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WÜRZBURG
Hannes Langolf: Tanzwerkstatt war mein zweites Zuhause
Im Gespräch: Hannes Langolf stammt aus Waldbrunn und startete in Würzburg seine Karriere als Tänzer. Jetzt lebt und arbeitet er in London. Mit seinem aktuellen Stück ist Langolf am 6. Januar im Cinemaxx-Kino zu sehen.
Regina Urbon
 |  aktualisiert: 18.04.2016 15:17 Uhr

Hannes Langolf ist ein Sympath beim Interview in der Würzburger Tanzwerkstatt. Aber er kann auch anders, kann mit Hilfe seines Körpers und mit Gestik auch der Wütende, brutal Schlagende, Verzweifelte sein, der Trinker – zumindest scheint es so. Er hat eine weite Bandbreite. Immer ist es zeitgenössischer Tanz: Körperbeherrschung. Oft bewegt er sich und hält dabei einen Monolog. Zeigt erstaunliche Bewegungskunst, wenn er sich zum Beispiel auf Flaschenhälse stützt. Langolf ist Tänzer und Schauspieler. Insider sehen in dem 31-Jährigen Deutschen „das für den Tanz, was Dirk Nowitzki für den Basketball ist“. Langolf besuchte über die Feiertage seine Familie und kam nach Waldbrunn, wo er aufwuchs. Er lebt heute in London. Dort steht er im DV8 (to deviate) Physical Theatre unter Vertrag. Der Würzburger Tanzwerkstatt-Schulleiter Thomas K. Kopp war bei dem Gespräch dabei.

Frage: Herr Langolf, wann haben Sie angefangen zu tanzen?

Hannes Langolf: Mit acht Jahren. Für mich war das Zufall, weil eine Schulfreundin anfangen wollte zu tanzen. Alleine traute sie sich nicht, da hat sie mich mit zur Tanzwerkstatt genommen. Auch meine Tante Katharina Lehmann hat hier getanzt und ist auch jetzt noch aktiv und als Tanzpädagogin beim Team dabei. Ein Jahr später war ich gehooked (eingegliedert). Ich habe gemerkt: Das kann ich.

Gab es auch andere Hobbies für Sie?

Langolf: Früher, ja. Flöte und Geige. Meine beiden Musikinstrumente habe ich aber für den Tanz aufgegeben.

Und dann?

Langolf: Ich habe zwei mal pro Woche intensiv in der Tanzwerkstatt trainiert, und am Freitag nach der Schule war ich auch da. Als ich älter war, habe ich die Wochenenden hier verbracht. Es war mein zweites Zuhause. Ich habe Stücke mitentwickelt und mitgetanzt. Heute bin ich auch Choreograf.

Hat da nicht die Schule drunter gelitten?

Langolf: Die Schule wurde irgendwie Nebensache, aber ich war trotzdem ganz gut und habe mein Abitur gemacht und dann Zivildienst. Dann habe ich mich für den Tanz entschieden. (Zu Thomas K. Kopp:) Du hast mir ein paar Tanzschulen vorgestellt. Dadurch wurde mir klar: Kommerzielles war nicht mein Ding. Mein Interesse ging immer in die zeitgenössische Richtung. Die taucht etwas tiefer. Da geht es nicht darum, bloß die eigenen Fähigkeiten darzustellen und ein paar Tricks zu zeigen, sondern um die Möglichkeiten, mit dem Körper Hintergründe darzustellen und aufzudecken.

Thomas Kopp: Im Gegensatz dazu kann das klassische Ballett oft eine Art Pantomime sein, da gibt es Codes für Liebe, Hass, Tod. Der zeitgenössische Tanz ist aber frei in seinen Darstellungsformen.

Langolf: Ich habe viel gelernt, damals in der Tanzwerkstatt in Würzburg gehörte zum Tanzen auch schon das Aufbauen der Bühne, Lichtproben bis vier Uhr morgens und das Entwickeln der Kostüme. Auch Choreografie. Im zeitgenössischen Tanz habe ich zum Beispiel schon mal ein Bollywood-Duett mit eingebaut, weil es zum Thema gepasst hat, oder Hip-Hop-Stile und aus englischen Volkstänzen habe ich Dinge herausgezogen. Der zeitgenössische Tanz ist viel reicher als das Ballett.

Wodurch zeichnet sich Ihre jetzige Arbeit bei DV8 besonders aus? To deviate – gesprochen: D-V-8 bedeutet ja, „vom normalen Kurs oder von der normalen Form abkommen.

Langolf: Sprache und Bewegung als gleichberechtigte Kunstformen, die ihre Grenzen überbrücken.

Sie sind Tänzer und künstlerischer Partner bei der Companie „DV8“ in London, die mit ihrem Choreograf Lloyd Newson zu den weltweit bedeutendsten ihres Fachs gehört. Das aktuelle Stück heißt „John“: Die Hauptrolle spielen Sie, Herr Langolf. Um was geht es dabei?

Langolf: Lloyds Arbeit basiert auf Interviews. Er geht 'raus und befragt die Menschen. Wir haben ausschließlich deren Worte von den Interviews für das Stück verarbeitet. Es geht um Sprache und gleichzeitig Bewegung. Bewegung bekommt eine praktische, kommentierende Position zum Text. Manchmal verkörpert Bewegung auch das Gegenteil. Man sagt zum Beispiel: „Schön, dich zu sehen“ und meint aber „jetzt bist du schon wieder da!“

Kopp: Das Spannende ist oft, dass man Tanz und Sprache nicht 1:1 adaptieren (gleichsetzen) kann. Das ist das, was den Zuschauer packt! Im zeitgenössischen Tanz erfinden wir etwas ganz Eigenes, aber es ist immer noch Tanz! Zeitgenössischer Tanz will sich immer wieder neu erfinden, andere Wege gehen, sich an Themen wagen, an die zunächst niemand denkt.

Und der Zuschauer muss das selbst interpretieren, so wie bei einem abstrakten Bild?

Kopp: Ja, genau!

„John“ hatte im Herbst in Wien Uraufführung und wird zur Zeit am National Theatre in London gespielt. Das Cinemaxx Kino in Würzburg zeigt am 6. Januar eine Aufzeichnung des Stückes aus dem National Theatre in London, vermutlich in Englisch.

Langolf: . . . mit deutschen Untertiteln. Frei erst ab 18 Jahren, denn die interviewten Männer wurden zu Liebe und Sex befragt, und es kommt auch Nacktheit vor. Es ist ein universelles Stück über die generellen, tiefen Bedürfnisse, die – glaube ich – jeder hat: eine Suche nach Halt, Anerkennung, Intimität und Liebe. 50 Männer sind für dieses Stück interviewt worden – nur Männer, aber das heißt nicht, dass nicht auch Frauen, Jüngere und Ältere das Stück anschauen.

Gibt es „John“ wirklich?

Langolf: Ja. Er kommt aus einem gewalttätigen Milieu. Sein Vater hat seine Schwester missbraucht und seine Mutter so getreten, dass sie dadurch zwei Kinder verloren hat. Es geht auch um Alkohol, auch um das Leben auf der Straße.

Haben sie noch Kontakt zu ihm?

Langolf: Ja, er hat das Stück auch gesehen und sich darin wiedergefunden. Der Zuschauer lernt ganz viel aus Johns Leben kennen. Für mich stellt sich da immer wieder die Frage: Kann man aus der Vergangenheit lernen, ein solches Leben ändern?

Bleibt diese Frage im Stück offen?

Langolf: Ja, sie bleibt offen, und John, dessen Alter wir nicht veröffentlichen dürfen, lebt ja noch. Aber das Stück ist auch ein persönlicher Appell, in unserer Sozialgesellschaft Liebe und Verbundenheit zu leben.

Trägt „John“ einen Bart – so wie Sie jetzt?

Langolf: Nein, ich will dadurch nur älter aussehen.

„John“ ist aber nur ein Teil Ihrer Arbeit.

Langolf: Ja, als Tanzpädagoge habe ich auch schon Stücke mit ganz unterschiedlichen Teilnehmern gemacht: mit Schauspielern, Tanzstudenten, professionellen Tänzern, auch mit Parkinson-Patienten. Bewegung ist eben universell!

Können Sie von Ihrer Arbeit gut leben? Ist London nicht sehr teuer?

Langolf: Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich diese Companie gefunden habe. „DV8“ können ihre Tänzer so bezahlen, dass sie über die Runden kommen. Aber Tänzer zu sein ist ein teurer Beruf, man braucht auch Physiotherapie, Massagen, muss das Yoga-Studio bezahlen können . . . der Körper muss mitmachen!

Wie lange trainieren Sie?

Langolf: Drei Stunden täglich, hinzu kommen die Proben und die Performance. Das bedeutet in aller Regel Bewegung von zehn Uhr bis sechs Uhr abends.

Und zum Entspannen: welche Musik?

Langolf: Gerne alternative Musik im Pop, Singer- Songwritermäßig, kleinere Künstler, und ich schaue mich gerne nach Neuem um.

Eine Aufzeichnung des Stückes „John“ mit Hannes Langolf aus dem National Theatre in London läuft am Dienstag, 6. Januar, um 19 Uhr im Cinemaxx-Kino in Würzburg.

Hannes Langolf

In Waldbrunn aufgewachsen, kam Hanns Langolf mit acht Jahren in die Würzburger Tanzwerkstatt und lernte hier Grundlagen des zeitgenössischen Tanzes kennen. 2003 siedelte er nach London um, um Tanz zu studieren.

Nach seinem Abschluss wurde er ausgewählt, dem europäischen interdisziplinären Projekt D.A.N.C.E. beizutreten, wo er unter der künstlerischen Leitung von Angelin Preljocaj, Frédéric Flamand, Wayne McGregor und William Forsythe mitarbeitete und -gestaltete.

2007 trat er dem DV8 Physical Theatre bei und gehörte mit zur Originalbesetzung der von den Kritikern gefeierten Stücke „To Be Straight With You“ und „Können wir darüber reden?“. Darüber hinaus arbeitete Hannes Langolf unter bekannten Namen weiter, so zum Beispiel in der Akram Khan Company. FOTO: National Theatre London

 
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