Béla Noll besucht die neunte Klasse des Würzburger Matthias Grünewald-Gymnasiums und wird voraussichtlich im Jahr 2027 das Abitur machen. Das klingt erstmal recht normal und betrifft viele der Jugendlichen in seinem Alter. Doch: Der 15-jährige Béla leidet an stark ausgeprägtem ADHS, lässt sich gerne ablenken und hat Probleme mit Gefühlen wie beispielsweise Ärger oder Wut umzugehen. Ohne eine Schulbegleitung, die ihn den gesamten Schultag über begleitet, wären seine Chancen, das Abitur zu schaffen, nicht sehr hoch.
Die fachärztliche Diagnose, die eine nachgewiesene Schwerbehinderung und Förderbedarf attestiert, gab es schon vor längerer Zeit, doch habe sich die Situation für Béla mit zunehmendem Leistungsdruck am Gymnasium verschlechtert. Wie seine Mutter Barbara Noll schildert, habe er einerseits eine mangelhafte Fähigkeit, sich selbst zu organisieren oder fremde Organisation anzunehmen. "Er findet sich in der Welt und in der Schule nur schwer zurecht, lässt immer wieder Dinge irgendwo liegen und kann sich stundenlang über Kleinigkeiten aufregen, schafft es aber nicht, die Hausaufgaben zu notieren", erklärt sie einige der für das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom typischen Verhaltensweisen. Auch brauche er immer wieder Erklärungen zu dem, wie andere die Welt wahrnehmen.
Zwischen ADHS und Hochbegabung
Andererseits, so die Mutter, ist Béla im musischen Bereich hochbegabt. "Er hat ganz großes Talent und in diesem Bereich auch eine große Bereitschaft, zu kooperieren. Er kann sich selbst sehr gut reflektieren und auf Feinheiten stundenlang fokussieren." Da am Grünewald-Gymnasium im musischen Zweig das Erlernen eines Instruments Pflicht ist, hat Béla sich für die Querflöte entschieden, seine ganz große Leidenschaft aber gehört der Komposition. "Wir werden noch viel von ihm hören", ist sich Schulleiter Holger Saurenbach sicher. So ist Béla Noll schon jetzt Jungstudent mit Hauptfach Komposition in der Klasse von Joachim Schneider an der Musikhochschule Würzburg und gehört zu den Preisträgern des bayerischen Landeswettbewerbs „Jugend komponiert“. "Wir haben auch schon von ihm komponierte Stücke an unserer Schule zur Aufführung gebracht", so Saurenbach. Ob das Béla stolz macht? "Ja", sagt er ein bisschen schüchtern.
Um ihm die Teilhabe am normalen Schulalltag zu ermöglichen, ist eine Schulbegleitung notwendig, "nur durch sie kann er gemäß seiner Intelligenz beschult werden", ist sich seine Mutter sicher. Zwar nehme er Medikamente ein, dennoch sei eine pädagogische Begleitung äußerst sinnvoll. Dafür habe sie gekämpft und will auch anderen Eltern, die sich um ihre Kinder sorgen, diese Möglichkeit aufzeigen. Es sei oft genug vorgekommen, "dass Menschen dachten, dass er keine gute Erziehung genossen hat, da er in manchen Situationen seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat", berichtet sie. Das mache traurig und zeige, wie schnell Menschen in eine Schublade gesteckt würden. Durch ihre persönliche Erfahrung ist Barbara Noll nun auch beruflich für die "ergänzende unabhängige Teilhabeberatung" (EUTB) tätig, die Menschen in ähnlichen Situationen umfassend zu Fragen der Inklusion berät.
Für Béla selbst ist seine Schulbegleiterin Silvana Guckes ein Segen, die Chemie habe sofort gestimmt, sagen beide unisono. "Sie hilft mir, dass ich mich besser organisieren kann, ich weiß, dass es ohne sie für mich viel schwieriger wäre", sagt er. So nimmt die 34-Jährige ihn morgens an der Schule in Empfang und hilft ihm, sich im Unterricht zu motivieren, zu strukturieren sowie seine Arbeitsmaterialen zu ordnen. Als Schulbegleiterin habe sie keine spezielle Ausbildung benötigt, so Guckes, "aber wichtig ist es, emphatisch zu sein, zuhören zu können und sich auch in die andere Person hineinzuversetzen". Seine Mitschüler und Mitschülerinnen, berichtet Béla, hätten seine Schulbegleiterin super aufgenommen, es störe eigentlich niemanden, "dass da noch jemand mit im Unterricht sitzt". Und natürlich werde neben dem Lernen und Organisieren auch viel gelacht, so Béla, der sich in der Klassengemeinschaft gut integriert fühlt.
Schule bemüht sich um Inklusion
Für Jugendliche wie Béla braucht es auch seitens der Schulleitung viel Verständnis ebenso wie die Mithilfe von Lehrern und Lehrerinnen. Da hat der neue Schulleiter des Grünewald-Gymnasiums eine ganz klare Meinung: "Inklusion ist an unserer Schule ein wichtiges Thema. Wir wollen, dass Kinder mit Einschränkungen dieselben Bildungschancen haben." Und dies sei, so die Erfahrung der Schule, durch verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten in vielen Fällen möglich.
"Ob Schüler und Schülerinnen mit körperlichen Beschwerden wie Rheuma oder einer Geh- oder Sehbehinderung oder mit sozial-emotionalen Schwächen, es wird versucht, das Beste zu geben." Manchmal, so Saurenbach, sei dies eben nur mit Schulbegleitung oder Inklusionsstunden möglich. Aber: Jedes Kind habe seine Stärken und die gelte es herauszuarbeiten, so Saurenbach. Gerade im musischen Zweig seiner Schule erlebe man die Kinder nochmal ganz anders: "Musik machen gibt oft Selbstvertrauen und gerade sensible Kinder sind oft sehr begabt."
Kinder, bei denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird, erklärt Saurenbach weiter, bekämen bei Leistungsnachweisen auch einen sogenannten Nachteilsausgleich zuerkannt, beispielsweise in Form von Extra-Zeit beim Schreiben von Klausuren. So auch bei Béla. Er hat außerdem das Glück, dass ihm eine extra-Inklusionsstunde - eine so genannte Budgetstunde - in der Woche gewährt wurde. Dafür habe er sich die Lehrkraft aussuchen dürfen und seine Religionslehrerin, Pfarrerin Lisa Heußner, gewählt, zu der Béla ein besonderes Vertrauensverhältnis hat.
Inklusionsstunde mit der Religionslehrerin
"Ich unterstütze Béla emotional, habe ein offenes Ohr und einen verschlossenen Mund. Bei mir kann er auch mal Dampf ablassen", sagt sie lächelnd. Zudem werbe sie bei anderen Lehrkräften um Verständnis und den "Gemeinschaftsgedanken". Wichtig sei es zu erkennen, "dass Béla sich zwar eigentlich konzentrieren will, es aber oftmals einfach nicht schafft". Momentan, so Heußner, "lernen wir, uns in Gelassenheit zu üben", vor allem gehe es bei ihrer Zusammenarbeit aber "weg vom Funktionieren" hin zu "wie fühle ich mich glücklich an der Schule".
Barbara Noll ist dankbar, dass die Bereitschaft am Grünewald-Gymnasium groß ist, ihrem Sohn bei seinem Recht auf Teilhabe zu unterstützen. Sie hofft, dass dies auch anderen Eltern mit beeinträchtigten Kindern ermöglicht werde, auch, "wenn die Kinder vielleicht keine Inselbegabung (Anmerk.d.Red.: außergewöhnliche Begabung in einem speziellen Teilbereich) haben".
Schulleiter Saurenbach wünscht sich indes mehr Unterstützung vom Kultusministerium, um Kinder mit besonderen Bedürfnissen noch besser unterstützen zu können. "Man kann viel erreichen, braucht aber auch die entsprechenden Ressourcen, vor allem in Form von mehr Zeitstunden und unbürokratischen Lösungen", sagt er.
Vielleicht lernt er aber auch mit der Zeit, allein klar zu kommen. Heilbar ist ADHS nicht.
Alle anderen fachlichen Begabungen sind nur einen Pfifferling wert wenn der Umgang mit Mensch und Natur nicht passt.
ADHS-Kinder und deren Eltern haben es da extrem schwer, dass ist mir sehr wohl klar.
Es wäre aber falsch sich da immer nur auf die fachliche Hochbegabung zu stürzen bzw. krampfhaft nach dieser zu suchen! Eine Gesellschaft lebt vom "Miteinander" und daran muss permanent gearbeitet werden.