Die Rohingya, die in der Region Rakhine im Süden Myanmars nahe der Grenze zu Bangladesch leben, gelten laut UN als am stärksten verfolgte Minderheit der Welt. Etwa 70 Jahre dauert der Konflikt zwischen der überwiegend muslimischen Volksgruppe und dem buddhistisch geprägten Staat Myanmar bereits an. Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung sind an der Tagesordnung, berichtet das DAHW in einer Pressemitteilung.
Ende 2017 eskalierte die Situation erneut: Vertreibungen, Massaker und Vergewaltigungen zwangen mehr als eine halbe Million Rohingya zur Flucht nach Bangladesch. Viele Muslime haben Myanmar jedoch nicht verlassen und leiden weiterhin unter Gewalt und Unterdrückung. NGOs leisten Nothilfe, doch bei den Rohingya, die mit einer Behinderung leben, kommt diese oft nicht an.
Um auch ihnen einen Zugang zu humanitärer Hilfe zu ermöglichen, haben die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe und die Shwe Minn Tha Foundation (SMTF) mit Mitteln des Bündnis Entwicklung Hilft (BEH) ein Rehabilitations- und Inklusionsprojekt umgesetzt, heißt es in einer Pressemitteilung.
Besonders Muslime mit Behinderung haben es schwer
Bereits 2018 führte SMTF, eine gemeinnützige Organisation, die sich für Menschen mit Behinderungen in Myanmar einsetzt, eine Umfrage durch, um die Bedürfnisse und Ressourcen der Menschen mit Behinderungen in der Region Rakhine zu ermitteln. Die Ergebnisse dienten als Grundlage für das 2019 gestartete BEH-Partnerprojekt.
"Bei der Befragung erfuhren wir, wie viel schwerer es besonders Muslime haben, die mit Behinderungen leben müssen", berichtet DAHW-Inklusionsexpertin Sahayarani Antony. Aufgrund der starken Einschränkungen der Regierung dürfen sie das Dorf nicht verlassen und haben keinen Zugang zu den grundlegenden sozialen Diensten wie Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt. "Die Lebensbedingungen der meisten Rohingya entbehren jeder Beschreibung – es fehlt einfach an allem", stellt Antony fest.
Um die Not zu lindern, wurden in einem ersten Schritt Grundnahrungsmittel wie Reis, Öl, Kartoffeln oder Salz verteilt, aber auch Kleidung, Decken, Matratzen, Moskitonetze und Haushaltsgegenstände. Für die kleinen, provisorischen Hütten gab es hilfreiche Bauteile wie Zinkdächer oder Bambus-Wände.
Barrierefreier Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen
In den islamischen Lagern und Dörfern in der Region Sittwe beispielsweise gibt es zum Teil überhaupt keine Toiletten – und wenn es sie gibt, sind sie oft kaputt, extrem schmutzig und in der Regel ziemlich weit von den Unterkünften entfernt. So sind sie für Menschen mit Behinderungen nicht zugänglich. "Wir errichteten in zwei islamischen Lagern und drei Dörfern neue Toiletten, installierten Handpumpen und bauten einen neuen Brunnen mit Zugangsrampe", berichtet Antony. "Außerdem stellten wir den Haushalten spezielle Speichertanks zur Verfügung, um ausreichend Wasser zum Trinken, Baden und Kochen zu haben." Die Auswahl der begünstigten Familien traf SMTF in enger Abstimmung mit den Dorf- und Campleitern.
Um eine Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern, wurden Hygieneprodukte bereitgestellt und Gesundheitsaufklärung betrieben. SMTF beauftragte einen pensionierten Mediziner, der die Sprache der islamischen Menschen im Camp spricht. Mit seiner Hilfe gelang es, Aufklärungsgespräche und Schulungen über Krankheitsprävention durchzuführen und die Notwendigkeit von persönlicher und Gemeinschaftshygiene zu vermitteln.
Umgestaltete Motorräder für eine selbstbestimmte Mobilität
Einige Personen erhielten finanzielle Unterstützung für die Behandlungs- und Rehabilitationskosten, darunter auch viele Kinder mit Behinderung. Es wurden lang ersehnte Gehhilfen wie Rollstühle und spezielle Toilettensitze organisiert.
Für den einfacheren Transport und die selbstbestimmte Mobilität der Menschen mit Behinderungen stellte SMTF elf umgestaltete Motorräder zur Verfügung. Ausgestattet mit einer großen überdachten Sitzfläche wurden die Zweiräder zu motorisierten Dreirad-Rikschas. Mit ihrer Hilfe können die Gemeinde-Bewohner das Krankenhaus leichter erreichen und medizinische Dienstleistungen rechtzeitig in Anspruch nehmen.
Inklusion und Empowerment von Menschen mit Behinderungen
Mit der Durchführung spezieller Schulungen wurde die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in die Gemeinschaft gefördert. Wichtigste Ziele waren die Wissensvermittlung rund um das Thema Inklusion und die Behindertenrechtskonvention, die Diskussion über bestehende Barrieren und die Entwicklung konkreter Aktionspläne für einen gleichberechtigten und inklusiven Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen für alle Menschen.
"Durch unsere Maßnahmen konnten Wissen und Bewusstsein über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, insbesondere in Flüchtlingssituationen, verbessert werden", berichtet SMTF-Mitarbeiterin Thin Thin. "Damit sich die Theorie aber in die Praxis umsetzt und tatsächliche Verhaltensveränderungen folgen, müssen hier weitere Angebote folgen."
Schwierigkeiten überwinden, Herausforderungen meistern
"Ein solches Projekt in einem so konfliktreichen Gebiet durchzuführen, war eine ganz besondere Herausforderung", macht Thin Thin von SMTF deutlich. "Unseren Mitarbeitern war der Zugang zu den Camps und Dörfern, insbesondere zu den islamischen Lagern, immer nur für zwei Wochen erlaubt. Nach Ablauf der Zeit mussten erneut Reisegenehmigungen beantragt und erteilt werden. Es kam oft zu Verzögerungen, zumal die Besuchszeit auf wenige Stunden am Tag begrenzt war."
Eine weitere Hürde sei die Auswahl der Begünstigten gewesen, denn die Zahl der betroffenen Menschen ist extrem hoch. "Wir mussten viele Menschen vertrösten, die unsere Hilfe genauso dringend gebraucht hätten wie all die anderen. Nicht zuletzt machte uns der schwere Monsun zeitweise einen Strich durch die Rechnung", so Thin Thin.
Aber die behindertengerechten Toiletten, der Brunnen und die Motorrad-Rikschas werden den Gemeinden auch nach dem Projekt erhalten bleiben, ebenso wie das Schulungsmaterial, das weiterhin genutzt werden kann – Maßnahmen, von denen neben den direkt Begünstigten auch die gesamte Gemeinde profitieren kann.
Vielen Menschen konnte geholfen werden, Vielen aber auch nicht
Was bleibt, sind wie so oft die gemischten Gefühle am Ende eines Hilfsprojekts wie in Myanmar. DAHW-Mitarbeiterin Sahayarani Antony. "Einerseits sind wir mehr als glücklich, dass wir vielen Menschen konkret helfen konnten – Menschen mit Behinderung, aber auch gefährdeten Frauen, Kindern und älteren Menschen." Zu sehen, wie schnell sich ihr Leben nachhaltig verbessert hat und wie der freie Weg zu einer sauberen Toilette auch ein Weg zu einem Leben in Würde und Respekt bedeutet, sei einfach großartig.
Gleichzeitig sehe man das Not und das Leid, das hier herrscht, und die vielen Menschen, denen nicht geholfen werden konnte. "Auch sie irgendwann auf dem Weg in ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben zu begleiten, ist unser Ziel."
Mit dem Rollstuhl auf direktem Weg in die Gemeinschaft
Wie konkrete Hilfsmaßnahmen den Alltag von Menschen mit Behinderungen verändern und ihnen zu einem völlig neuen Selbstwertgefühl verhelfen können, zeigt die Geschichte der 15 Jahre alten Hayma (Name geändert), die mit ihrer Familie im Dorf Pyin Shae lebt. Aufgrund von Behinderungen an beiden Armen und Beinen fällt es ihr mehr als schwer, ganz alleine einen Weg auf sich zu nehmen.
"Meine Familienmitglieder tragen mich, wenn ich irgendwo hingehen will oder wenn sie mich dabeihaben wollen", erzählt Hayma. "Der schwierigste Weg ist immer der zur Klinik, wenn ich krank bin. Oder der zum Markt, wenn ich etwas kaufen muss." Auf dem Motorrad kann Hayma nicht sitzen und eine Dreirad-Rikscha gibt es in ihrem Dorf leider nicht. "Eigentlich will ich nicht, dass mich jemand trägt, weil ich mich wegen meiner Behinderung oft schäme, das hat mich oft sehr verletzt", erzählt sie.
Der Rollstuhl brachte eine große Veränderung ins Leben von Hayma
Im Zuge des Hilfsprojekts der DAHW Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe und der lokalen Organisation Shwe Minn Tha Foundation (SMTF) bekam Hayma einen Rollstuhl. "Ich fühle mich jetzt viel wohler, denn dank meines eigenen Rollstuhls bin ich viel mobiler und kann mit Hilfe meiner Familie nun leichter Freunde und Verwandte besuchen. Außerdem haben wir im Dorf zwei umgebaute Motorräder bekommen, in denen ich gut sitzen kann. Damit kann ich jetzt problemlos zur Klinik und zum Markt gebracht werden", strahlt sie.
Sie sei sehr glücklich über die Veränderung in ihrem Leben, fügt sie hinzu. Durch ihre aktive Teilhabe gelingt ihr auch die Eingliederung und die Verbindung zur Dorfgemeinschaft. "Ich fühle mich erwünscht", sagt Hayma.