Es ist nicht so, dass Obdachlose keinen Wert auf Gesundheit legen würden. Ganz und gar nicht. Doch sich gesund zu halten, ist schwer, wenn man auf der Straße lebt. Gesund essen, täglich duschen, ausreichend schlafen – wie soll das gehen, wenn man kein Bett, keine Küche und kein Badezimmer hat. Und kaum Geld. „Hinzu kommt, dass viele Obdachlose nicht oder nicht ausreichend krankenversichert sind“, sagt Julia Abler vom Medizinischen Projekt der Würzburger Wärmestube.
Gerade die Pandemie wirkt sich verhängnisvoll auf kranke Obdachlose aus, betont die Sozialpädagogin, die im Juli begann, das Medizinische Projekt in der Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft aufzubauen, so deren Pressemitteilung. Der krebskranke Bernd W. zum Beispiel bekommt just keinen Platz in einer Klinik der Region, weil Betten für Corona-Patienten freigehalten werden müssen. „Hätte er eine Wohnung, könnte die Chemotherapie ambulant durchgeführt werden“, schildert Abler. Doch Bernd W. lebt seit 16 Jahren auf der Straße. Er hat kein Zimmer, wo er sich zwischen den Therapien ausruhen könnte. So muss er nun weit weg in ein Krankenhaus fahren.
Gefördert vom Sozialministerium
Die gesundheitliche Begleitung von Wärmestuben-Besuchern steht im Zentrum des Projekts, das vom Förderverein Wärmestube und vom Bayerischen Sozialministerium gefördert wird. Die Initiative baut auf die bereits vor Jahren etablierte Akutversorgung kranker Menschen in prekären Lebensverhältnissen auf. Franziskanerbruder Tobias gründete 2003 in Würzburg eine Straßenambulanz. Wenige Jahre später wurde in der Wärmestube eine ärztliche Sprechstunde eingerichtet. Drei Mediziner untersuchen und behandeln Obdachlose jeden Donnerstagnachmittag ehrenamtlich. Julia Abler und Andreas Schick, ihr Kollege aus dem Medizinischen Projekt, assistieren.
Das Team der Wärmestube musste nicht viel Überzeugungsarbeit leisten, um Unterstützer des neuen Projekts zu gewinnen. Denn ein großes Problem harrt seit langem einer Lösung: Wohnungslose, die wegen akuter Leiden behandelt werden, führen das, was ihnen ärztlicherseits geraten wird, selten konsequent fort. Auch das liegt an ihren prekären Lebensverhältnissen. Julia Abler und Andreas Schick motivieren, Folgetermine in der ehrenamtlichen Sprechstunde wahrzunehmen. Sie wechseln Verbände, begleiten zu anderen Ärzten oder in die Klinik, intervenieren bei Krankenkassen und organisieren Medikamente.
"Heißer Draht" zum Gesundheitsamt
Kommt ein Mann hustend in die Wärmestube, schrillt bei Julia Abler die Alarmglocke. Ist er etwa mit dem Corona-Virus infiziert? Das muss schnell abgeklärt werden, denn Menschen mit Erkältungssymptomen haben es noch mal schwerer, Zugang zu Hilfsangeboten zu finden. Um ein Ansteckungsrisiko auszuschließen, dürfen sie ohne negativen Test nicht in die Wärmestube, nicht in die Bahnhofsmission und nicht in die Kurzzeitübernachtung. Inzwischen hat Julia Abler einen „heißen Draht“ zum Gesundheitsamt aufgebaut, damit Obdachlose rasch getestet werden.
Bei manchem Besucher ist klar, dass er tunlichst auf Alkohol verzichten sollte, damit er nicht noch kränker wird. Sucht, bestätigt Julia Abler, ist unter Obdachlosen weit verbreitet. Doch gerade, was Suchterkrankungen anbelangt, ist sehr viel Fingerspitzengefühl nötig. Um ihnen zu helfen, möchten die beiden in nächster Zeit Kontakte zu Kliniken, Ärzten, Fachstellen und Selbsthilfegruppen herstellen.
Seelische Leiden als Ursache
Auch psychische Erkrankungen von Depressionen bis zum Borderlinesyndrom kommen unter den Besuchern der Wärmestube vor. Häufig sind seelische Leiden mit daran schuld, dass ein Mensch aus seinem bisherigen Leben herauskatapultiert wurde und in eine soziale Abwärtsspirale geriet. Umgekehrt können prekäre Lebensverhältnisse seelische Erkrankungen hervorrufen oder verstärken. Hier kennt sich Andreas Schick sehr gut aus. Bevor er im November 2020 in der Wärmestube anfing, war der Sozialpädagoge und gelernte Krankenpfleger elf Jahre beim Sozialpsychiatrischen Dienst in Schweinfurt tätig.
Oft sträuben sich seelisch kranke Obdachlose mit allen Mitteln, sich in die Psychiatrie zu begeben - eben weil vielen ihre Freiheit über alles geht. Doch vielleicht würden die Patienten eine niederschwellige, ambulante Hilfe in Anspruch nehmen, überlegt Schick. Der Sozialpädagoge würde deshalb gerne eine psychosoziale Sprechstunde analog zur ehrenamtlichen Sprechstunde der Hausärzte in der Wärmestube etablieren. Möglicherweise sind ja zwei oder drei Nervenärzte, Psychologen oder Psychotherapeuten bereit, freiwillig mitzuhelfen, so Schick.
Julia Abler und Andreas Schick sind zur Stelle, wenn eine chronische Krankheit zu bewältigen ist oder wenn ein akutes gesundheitliches Problem auftaucht – etwa Rückenbeschwerden, Erkältungen oder offene Wunden. Sozialpädagogisch helfen sie Männern und Frauen, die alleine niemals eine Arztpraxis aufsuchen würden. Bis Ende des Jahres ist die Finanzierung des Projekts noch gesichert. Beide hoffen sehr, dass es danach weitergeht.