Was nützt einem Todkranken, was quält nur? Berater des „Ethiknetzes Mainfranken“ moderieren Konferenzen, bei denen alle Beteiligten ihre Sicht der Dinge darlegen können.
Die Tochter war hin- und hergerissen. Was wäre das Beste für ihren Vater? Wäre es gut, ihn künstlich zu ernähren? Oder würde ihn das quälen? „Die Hausärztin riet ab, die Pflegerin im Heim war für eine Sonde“, sagt Jochen Scheidemantel vom Verein „Ethiknetz Mainfranken“. Weil man sich nicht einigen konnte, kam die Hausärztin auf die Idee, das Ethiknetz einzuschalten. Eine knappe Stunde saßen alle Beteiligten zusammen. Am Ende fiel die Entscheidung für die Sonde.
Seit etwa eineinhalb Jahren hilft das Ethiknetz immer dann, wenn es schwierig ist, am Ende des Lebens eine ethisch gute Entscheidung zu treffen. Die Idee geht auf die Würzburger Palliativmedizinerin Birgitt van Oorschot zurück. Ihr fiel auf, wie schwer alte Menschen dadurch belastet werden, dass sie in den letzten Jahren vor ihrem Tod ständig zwischen dem Pflegeheim und der Klinik wechseln. Zum Beispiel, weil sie, mangels Hungergefühl, nichts mehr essen.
Angebot ist noch wenig bekannt
„Manchmal kommen die Senioren innerhalb eines Monats zweimal aus demselben Grund in die Klinik“, so die Leiterin des Interdisziplinären Zentrums Palliativmedizin der Universitätsklinik Würzburg Birgitt van Oorschot. Vor allem, wenn eine Demenz vorliegt, ist dies laut der Professorin fatal. Denn dadurch verschlimmere sich die Altersverwirrtheit oft. Das Ethiknetz ist bemüht, „Drehtüreffekte“ zwischen Heim und Klinik zu vermeiden.
Sechs Ethikberater helfen in der Region Würzburg bei schwierigen Entscheidungen am Lebensende. Koordiniert werden die Einsätze von Jochen Scheidemantel. Momentan kommt es nach Aussagen des Anästhesisten im Durchschnitt alle acht Wochen zu einem Einsatz. Diese Zahl liegt unter den Kapazitäten: „Wir könnten auf jeden Fall zweimal monatlich beraten.“ Doch noch sei das Angebot nicht allzu bekannt. Auch könnten sich die wenigsten Menschen vorstellen, wie eine Ethikberatung durch die ehrenamtlichen Mitarbeiter im Netz genau abläuft.
Ethikberater immer zu zweit im Dienst
Herzstück des Angebots sind die knapp einstündigen Konferenzen, bei denen alle Beteiligten ihre Sicht darlegen. Im Falle der Tochter, die nicht wusste, ob sie sich als rechtliche Betreuerin ihres Vaters für oder gegen eine Sonde aussprechen sollte, waren, neben ihr, eine Pflegekraft, die Hausärztin sowie zwei Ethikberater um den Tisch versammelt. „Wir kommen immer zu zweit“, erläutert Scheidemantel. Ein Mitarbeiter aus dem Netzwerk moderiert die Runde, ein anderer protokolliert das Gespräch.
Während der Konferenz werden unterschiedliche Fakten zusammengetragen. So legte die Hausärztin ihre medizinische Sicht dar. Die Tochter versuchte aufzuzeigen, was ihr Vater, der einen schweren Schlaganfall erlitten hatte, wohl wünschen würde. Sie beschrieb ihn, wie er sich verhielt, wenn sie ihn besuchen kam: „Er lächelt mich immer an.“ Und obwohl er nicht mehr reden konnte, zeigte er nach wie vor Interesse an seiner Umgebung.
Eine Patientenverfügung besaß ihr Vater nicht. „Diese Verfügungen sind leider immer noch nicht weit verbreitet“, bedauert Scheidemantel. Teilweise lägen auch Verfügungen vor, die sich als nicht tragfähig erweisen. In diesen Fällen versucht der Ethikberater herauszufinden, wie ein Mensch, als er noch im Vollbesitz seiner Kräfte war, zu Themen wie „künstliche Ernährung“ stand. Auch das ist nicht einfach: „In den Familien wird darüber nur selten geredet.“ Teilweise blocke die jüngere, teilweise die ältere Generation, ab.
Weitere Ethikberater in den Startlöchern
Sind alle medizinischen, persönlichen, psychosozialen und spirituellen Aspekte zusammengetragen, entscheiden die Beteiligten, wie es nun weitergehen soll. „Von unserer Seite gibt es keinen Vorschlag“, so Scheidemantel. Das sei aber auch nicht nötig. Denn allein durch den intensiven Austausch kristallisiert sich fast immer eine Lösung heraus. Die kann auch erst einmal nur vorübergehend sein. So wurde im Falle der Tochter beschlossen, ihren Vater in den kommenden Wochen künstlich zu ernähren. Sollte sich herausstellen, dass ihm das mehr schadet als nützt, kann die Entscheidung revidiert werden.
Bisher waren die Berater ausschließlich in Würzburg, Kitzingen und Main-Spessart aktiv. Doch das Netz, das durch die Beiträge von 35 Mitgliedern finanziert wird, soll auf ganz Unterfranken ausgedehnt werden. Aktuell ist der Verein dabei, Aschaffenburg und Miltenberg anzuschließen. Hier könnten in Kürze sechs weitere Ethikberater Einsätze übernehmen. Im nächsten Schritt ist geplant, die unterfränkische Region 3 (Region Main-Rhön), in das Netz einzugliedern.