigenartig, dass zwei Augustiner die Entwicklung der deutschen Hochsprache maßgeblich beeinflusst haben: der olle Luther und Abraham a Sancta Clara.“
Mit Würzburg verbindet Wernicke eine der schönsten Zeiten in seinem Leben, als er von 1975 bis 1977 als Seelsorger in St. Bruno im Steinbachtal wirkte. Dort konnte er zwar nur wenig wissenschaftlich arbeiten, pflegte aber sehr gute Beziehungen zur Jugend. Die nächsten zwölf Jahre verbrachte der Kirchenhistoriker jenseits der Alpen, denn von 1977 bis 1989 war er in Rom als Assistent des Generalpriors tätig. Dann kam er nach Franken zurück und wirkte von 1991 bis 2001 in Fährbrück. „Die sogenannten Most-Franken sind eine sehr verschlossene Gesellschaft. Wenn sie nix sagen, ist es in Ordnung“, bemerkt der Augustiner mit einem Lächeln. Auch Jahre nach seiner Rückkehr nach Würzburg beschäftigt er sich mit der Geschichte der Umgebung von Fährbrück und hat zum 400-jährigen Jubiläum der Pfarrei Hausen eine Chronik verfasst.
Zu Würzburg sagt der momentan leicht gehbehinderte Ordensgeistliche: „Ich empfinde die Stadt und die Menschen als lästig. Man hat den Eindruck, die Menschen wollen einen umrennen. Grimmige Anmerkungen eines mürrischen Greises.“ Dabei lächelt er. Schmerzlich war für Wernicke ein anderes Ereignis: die Teilung des Klosters in zwei Konvente nach dem Vorbild der Ritaschwestern und der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Er fühlte sich im „Altenkonvent“ St. Thomas zur Seite geschoben: „Es hat eine Weile gedauert, bis ich gesagt habe: ,Es ist so gut.'"
Seine Heimat im Würzburger Augustinerkloster hat auch der 1965 in Nürnberg geborene Jürgen Heß gefunden. „Als Nürnberger sag' ich natürlich: Provinz. Nürnberg ist meine Heimat, da sind meine Menschen, da ist mein Fußballteam.“ Nach dem Ende einer Beziehung machte sich der Lutheraner auf die Suche nach einer spirituellen Heimat und ging 1993 nach Taizé, um herauszufinden, ob das Leben in einem Orden etwas für ihn sei. Aber die evangelischen Orden waren ihm zu eng, und bei einem Besuch im Würzburger Augustinerkloster dachte er: „Die sind ja fast evangelisch. Das könnte Heimat werden.“ Seine Konversion zum Katholizismus sei kein Abschied gewesen, sagt Heß, denn er habe das Evangelische ganz bewusst mitgenommen. Jetzt spreche er zwei Sprachen: „Eine gute Predigt ist für mich etwas Wertvolles, Nüchternheit, Bibellektüre.“
Als Schwerpunkt seiner Arbeit benennt Heß die Menschenrechtsarbeit. Der Grundsatz des Amnesty-International-Mitglieds lautet: „Jeder Mensch, der hierher kommt und hier leben will, darf das tun.“ Mehrmals in der Woche besucht der Augustiner die Asylbewerber in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft (GU) und betreibt „Asyl-Coaching“, wie er es nennt – er hilft beispielsweise bei Behördengängen und Einkäufen. Dynamik spielt für Heß eine wichtige Rolle: „Gesellschaft muss sich verändern. Nach dem Wahlsieg der CSU bin ich aber nicht sehr hoffnungsfroh.“ Außerdem engagiert sich Heß im Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus und klärt Schüler in Sachen Demokratie und Toleranz auf.
Einen ganz anderen Schwerpunkt hat sich Bruder Christian Rentsch gewählt, der die Augustiner in seiner Heimat Münnerstadt kennen gelernt hat. Der promovierte Theologe fühlt sich in Würzburg, der „Weltstadt auf Provinzniveau“, wohl: „Würzburg ist für mich zur Heimat geworden. Eine sehr lebenswerte Stadt. “ In seinem liturgiewissenschaftlichen Dissertationsprojekt hat er sich mit der Frage beschäftigt: „Wie prägen Einleitung, Predigten und frei formulierte Gebetsteile die an sich unveränderlichen Teile der Liturgie?“ Dabei kam er zu einem ernüchternden Ergebnis: „Ein Priester, der heute Messe feiert, findet ein Publikum vor, das wenig weiß. Je weniger die Leute wissen, desto größer ist der Druck, zu begründen, wieso man etwas macht. Eine Folge der Säkularisierung.“ Obwohl sich die Zahl der deutschen Augustiner in 18 Jahren von 140 auf 70 halbiert hat und der Altersdurchschnitt bei 70 Jahren liegt, hat Rentsch keine Angst vor der Zukunft: „Hoffnungslos, aber nicht ernst. Wenn wir nur noch 20 sind, haben wir dann eben nur noch zwei Klöster.“ Und Heß zitiert Roger Schütz, den ermordeten Prior von Taizé: „Angst ist nie der Weg des Evangeliums.“ Freiraum zum Leben geben, das sehen Heß und Rentsch als ihr zentrales Anliegen – gemäß dem Augustinus-Zitat in ihrer Kirche: „Ich will, dass du bist.“
Tag des offenen Klosters
An diesem Samstag, 21. September finden im Rahmen eines Tages des offenen Klosters um 10, 13, 14.30 und 16 Uhr Führungen durch das Würzburger Augustinerkloster am Dominikanerplatz statt.
Treffpunkt für interessierte Besucher ist die Pforte des Augustinerklosters.