zurück
Würzburg
Gysi: "Das ist ein Kulturbruch in der Bundesrepublik"
Entsetzt ob der Vorgänge im Thüringer Landtag ist Linken-Politiker Gregor Gysi. Im Interview spricht er von "abscheulichen Spielereien" und fordert Neuwahlen auch im Bund.
Der prominente Linken-Politiker Gregor Gysi ist entsetzt über die Vorgänge im Thüringer Landtag und fordert Neuwahlen sowohl im Land wie im Bund. 
Foto: Oliver Berg, dpa | Der prominente Linken-Politiker Gregor Gysi ist entsetzt über die Vorgänge im Thüringer Landtag und fordert Neuwahlen sowohl im Land wie im Bund. 
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 09.02.2020 02:10 Uhr

Er hatte sich im Thüringer Wahlkampf für Ministerpräsident Bodo Ramelow stark gemacht, nach der Wahl für Gespräche mit der CDU plädiert. Nach der Schockwahl von FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD ringt selbst der wortgewandte Gregor Gysi, lange Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, nach Worten. 

Frage: Herr Gysi, wie ist Ihr Puls?

Gregor Gysi: Das weiß ich nicht genau. Was ich aber weiß: Dass ich zutiefst entsetzt bin. Das ist ein Kulturbruch in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Allianz aus FDP, CDU und Höckes AfD war bislang nicht vorstellbar. Das hat sich geändert.

Warum ist das ein Kulturbruch, ein Tabubruch?

Gysi: Weil mich die allmähliche Akzeptanz und Hineinnahme von Höckes AfD in Regierungsbündnisse an 1924 erinnern, als völkische Gruppierungen in Thüringen das erste Mal den Ministerpräsidenten mitgewählt haben. Und es erinnert mich an 1930, als das erste Mal die NSDAP in eine Landesregierung eintrat – auch in Thüringen. Und das wiederholt sich 90 bzw. 96 Jahre später.

Wem machen Sie den Hauptvorwurf?

Gysi: Sowohl der FDP als auch der CDU. Ich nehme da keinen aus. Das war alles abgesprochen. Das mit einem Typen wie Höcke zu tun, ist für mich völlig inakzeptabel.

Sie gehen von einem abgekarteten Spiel aus?

Gysi: Das war es ganz bestimmt. In der AfD hat niemand den eigenen Kandidaten gewählt, FDP und CDU verhalten sich bei der Wahl gleich. Der Mann von der FDP war auch nicht überrascht, dass er Ministerpräsident wurde… Ich bin auch persönlich vom Verhalten von Mike Mohring und Thomas Kemmerich zutiefst enttäuscht. Ich hätte das Mohring nicht zugetraut, aber er hat es gemacht und mich eines Schlechteren belehrt.

Sie hatten sich ja im Herbst noch für Koalitionsgespräche zwischen Linken und CDU ausgesprochen…

Gysi: Auf jeden Fall für Gespräche. Ich hatte es für eine Option gehalten.

Was bedeutet dieser Vorgang für die Bundespolitik?

Gysi: Wenn die SPD ihre Geschichte nicht aufgeben und sich selbst nicht verraten will – muss sie jetzt unverzüglich die Große Koalition aufkündigen. SPD, Grüne und Linke müssen begreifen: Ein Zusammengehen mit Union und FDP ist zurzeit nicht mehr möglich. Der Tabubruch in Thüringen ist zu groß. Also müssen sie jetzt für ein Mitte-Links-Bündnis streiten und versuchen, eine Mehrheit dafür im Bund zu erreichen.

Sie fordern Neuwahlen im Bund und in Thüringen?

Gysi: Ja, beides. Bodo Ramelow und die Linke dürfen jetzt nicht aufgeben. Ich sage Ihnen: Bei Neuwahlen hält diese komische Koalition in Thüringen nicht, weil CDU und FDP dann verlieren werden. Ich war lange genug in Thüringen. Nach einer Umfrage wollten 40 Prozent der CDU-Wähler eine direkte und weitere 40 Prozent eine lockere, projektbezogene Koalition von Linken und CDU, nur 20 Prozent waren dagegen.

Sind Neuwahlen in Thüringen der einzige Ausweg? Oder ist eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung denkbar?

Gysi: Diese Minderheit bestünde aus 26 von 90 Abgeordneten… Ohne die AfD brächten sie keinen Haushalt, kein Gesetz durch. So bekämen wir faktisch ein Bündnis. Glauben Sie nicht, dass Höcke seinen Preis verlangt? Glauben Sie, der wählt den Ministerpräsidenten und verzichtet darauf, indirekt an der Regierung beteiligt zu sein? Wahrscheinlich wird der Kompromiss sein, dass er einen Parteilosen benennt, der Minister wird – oder so ähnlich. Wenn FDP und CDU A sagen, kommen sie um B und C nicht herum.

Das heißt, auch eine Regierung ohne formale Beteiligung der AfD wäre von ihr abhängig…

Gysi: Selbstverständlich.

Was bedeutet der Vorgang für die Demokratie, wenn die kleinste Fraktion den Ministerpräsidenten stellt?

Gysi: Es ist eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler. Es gab im Vorfeld eine Umfrage: Drei Viertel der thüringischen Bevölkerung wollten Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten bestätigt sehen. Dass hier CDU, FDP und AfD einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, beweist den Leuten doch, wie fragil aus ihrer Sicht die Demokratie ist. Und das stärkt die AfD. Diese Partei stellt sich doch in Wirklichkeit gegen die Demokratie. Das darf man nicht unterschätzen. Der Frust über die Demokratie wird zunehmen. Ich möchte aber, dass sie gestärkt wird. Das sind abscheuliche Spielereien, die im Thüringer Landtag stattgefunden haben.

Sie meinen damit auch das Wahlverhalten einer AfD, die einen eigenen Kandidaten stellt, aber diesen nicht wählt?

Gysi: Daran merken Sie doch das abgekartete Spiel gemeinsam mit CDU und FDP.

Was bedeutet diese Wahl speziell für Ostdeutschland?

Gysi: Thüringen war das ostdeutscheste der neuen Bundesländer. Und das geht jetzt verloren. CDU und FDP werden – noch dazu unterstützt von der AfD – eine andere Politik machen als früher die CDU unter einem Bernhard Vogel oder auch danach. Bodo Ramelow war gerade dabei, in Thüringen die Wirtschaft zu stärken und zugleich die soziale Sicherheit wieder zu erhöhen. Ich glaube, dass dies alles jetzt in Gefahr gerät.

Wirft der Vorgang auch ein weiteres negatives Schlaglicht auf Ostdeutschland, was die Demokratiefähigkeit angeht?

Gysi: Vielleicht. Auch das hätten sich die Herren Kemmerich und Mohring überlegen müssen. Haben sie aber nicht und sind diese unsägliche Allianz eingegangen.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Andreas Jungbauer
Alternative für Deutschland
Bernhard Vogel
Bodo Ramelow
CDU
Deutscher Bundestag
FDP
Fraktionschefs
Gregor Gysi
Große Koalition
Koalitionsgespräche
Landtage der deutschen Bundesländer
Mike Mohring
Minderheitsregierungen
Minister
NSDAP
Politiker der Linken
Regierungsbündnisse und Koalitionen
SPD
Schwarz-Gelb
Sozialer Schutz und soziale Sicherheit
Thüringer Landtag
Wahlverhalten
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Schteini
    Schon interssant, dass ausgerechnet der ehemalige Vorsitzende der SED-PDS sich anmaßt, von einem Tabubruch zu sprechen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • matthiasr
    ...und keine Überraschung, dass das die MP so bringt...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Zeitgsfan
    Das versteht man nicht gerade, wenn jetzt behauptet wird, dass dreiviertel der Wähler Bodo Ramelow bestätigt sehen wollten, denn dann wäre der Wahlausgang doch eindeutiger und die Probleme gäbe es gar nicht. Die Linke, die immer noch dem kapitalistischen Westen sehr kritisch gegenüber steht, wollte Thüringen hoch bringen. Ja, warum klappte es bisher nicht? Was ist das aber auch für ein Wahlgesetz, dass man zweimal durchfallen kann und einfach ein Dritter, der sich vorher der Wahl nicht stellen musste, sich ohne den vorigen Ärger aufstellen lassen kann? Die Demokratie wird mit diesen Spitzfindigkeiten ausgehebelt, auch ein gewisser Herr H. hatte keine Mehrheit, bis dann die Mitte ihn unterstützte, was das ganze damalige Deutschland, Europa, die Welt ins Unglück stürzte. Diese Zeit wird heute als Vogelschiss der Geschichte abgetan. Dadurch verloren eine Unzahl an Menschen ihr Leben und ihre Heimat. Armes Deutschland. Und das in Thüringen, wo Goethe und Schiller ihre Heimat fanden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • andy-sw
    Egal was da wie "gelaufen" ist. Es waren Wahlen auf Basis unserer geltenden Gesetze.
    Wenn Demokratie mal nicht so ausgeht, wie es die regierende Kaste möchte, dann wird nach Neuwahlen gerufen?
    Sind wir schon in Absurdistan?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • matthiasr
    Das ist Satire oder?

    Die Person die das Vermögen der linksfaschistischen Mauerschützenpartei versteckt hat wird als moralische Instanz genutzt um über den Tabubruch mit einer in weiten Zügen rechtsfaschistischen Partei zu urteilen?

    Nicht Euer Ernst?

    https://www.mdr.de/zeitreise/sed-vermoegen-100.html

    Für die jüngeren....
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • hansuwe.bina@web.de
    Sehr geehrter Herr Gysi,
    ich bin ebenfalls entsetzt und ich kann Ihren Ausführungen nur zustimmen - unabhängig ob man die Linke wählt oder nicht.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • tommy33
    DAS IST DEMOKRATIE!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • moritzmuehle@t-online.de
    Nee, das ist Machtgeilheit, auch wenn man sich mit den braunen Ratten ins Bett legt. Ekelhaft.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • SchmidJosef@t-online.de
    Das ist, wenn Demokraten sich um die Demontage der Demokratie einen Dreck scheren und sich mit Demokratieverächtern unter eine Decke kuscheln.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Maedlesschmecker
    Also genauso wie vorher als die SPD und die Grünen sich mit der SED ins Bett legten, oder?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • uwe.luz@t-online.de
    Dieser Kommentar trägt nicht zur Diskussion bei und wurde daher gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Helmut_Faul_HF2017
    Wir haben einen Hinweis zu Ihrem Kommentar. Bitte belegen Sie ihre Aussagen mit Quellen, so können wir diesen Kommentar leider nicht veröffentlichen. Mit freundlichen Grüßen, die Online-Redaktion
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Einwohner
    Dieser Kommentar trägt nicht zur Diskussion bei und wurde daher gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten