Die Zahlen sind alarmierend. "So viele tote Igel wie in diesem Jahr hatten wir noch nie", sagt Gudrun Martin, die gemeinsam mit ihrem Mann Herbert seit fast 30 Jahren die Igelstation in Gerbrunn betreibt. 55 Igel kamen heuer schon als Notfälle zu den Martins. "45 davon sind schlicht und einfach verhungert", sagt Gudrun Martin und blickt betrübt.
In den 29 Jahren ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit habe sie so etwas nicht ansatzweise erleben müssen. Täglich kämen neue, kranke, oft halb verhungerte, todgeweihte Tiere. Auch vergiftete und vestümmelte Igel. "Tiere, die keine Chance mehr haben, müssen eingeschläfert werden", erläutert sie. Das aber kann sie nicht selbst tun, sondern die Igel werden in die Tierklinik gebracht. Auch die Mitarbeiter dort seien betroffen ob der großen Anzahl an Igeln, die in diesem Jahr schon eingeschläfert werden mussten.
Die Igel liebevoll aufpäppeln
Der Rest wird liebevoll aufgepäppelt. "Das ist ein Knochenjob", sagt Martin. Bei dem sie selbst oft an ihre Grenzen stößt, zumal sie erst vor Kurzem eine schwierige OP hinter sich gebracht hat. Eine facettenreiche Arbeit mit Höhen und Tiefen, Erfolgen und Niederlagen. Und eine Arbeit, die sie und ihr Mann gar nicht mehr alleine schaffen können. Deshalb suchen die Martins ganz dringend "liebevolle Menschen", die ihnen bei der Versorgung der Igelbabys helfen.
Denn jetzt geht sie wieder los, die heiße Phase: Die Igel bekommen Junge. Dann klingelt das Telefon Tag für Tag, Nacht für Nacht. Schon da versucht sie, den richtigen Ratschlag zu geben. "Findet man Igelbabies, die noch nackt und blind sind außerhalb des Nestes, muss man sie unbedingt einsammeln und in ein warmes Tuch oder auf eine handwarme Wärmflasche legen", erklärt sie.
Danach sollte man sich schleunigst Rat holen, was zu tun ist. Beim Tierarzt, im Tierheim oder bei ihr. Meist müssen die Kleinen zu ihr gebracht werden, weil sie eine spezielle Welpenaufzucht-Nahrung brauchen, die Gudrun Martin direkt vom Hersteller bezieht. Das Kilo zu 85 Euro. "Das ist teuer, aber das Einzige, was sie vertragen und mit dem sie eine Überlebenschance haben. Dazu müssen sie alle zwei Stunden gefüttert werden", sagt die Tierfreundin. Auf keinen Fall sollte man den Vierbeinern Milch geben. "Das wäre der sichere Tod."
Igel im Nest nicht berühren
Wer zufällig ein Igelnest mit Jungen findet, sollte dies schleunigst wieder schließen, ohne die Tiere zu berühren, rät die Expertin. Solange die Kleinen im Nest sind, kommt die Mutter in jedem Fall zurück. Älteren Igelkindern außerhalb des Nestes, die schon ein Fell am Bauch und geöffnete Augen haben, hilft man am besten durch Zufüttern mit Katzendosenfutter.
Denn bis zum Beginn der ersten Fröste müssen sie sich noch eine Menge Speck für den Winterschlaf anfressen. "Auf keinen Fall diese Igel einfangen und wegsperren", warnt die Tierschützerin. Igel sind Wildtiere und stehen unter Artenschutz. Sperrt man sie ein, mache man sich doppelt strafbar, "wegen Wilderei und wegen des Verstosses gegen das Tierschutzgesetz", sagt Martin. "Aber besonders grausam ist, dass gefangene Igel sich selbst verstümmeln, weil sie nicht mehr ihre eins bis drei Kilometer in der Nacht laufen können."
Enormer Rückgang an Insekten
Immer wieder werden Igelmütter von Menschen einfach weggetragen, weil sie alleine an der Straße entlang auf der Jagd sind. Das sei zwar gut gemeint, aber völlig falsch, denn diese Mütter finden ihr Nest nie wieder, weiß Martin. Noch viele andere Gründe gibt, es warum die Säuglinge plötzlich alleine sind: die Mütter werden überfahren, geraten in Weinbergsnetze, fallen in tiefe Löcher oder Lichtschächte, wo sie jämmerlich zugrunde gehen. Oder sie finden keine Nahrung für ihre Babies.
Das war schon im Jahr 2018 dramatisch. "Letztes Jahr hatten wir eine Todesrate von fast 50 Prozent, in den Jahren zuvor waren es etwa 20 bis 25 Prozent", sagt die Tierschützerin. Die Hitze, die Trockenheit und der enorme Rückgang von Insekten nennt sie als Ursachen für das Igelsterben. Und in diesem Jahr wird es wohl noch dramatischer werden. Der Igel könnte in der Zukunft aussterben,befürchtet sie.
In der Igelstation in Retzbach ist die Situation noch entspannt, erklärt Reinhard Fritz. Gemeinsam mit seiner Frau Patricia Behr kümmert er sich seit etwa zehn Jahren um Igel in Not. 40 bis 50 sind das pro Jahr. Heuer seien es bis jetzt sehr wenige gewesen. "Aber die Saison mit Jungtieren beginnt ja auch erst", sagt er. Unterstützt werden die Beiden vom Bund Naturschutz.
Beide Igelstationen arbeiten ehrenamtlich. Alles was sie brauchen, zahlen die Martins selbst. Nur die Kosten für Medikamente oder Tierarztrechnungen übernimmt das Tierheim.