Er sei vorsichtig mit solchen Begriffen, aber in diesem Fall „ist er wirklich angebracht“, sagt Professor Hartwig Klinker – und spricht von „Revolution“. Seit zwei Jahren sei die Behandlung von Patienten mit Hepatitis C „geradezu revolutioniert“. Vor einiger Zeit noch verliefen die Infektionen häufig tödlich. In mehr als 90 Prozent der Fälle, so der Leiter der Infektiologie an der Würzburger Uniklinik, ließe sich die Erkrankung, neuer Therapien sei Dank, heute vollständig heilen.
Gute und schnelle Behandlungsmöglichkeiten ohne große Nebenwirkungen
Rund 400 000 Menschen in Deutschland tragen das Hepatitis C-Virus in sich. Viele von ihnen haben eine sogenannte Alt-Infektion ohne Symptome: vor Jahren erworben und nie diagnostiziert. Wie eine HIV-Infektion macht sich die Erkrankung oft erst viele Jahre nach der Infizierung bemerkbar. Unbehandelt aber, so Klinker, kann Hepatitis C zu schweren, lebensverkürzenden Folgeerkrankungen wie Leberzirrhose führen.
Bis vor zwei Jahren, so Klinker, habe die Behandlung der Infektion zwischen einem halben und einem ganzen Jahr gedauert, die Nebenwirkungen seien groß gewesen, die Heilungschancen mit 40 bis 70 Prozent eher mäßig. Jetzt stehen den Patienten gut verträgliche antivirale Medikamente zur Verfügung, „die in der Kombination hochwirksam sind“, das Virus komplett aus dem Blut bringen. Nach durchschnittlich nur noch zwölf Wochen Behandlungsdauer seien die Betroffenen dann zu 95 Prozent geheilt.
HIV kein Todesurteil mehr, sondern eher „Lebensversicherung“
Wie HIV wird auch Hepatitis C über das Blut übertragen, vor allem durch ungeschützten Geschlechtsverkehr, intravenösen Drogenkonsum und unter bestimmten Umständen bei der der Geburt. Auch bei HIV sei die Diagnose heute einfach, die Behandlung wirksam: „Früher galt der positive HIV-Test als Todesurteil“, sagt Infektionsmediziner Hartwig Klinker und benutzt erneut einen Begriff, den er nur selten verwendet: „ein Meilenstein“. Denn: „Heute sind Virusträger dank der Therapien klinisch gesund und haben eine nahezu normale Lebensperspektive.“ Auch wenn man die Diagnose nicht leicht nehmen dürfe – für den Infizierten bedeute ein positiver Test heute „eher eine Art Lebensversicherung“.
Den Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin, zu dem sich in der vergangenen Woche 1200 Ärzte, Fachleute und Forscher in Würzburg trafen, nutzte Klinker als Tagungspräsident trotz der Erfolgsmeldungen für mahnende Worte. So groß der medizinische Fortschritt bei der Diagnose und Behandlung sei, „so wenig sind wir beim Umgang mit den Erkrankungen und mit der Stigmatisierung vorangekommen“. Trotz aller Aufklärung seien Hepatitis C und HIV noch immer mit einem Stigma belegt, sagt Klinker.
13 000 Menschen in Deutschland wissen nichts von ihrer Infektion
In Deutschland leben rund 87 000 Menschen mit HIV-Infektion. Rund 13 000 von ihnen, so die Schätzung des Robert-Koch-Instituts, haben sich infiziert und wissen nichts davon. Denn allzu oft verdrängten Patienten aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung das Risiko einer Ansteckung, vor allem wenn der ungeschützte Geschlechtsverkehr oder Drogenkonsum bereits längere Zeit zurückliege.
Ärzte müssen die richtigen Fragen stellen
Auch Ärzte stellten nicht immer die richtigen Fragen, sagt Klinker. Sie führten besonders bei Patienten, die nicht zu den klassischen Risikogruppen gehören, zu selten entsprechende klärende Tests durch. Bleibt eine Hepatitis- oder HIV-Infektion unerkannt, verbreitet sich das Virus unbemerkt im Körper und kann unheilbare Schäden verursachen. Und die Gefahr, andere Menschen anzustecken, steigt.
Nicht nur an klassische Risikogruppen denken
An die Infektiologie am Universitätsklinikum Würzburg ist die HIV-Ambulanz für Unterfranken angegliedert, wo regelmäßig 250 bis 300 Patienten behandelt werden. „Wir stellen diese Infektionen, auch in unserer aufgeklärten Gesellschaft, zu sehr in eine Ecke“, mahnte Klinker am Rande der großen Medizinertagung. „Wir verbinden HIV mit männlicher Homosexualität und Drogensucht und denken ansonsten zu wenig daran.“ Entscheidend sei, die Barrieren für die Tests abzubauen. Flächendeckende HIV-Tests seien „überhaupt nicht sinnvoll“.
Es gehe stattdessen darum, Befunde festzulegen, bei denen Tests anzeigt sind: „Das ist eigentlich sehr einfach: Risikoverhalten, Herkunft aus Ländern, wo die Infektion häufig ist, und die richtige diagnostische Zuordnung der laborchemischer und klinischer Befunde.“