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WÜRZBURG
Gumbrecht über Trump: „Selbst das Positive ist nur zufällig“
Gespräch über Donald Trump: Hans Ulrich Gumbrecht, gebürtiger Würzburger und Literaturwissenschaftler in Stanford, hat sich vorgenommen, den US-Präsidenten genau zu beobachten. Sein erstes Fazit: „Chaotisch“.
Professor Hans Ulrich Gumbrecht in Stanford's Quad. Der Literaturwissenschaftler und Literaturhistoriker lebt, lehrt und arbeitet seit fast 30 Jahren in den USA.
Foto: Laura Teresa Gumbrecht– | Professor Hans Ulrich Gumbrecht in Stanford's Quad. Der Literaturwissenschaftler und Literaturhistoriker lebt, lehrt und arbeitet seit fast 30 Jahren in den USA.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 10.03.2017 03:41 Uhr

Wenn Hans Ulrich Gumbrecht morgens an der Uni Stanford ins Büro kommt, sind schon seit einigen Stunden wieder neue Twitternachrichten des US-Präsidenten in der Welt. Der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler und Publizist beobachtet und interpretiert von Kalifornien aus das neue Treiben in Washington. Wird jetzt nach dem Regierungsantritt Trumps vielleicht ein geheimer Plan sichtbar? Gumbrechts Eindruck ist ein anderer: „Man hat den Eindruck, er wacht jeden Morgen auf und hat irgendeine andere dumme Idee.“ So wie am Samstag, als Trump über Obama und das vermeintliche Abhören des Trump-Towers twitterte und wir telefonisch mit Gumbrecht zum Interview verabredet waren.

Frage: Was hat Donald Trump als Präsident bislang richtig gemacht? Wo hat er Sie positiv überrascht?

Hans Ulrich Gumbrecht: Die Frage ist wichtig, weil man bemerkt, dass sie sich nicht beantworten lässt. Denn man kann ja eigentlich nur sagen, ein Politiker macht etwas richtig oder falsch, wenn man seine Konzeption sieht. Man hat einen Rahmen, und innerhalb dieses Rahmens kann man sagen: Aha, das hat er falsch gemacht, das passt nicht zur Konzeption. Aber was absolut nicht sichtbar geworden ist bei Trump in den ersten Wochen, ist irgendeine Konzeption.

Man vermutete ja nach der Wahl, er hat vielleicht irgendetwas im Kopf und wenn er im Weißen Haus ist, wird sich das zeigen. Für mich ist die dominante Erfahrung, dass sich nichts in dieser Hinsicht gezeigt hat. Und das Wenige, mit dem man zufrieden sein kann, lässt sich deshalb nicht als Teil einer Strategie oder eines Rahmens ansehen.

Was gehört zu diesem Wenigen?

Gumbrecht: Ich nenne zwei Beispiele. Der Bundesrichter, den Trump ausgewählt hat, ist zwar sicher ein Konservativer – und warum auch nicht? Aber offenbar tatsächlich ein guter Jurist. Und man weiß aus der Geschichte des Supreme Court, dass die wirklich guten Juristen in ihren Entscheidungen nicht vorhersehbar sind, weil sie sie nach einer juristischen Logik treffen. Es passiert oft, dass ein Richter, der von einem republikanischen Präsidenten ernannt wurde, sich plötzlich von seinen Entscheidungen her in eine völlig andere Richtung entwickelt. Das könnte jetzt mit Neil Gorsuch der Fall sein. Ich war sehr erstaunt, dass Trump diesen guten und auch berühmten Juristen ernannt hat. Aber man kann daraus nichts ableiten. Er hat wohl einfach zufällig einen guten Juristen ausgewählt.

Das zweite Beispiel? Die gelobte Rede vor dem Kongress vor einer Woche?

Gumbrecht: Ja. Die war zwar etwas plattfüßig, aber es war das, was ein Präsident bei seiner ersten Rede in beiden Häusern sagt: Dass die Nation gespalten ist, dass man Einheit will, dass die Republikaner und Demokraten sich nicht andauernd schachmatt setzen sollen. Das war alles ganz richtig. Nur können Sie daraus keine Schlüsse ziehen. Zu sagen, wie es ja auch viele Kommentatoren in Europa getan haben, ah, jetzt wird Trump endlich doch noch ein Präsident – nein. Das war kein positiver Wendepunkt, Was ja schon die Twitternachricht am Wochenende über Obama und die Abhörungen belegte. Ich stelle mir das so vor: Er wacht sehr früh auf, rennt im Bademantel wie ein Derwisch durch die Gänge des Weißen Hauses und nachdem er auf dem Klo war, twittert er. Was er twittert, ist nicht vorauszusehen. Aber es soll immer maximale Resonanz erzeugen.

Was Sie zu Beginn sagten klingt aber so, als hätten Sie ein politisches Konzept erwartet, es ihm zumindest zugetraut?

Gumbrecht: Ich habe es ihm eigentlich nicht zugetraut. Ich habe erwartet, dass es so inkohärent und chaotisch wird wie es nun ist. Aber was jetzt eingetreten ist, konnte man sich trotzdem vorher eigentlich nicht im Ernst vorstellen: Dass jemand im Weißen Haus sitzt, der keine Konzeption hat. Auf die Frage nach der positiven Überraschung komme ich zu dem Schluss: Es kann auch gar keine positiven Überraschungen geben, weil selbst das Positive bei Trump immer nur zufällig ist.

Dann waren alle Befürchtungen nach der Wahl – in den USA, in Europa – berechtigt und bestätigten sich?

Gumbrecht: Ich habe kurz nach der Wahl bei einem Abendessen mit einer Stanford-Kollegin, mit Condoleezza Rice gesprochen. Sie sagte, mit Ihrer eigenen Erfahrung aus dem Weißen Haus als Außenministerin unter George W. Bush, dass sie sich innenpolitisch wenig Sorgen macht, trotz allen Lärms, den Trump erzeugt. Rechtlich und politisch gesehen sind die USA noch stärker dezentralisiert als die Europäische Union. Es gibt bei uns viel weniger an Bundesgesetzen, an die sich jeder Staat halten muss, als es EU-Gesetze gibt. Condoleezza Rice sagte, auch mit guten Absichten sind die innenpolitischen Möglichkeiten des Weißen Hauses sehr beschränkt.

Nicht aber die außenpolitischen. Gumbrecht:

Da machte sie sich ungeheure Sorgen. Weil die Machtkonzentration in der Hand des Präsidenten enorm ist. Und weil die Konzeptionslosigkeit, das Fehlen geschichtlicher Perspektiven und die Erfahrungslosigkeit außenpolitisch das denkbar Schlimmste auslösen könnten, einschließlich eines nuklearen Krieges. Wacht Trump irgendwann auf und denkt, es wäre doch sensationell, Nordkorea einmal zu zeigen, was eine Harke ist? Die Möglichkeit hat der US- Präsident. Er könnte uns und die Welt langfristig in Krisen, auch in militärische Krisensituationen bringen, die irreversibel sind. Doch der Unterschied zur Innenpolitik bleibt wichtig. Der Versuch etwa, die Obamacare rückgängig zu machen – das wird wohl nicht gelingen. Auch weil diese Gesundheitsreform wirklich gut funktioniert und mittlerweile auch viele frühere Gegner bemerkt haben, dass es doch gut ist, wenn man an einer Blinddarmreizung nicht stirbt.

Nach der Wahl haben Sie Ihr Erstaunen über die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ausgedrückt. Sie hätten den Riss, so haben Sie geschrieben, zuvor so nicht wahrgenommen. Was passiert mit dem Spalt?

Gumbrecht: In dem ganzen langen einjährigen Wahlkampf bin ich nur zwei Leuten begegnet, die mir explizit gesagt haben, sie werden Trump wählen. Das hat sich nicht verändert. Die Gesellschaft, in der ich mich bewege, ist die eine Hälfte der amerikanischen Gesellschaft. Gegen meine Tendenz zu sagen, das Land ist nicht so gespalten, merke ich nun plötzlich, dass ich mit Trump-Anhängern gar nicht in Kontakt komme. Und es gibt auch ein Tabu: Trump-Anhänger trauen sich nicht, auf einem Campus offen ihre Meinung auszudrücken. Wir „Liberale“ sind also auch ganz schön repressiv.

Spürt man denn den Wechsel im Weißen Haus im „normalen“ Leben, im Alltag, auf der Straße?

Gumbrecht: Am Anfang, unmittelbar nach dem Amtsantritt, gab es diese Bleischwere, die Fassungslosigkeit: „Jetzt ist das Unglaubliche wirklich geworden.“ Mittlerweile hat man eben diesen eigenartigen Präsidenten und macht ab und an einen Witz über ihn. In meiner Welt dominiert die Einstellung, dass wir das jetzt vier Jahre lang aussitzen. Oder, die Demografie von Trumps Wählerschaft lässt das befürchten, auch acht Jahre.

Vielleicht merkt er vorher, dass Präsident-Sein mühsam ist und gar nicht so viel Spaß macht. Gumbrecht:

Die Hoffnung, dass er irgendwann „hinschmeißt“ wie man im Deutschen neuerdings sagt, die habe ich auch. Trump könnte sich sagen: „Ich habe gezeigt, dass ich Präsident werden kann, ich habe im Weißen Haus gesessen, ich habe mit der Macht gespielt, jetzt mache ich etwas anderes.“ Aber man soll dem eigenen Zweckoptimismus nicht ohne Widerstand trauen.

Worum geht es Trump? Außer um Aufmerksamkeit, Aufsehen, Resonanz?

Gumbrecht: Ich glaube nicht, dass die Frage beantwortbar ist. Was wir nach sechs Wochen sagen können: Es gibt, wie gesagt, keine Kohärenz, es zeigt sich keine Strategie. Etwa so etwas wie die Obamacare, die Trumps Vorgänger über Jahre vorbereitet hatte, um sie genau im richtigen Moment durchzusetzen. Bei Trump zeichnet sich so etwas nicht ab, meine ich. Aber seine Anhänger stellen mit Begeisterung fest, dass er schon jetzt einige der Wahlversprechen eingelöst haben soll.

Was ist mit den Leuten in der zweiten Reihe? Bei den „Beratern“, wenn sich Trump denn beraten lässt?

Gumbrecht: Sie meinen Stephen Bannon? Man kann sich bei Trump eigentlich überhaupt nicht vorstellen, dass er je irgendjemandem zuhört. Bannon hat sicher, im Gegensatz zu seinem Chef, eine kohärente und ziemlich schauerliche Ideologie. Die hat sich in der Inaugurationsrede, die ja von IHM geschrieben war, abgezeichnet. Vizepräsident Mike Pence ist offenbar auf dieser Linie, die beiden halte ich für die gefährlichsten neuen Einwohner des Weißen Hauses. Meine Hoffnung nach dem Auftritt im Repräsentantenhaus und Senat war die Hoffnung, dass es ein Symptom für interne Spannungen gewesen sein könnte, wenn Trump sich diese Rede nicht hat von Bannon hat schreiben lassen. Vielleicht sagt Bannon, Du kannst nicht jeden Morgen twittern was Du willst, das muss auf Linie sein. Und Trump wird ungeduldig, denkt, der will mir den Mund verbieten, feuert Bannon irgendwann. Das wäre schon wieder so eine phantasievolle Zukunftshoffnung.

Was wäre die Zukunftsbefürchtung?

Gumbrecht: Dass es in einem Jahr eine Palastrevolution gegeben hat und Pence Präsident von Bannons Gnaden ist. Das zweite Horrorszenario wäre, dass Bannon seine eigene Partei gründet, so etwas wie die amerikanische Nazi-Partei in den Dreißigern, und großen Zulauf bekommt. Aber das ist nicht meine Prognose, das ist nun schon immer mehr freie Fiktion. Ist es nicht interessant, dass wir auf diesen Präsidenten, den wir uns alle nicht vorstellen konnten, jetzt mit Fiktionen reagieren?

Was wird von Obama bleiben?

Gumbrecht: Ich gehe da sehr weit. Obama wird als einer der ganz großen Präsidenten in die Geschichte eingehen. Auch, weil er vermieden hat, als erster schwarzer Präsident die Rechte der Minderheiten, vor allem der Afroamerikaner, zum zentralsten Punkt seiner Agenda zu machen. Er war nicht in erster Linie der Präsident einer Minderheit, sondern einfach nur ein sehr guter Präsident. Hoch ist ihm auch anzurechnen, dass er nach den acht George W. Bush-Jahren, die das Ansehen der Institution international und national schon sehr ruiniert haben, dem Weißen Haus und der Rolle des Präsidenten wieder eine Würde gegeben hat. Obama hatte Stil. Es gab keinen Moment in den acht Jahren, in denen er und seine Familie nicht Würde gezeigt hätten. Und als irreversible praktische Leistung bleibt die Obamacare, die wirklich etwas verändert hat im Land.

Von Würde ist dem Amt nach sechs Wochen ja nicht mehr viel geblieben.

Gumbrecht: Ja. Das ist wirklich rekordverdächtig. Wohl kein US-Präsident hat in sechs Wochen so viel zum Zerfall dieser Rolle beigetragen.

Dauerhaft? Oder nur ein Flackern?

Gumbrecht: Dass das Flackern zu einem innenpolitischen Feuer der Opposition wird, ist die Hoffnung. Und die Hoffnung schließt den Supreme Court ein, der eine politische stärkere Rolle hat als selbst das Karlsruher Verfassungsgericht in Deutschland. Man hofft, dass er vor allem Stabilität garantieren wird. Man muss darauf hoffen.

Hans Ulrich Gumbrecht

Der Literaturwissenschaftler wurde 1948 in Würzburg geboren. Er studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie in Deutschland, Spanien und Italien und lehrte an den Unis Konstanz, Bochum und Siegen. Seit 1989 ist Gumbrecht an der Stanford University in Kalifornien Professor für allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft. Der Kulturtheoretiker und Essayist bloggt für die FAZ, vermittelt in den USA deutsche Philosophie und verteidigt in Deutschland die Sichtweisen seiner Wahlheimat.

Seit der Jahrtausendwende besitzt Gumbrecht die amerikanische Staatsbürgerschaft. 2015 wurde er mit dem Kulturpreis seiner Heimatstadt ausgezeichnet.

Trump Rede vor US-Kongress       -  Donald Trump, beklatscht und gefeiert.
Foto: AFP, Mandel Ngan | Donald Trump, beklatscht und gefeiert.
 
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