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WÜRZBURG
Heute die Hürden von morgen nehmen
Erich Schöls (links) und Sebastian Gläser vom Steinbeis-Forschungszentrum zeigen, wie Chirurgen Bandscheibenoperationen planen.
Foto: Pat Christ | Erich Schöls (links) und Sebastian Gläser vom Steinbeis-Forschungszentrum zeigen, wie Chirurgen Bandscheibenoperationen planen.
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 24.03.2018 02:33 Uhr

In Wirklichkeit befindet sich Sebastian Gläser im Moment mitten in Würzburg. Virtuell jedoch ist er weit weg. Vielleicht in London. Oder in Mexiko. Wo er durch eine riesige Anlage spaziert, in der Kunststoff produziert wird. Gläser hat den gesamten Produktionsprozess im Blick. Mehr noch: Mit einem Fingerdruck kann er prüfen, ob es gestern irgendwo Probleme gab. Sogar in die Zukunft kann der Würzburger Designer blicken: Reichen die Ressourcen, die für morgen eingeplant wurden?

Wo Ideen für die Probleme von morgen entstehen

Seit acht Jahren ist Sebastian Gläser wissenschaftlicher Leiter des Würzburger „Steinbeis-Forschungszentrums Design und Systeme“. Das Zentrum wurde im Jahr 2005 gegründet. Gesamtleiter Erich Schöls, der an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt eine Professur für Multimedia inne hat, wollte mit dem Zentrum eine Forschungsstätte schaffen, in der Ideen für die Probleme von morgen kreiert werden.

Mit dem, womit sich klassische Werbeagenturen beschäftigen, hat das, was im Forschungszentrum passiert, nicht das Geringste zu tun. Denn das Team des Zentrums erfüllt nicht einfach Kundenaufträge, so Schöls: „Wir entwickeln Prototypen für Kunden, die gar nicht wissen können, was sie haben wollen.“ Wie sollte man das auch wissen, ist doch kaum jemandem bekannt, was im weiten Feld der digitalen Kommunikation jenseits der einfachen Simulation inzwischen alles möglich ist.

Es geht auch um allerlei Fremdwörter

Echtzeit-Visualisierungen, Mobile Computing, Computational-Design, Realtime 3D Applikationen, Datenvisualisierung und neue Interfaceentwicklungen – das sind für die meisten Kunden, die sich Werbesachverstand einkaufen wollen, noch Fremdwörter.

Noch kennt nicht einmal jeder das Gefühl, wie das ist, mit der 3D-Brille und dem Smartphone in der Hand durch eine Kultureinrichtung zu spazieren. Was im Vergleich zu dem, was die Steinbeis-Forscher kreieren, ohnehin absolut simpel ist. Wer sich von Erich Schöls und Sebastian Gläser durch das Forschungszentrum führen lässt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Da gibt es zum Beispiel ein „Knowledge Tool“, also ein Kommunikationswerkzeug, das Informationen aus nüchternen technischen Broschüren zum Leben erweckt.

Schöls hält eine solche Broschüre unter die Kamera. Auf dem Bildschirm vor ihm erscheint das Objekt, eine Zellenradschleuse, dreidimensional. Es dreht sich, man kann sogar in sein Inneres schauen. Plötzlich spielt sich sogar ein kleiner Film über das Objekt ab.

Das Spektrum ist breit

Allein das thematische Spektrum ist beeindruckend. Das Team des Forschungszentrums, dem zehn feste und, variierend, bis zu 25 Studierende angehören, beschäftigt sich mit Innovationen für riesige Anlagen, entwickelt aber auch pfiffige Lösungen für kleine, regionale Museen. Es geht um das Autofahren der Zukunft und um eHealth-Angebote. Vor Schöls auf dem Bildschirm erscheint zum Beispiel gerade die Wirbelsäule eines Patienten, der an der Bandscheibe operiert werden soll. Der Operateur sieht genau, wo er die Bandscheibe entfernen und eine Prothese einsetzen muss.

Das System präsentiert ihm verschiedene Implantate zur Auswahl. Der Arzt entscheidet sich für eines. Und bekommt rückgemeldet, dass das in diesem Fall nicht gut geeignet ist. Zu den aufregendsten IT-Projekten zählen jene, die aus der langjährigen Kooperation mit Daimler hervorgehen. Während Otto Normalverbraucher nach wie vor jeden Morgen ins Auto steigt, um zum Arbeitsplatz zu kutschieren, bewegt sich das Team um Gläser und Schöls schon seit langem in der Welt des autonomen Fahrens. Wo die Passagiere via Gesten mit ihrem High-Tech-Gefährt kommunizieren.

Wenn der Betrachter in die Luft geht

Gefällt es den Insassen irgendwo besonders gut, lassen sie sich auf der Windschutzscheibe oder an irgendeinem anderen Ort im Wagen anzeigen, in welchen Hotels es noch freie Zimmer zu welchem Preis und mit welchem Komfort gibt. Und wenn das Hotel keinen Parkplatz hat: Über eine von den Würzburgern entwickelte App kann das Auto zum Selbstparken geschickt werden. Schöls: „Wenn man es braucht, holt man es über die App wieder.“ Auch ist es möglich, sich während des Fahrens virtuell in die Lüfte zu schwingen und die neue Stadt wie ein Vogel von oben zu betrachten. Wie ein Auto aussieht, dessen Inneres ein einziger virtueller Erlebnisraum ist, zeigt Daimler mit seinem Forschungsfahrzeug F015. Die digitalen Anwendungen im Inneren stammen von den Würzburger Steinbeis-Forschern.

Für Otto Normalverbraucher ist das alles noch nicht recht vorstellbar. Und doch, ist Schöls überzeugt, wird es bald gar nicht anders gehen als mit autonomen Fahrzeugen – wenn das Auto an sich überhaupt Zukunft haben sollte. Schöls hält es nicht für ausgeschlossen, dass es in Zentren großer Städte in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr erlaubt sein wird, selbst zu fahren. Ist es doch der Mensch mit seiner Emotionalität, der für Staus, Unfälle und alle anderen Probleme im Verkehr sorgt. Smarte Vehikel, die sich akribisch an Regeln halten und immer die günstigste Geschwindigkeit wählen, vermeiden Verkehrskonflikte.

Wenn künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt

Beim Gang durch das Zentrum wird vor allem klar: Hier setzen sich Menschen für die Idee ein, komplexe Prozesse zu durchschauen, auftauchende Probleme mit neuester Technologie anzupacken und Zusammenhänge digital verständlich zu machen. Was allerdings nicht unkritisch geschieht. Jede Entwicklung, so Schöls, hat schließlich gute und weniger gute Seiten, birgt Chancen und Risiken.

Das gilt gerade auch für die Künstliche Intelligenz. Durch sie werden viele Aufgaben leichter lösbar. Aber natürlich hat das, was unter dem Schlagwort 4.0 passiert, auch gravierende Auswirkungen auf die Arbeitswelt. „Wir denken ethische Fragestellungen schon im Entwicklungsprozess mit“, sagt Schöls. Wäre es doch fatal, etwas am Menschen vorbei zu entwickeln. Im Falle der Automobilindustrie würden auf diese Weise Milliarden verbrannt.

Steinbeis

Geschichte Der württembergische Wirtschaftspolitiker Ferdinand von Steinbeis gründete 1868 die erste Steinbeis-Stiftung, um die Ausbildung von Jugendlichen zu fördern. Während der Inflation 1923 verlor die Stiftung ihr Vermögen und löste sich auf. 1971 wurde die Steinbeis-Stiftung neu ins Leben gerufen, sie sitzt in Stuttgart. Die Stiftung ist heute Dach eines Verbunds von rund 1000 Dienstleistern im Wissens- und Technologietransfer. Die meisten haben ihren Sitz an Forschungsinstituten.

Verbund Das Würzburger Steinbeis-Forschungszentrum Design und Systeme ist Teil des deutschlandweiten Verbunds. Zu den Kernaufgaben gehören die angewandte Forschung im Bereich der digitalen Informations- und Kommunikationsmedien sowie die Entwicklung und Gestaltung von neuartigen Informations- und Kommunikationswerkzeugen. Außerdem konzipieren die Steinbeis-Forscher zukunftsweisende Interaktionsszenarien und nachhaltige Ausstellungskonzepte, sie entwickeln Prototypen und beraten strategisch. pat

 
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