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WALDBÜTTELBRUNN
Heiße Sachen im coolen Kessel
Systherms GmbH: Öfen bauen können viele. Eine Firma in Waldbüttelbrunn aber hat ein Paket aus Qualität, Know-how, Innovation und Service geschnürt, durch das sie einen entscheidenden Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern hat.
Der Vakuum-Anlassofen Typ VAD ist ein „Alleskönner“ und eignet sich neben dem Anlassen für eine Vielzahl von Wärmebehandlungen wie Löten, Nitrieren, Glühen oder Tiefkühlen.
Foto: Johannes Kiefer | Der Vakuum-Anlassofen Typ VAD ist ein „Alleskönner“ und eignet sich neben dem Anlassen für eine Vielzahl von Wärmebehandlungen wie Löten, Nitrieren, Glühen oder Tiefkühlen.
Wolfgang Renninger
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:59 Uhr

Wenn der Volksmund von Öfen spricht, ist klar was gemeint ist: es gibt Öfen zum Kochen, Backen oder Schmoren von Lebensmitteln und solche, mit deren Hilfe man Zimmer, Wohnungen oder ganze Gebäude temperiert.

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia spricht etwas abstrakter von einer „Vorrichtung zur kontrollierten Erzeugung von Wärme“. Dass aber in Öfen auch Temperaturen um minus 200 Grad herrschen können, erfährt man bei einem Besuch der Spezialisten von Systherms vor den Toren Würzburgs.

Maßgeschneiderte Systeme

„Ein Ofen ist für uns nichts anderes als eine Anlage für die thermische Behandlung von Werkstoffen“, sagt Günter Reuß. „Dabei kommt es dann im Kessel mitunter auch zum Tiefkühlen.“ Was sich simpel anhört, ist in der Praxis ein weites Feld: In Waldbüttelbrunn entwickelt der Geschäftsführer der Systherms GmbH mit seinem Team maßgeschneiderte Ofensysteme für den Weltmarkt.

Die Kunden kommen dabei aus ganz unterschiedlichen Branchen: Neben Luftfahrt- und Automobilindustrie bedient Systherms auch Firmen aus Medizintechnik, Glas- und Stahlindustrie. Air France, Singapore Airlines, Daimler, Volvo, MTU, Bosch, Philips – die Liste der Kunden ist ebenso lang wie beeindruckend und liest sich wie ein „Who is Who“ weltweit führender Industrieunternehmen.

Einsatzzweck der Ofensysteme ist aber stets der gleiche: „Es geht immer um die Behandlung von Werkstoffen mit Hilfe verschiedener thermischer Verfahren, um die Eigenschaften des Materials dem Verwendungszweck angepasst zu optimieren“, erklärt Reuß.

Härten von Stahl

Beispielsweise sind Härte und Verschleißwiderstand wichtige Faktoren hinsichtlich der Lebensdauer von Werkzeugen, bei anderen Werkstücken kann es mehr auf Elastizität, Temperaturleitfähigkeit oder Verwindungssteifigkeit ankommen. „Das wichtigste Verfahren dabei ist das sogenannte Härten von Stahl. Das Werkstück wird, einfach gesagt, soweit erwärmt, dass sich das Ferrit im Stahl in Austenit umwandelt, in dem mehr Kohlenstoff gelöst werden kann“, erläutert Reuß. Beim anschließenden Abschrecken werden die Kohlenstoffatome verspannt, es bildet sich Martensit. Eine wichtige Rolle innerhalb dieses Prozesses spielt dabei die Abkühlgeschwindigkeit: Je schneller die Abkühlung, desto mehr Martensit bildet sich und umso härter wird der Werkstoff.

Von 1000 Grad auf Raumtemperatur
In Anlagen von Systherms können Werkstücke unter Verwendung von Erdgas innerhalb zwei Minuten von 1000 Grad auf Raumtemperatur abgekühlt werden. „Im Anschluss werden durch das sogenannte Anlassen, einer weiteren Wärmebehandlung, zu hohe Spannungen im Werkstück wieder abgebaut. Wir lassen unsere Systeme seit 2012 ausschließlich in Deutschland produzieren“, so der Firmengründer. Hauptgrund dafür sei die Qualität. „Auch bei der Wärmestabilität und der Temperaturgleichmäßigkeit – den wichtigsten Faktoren innerhalb der Prozesse – liegen wir mit unseren Öfen seit dieser Umstellung im absoluten Spitzenbereich.“

Dafür greifen die Auftraggeber dann auch gerne etwas tiefer in die Tasche. „Angesichts der Folgekosten durch verdorbene Werkstücke ist das für unsere Kunden kein Thema.“

Der Schlüssel des Erfolgs

Ungefähr 300 Anlagen verließen bislang die Montagehallen des Fertigungspartners – alles Unikate. „Die Systeme werden speziell für den Auftraggeber konfiguriert und sind am Ende maßgeschneidert für den jeweiligen Einsatzzweck.“ Für Diplom-Ingenieur Reuß ein Grund für den Erfolg seines Unternehmens. „Das ist natürlich ein Riesenaufwand. Sie müssen sich vorstellen, dass allein das Lesen der Vorgaben und Leistungsbeschreibungen unter Umständen mehrere Wochen in Anspruch nimmt.“ Sechs bis acht Monate ist das komplette Team dann von der Auftragserteilung bis zur Auslieferung des fertigen Ofens eingespannt. „Diesen Luxus leisten wir uns aber gerne“, so Reuß, „wir wollen bewusst klein und flexibel bleiben, das ist der Schlüssel unseres Erfolgs.“

Begonnen hatte der umtriebige Tüftler nach dem Studium als freier IT-Consultant. So kam er in den späten 80er-Jahren zur Degussa AG. Ein Mitarbeiter des Frankfurter Traditionsunternehmens erkannte die Fähigkeiten des jungen Ingenieurs und forcierte gemeinsam mit ihm die interne Härterei. Nach der Gründung der eigenen Firma übernahm Reuß schließlich diesen Bereich. „Als wir begonnen haben“, sagt er heute nicht ohne Stolz, „gab es genügend Mitbewerber, der Markt hat nicht auf uns gewartet.

Faible für Steuerungssoftware

Aufgrund unserer Leistungsfähigkeit und Flexibilität haben wir uns dennoch durchgesetzt.“ Heute können die Kunden bei Systherms Öfen mit bis zu 20 Kubikmeter Fassungsvermögen bei einem Kesseldurchmesser von über drei Metern ordern. In ihnen können Werkstücke mit bis zu vier Tonnen Gewicht bearbeitet werden. Ein Highlight in der Firmenhistorie stellt die Entwicklung und Planung einer vollautomatischen Ofenlinie dar, in der Getriebekomponenten des schwedischen Autobauers Volvo bearbeitet werden. Eine Waschmaschine, ein Vorwärmofen und zwei Nitrieröfen sind dabei über ein automatisches Transportsystem verbunden, dass sowohl die Beschickung der einzelnen Anlagen als auch die Entnahme der behandelten Teile übernimmt.

Auch in dieser Ofenlinie steckt ein weiterer wichtiger Baustein für den Erfolg des kleinen, innovativen Unternehmens: der ehemalige IT-Consultant Reuß hat ein Faible für die Entwicklung von Steuerungssoftware entwickelt. „Mit unserem selbstentwickelten Steuerungssystem hestia bieten wir das beste Paket aus Technik, Anlagensteuerung und Software am Markt.

“ Die Steuerung sei speicherprogrammierbar und finde auch dann noch Lösungen, wenn einzelne Komponenten ausfallen.

Das System plant, führt, überwacht und dokumentiert dabei den kompletten Prozess. Spezielle Fehleralgorithmen sorgen dafür, dass die Steuerung auf bestimmte Probleme adäquat reagiert. „Im Bereich der Industrieprozesse sind wir mit dieser Steuerung führend. Unsere Systeme laufen damit rund um die Uhr ausfallsicher.“

Nische geschaffen

Neben Schnittstellen zu allen üblichen ERP-Programmen verfügt die Steuerung mit dem sogenannten Touch Panel auch über ein grafisches Bedienfeld. Ein berührungsempfindlicher Bildschirm informiert den Benutzer jederzeit über den Ofenzustand und alle Prozessdaten. Differenzierte Eingabemöglichkeiten ermöglichen das Ausführen von Programmen und die Einstellung und Beeinflussung aller wichtigen Parameter.

Für die Zukunft sieht der Ingenieur sein Unternehmen gut gewappnet: „Die Wärmebehandlung ist bei der Bearbeitung von Werkstoffen auch auf lange Sicht alternativlos. Wir haben uns in diesem Bereich eine Nische geschaffen, in der es sich auch in Zukunft gut leben lässt, da bin ich mir sicher.“ Auch die durchaus zahlreiche Konkurrenz innerhalb der Branche ist für Reuß kein Problem. „Öfen bauen können viele. Mit unserem Paket aus Qualität, Know-how, Innovation und Service haben wir aber einen entscheidenden Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern.“

Steckbrief

Firma: Systherms GmbH

Standort: Gutenbergstraße 3, Waldbüttelbrunn

Gründungsjahr: 1997

Mitarbeiterzahl: 18

Umsatz: Etwa fünf Millionen Euro

Hauptleistungen: Entwicklung von Anlagen und Software für die industrielle Wärmebehandlung

Geschäftsführer: Günter Reuß Homepage: www.systherms.de

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Foto: Johannes Kiefer
Mechanische Bearbeitung auf dem Bohrwerk.
Foto: Johannes Kiefer | Mechanische Bearbeitung auf dem Bohrwerk.
Das Materiallager.
Foto: Johannes Kiefer | Das Materiallager.
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