
Der Start dieses ungewöhnlichen Drogenprozesses am Landgericht Würzburg steht unter ungewissen Vorzeichen: Angesichts einer schwierigen Beweislage sondiert der Vorsitzende Richter Konrad Döpfner an diesem Dienstag zunächst die Gesprächsbereitschaft bei den fünf Angeklagten und ihren acht Verteidigern. Denn statt einer zähen, monatelangen Beweisaufnahme würde das Landgericht Würzburg gerne "kurzen Prozess" machen. Voraussetzung: Die mutmaßlichen Drogendealer gestehen das ungewöhnliche "Geschäftsmodell".
Anklage: Aus der Suchtklinik heraus gedealt
Die Begleitumstände sind für Drogenprozesse dieses Kalibers ungewöhnlich: Einige der Angeklagten konsumieren seit Jahren offenbar selbst, was auf dem Markt erhältlich ist - einer von ihnen, heute 37 Jahre alt, nach eigenen Angaben bereits seit 26 Jahren. Bemerkenswert vor allem: Die mutmaßlichen Köpfe der Bande saßen eigentlich bereits wegen ähnlicher Delikte in Haft, als Drogenfahnder des Zolls ihnen erneut auf die Schliche kamen.
Während sie für ähnliche Delikte Haftstrafen verbüßten, wurde den mutmaßlichen Haupttätern nämlich ein Drogenentzug außerhalb des Gefängnisses ermöglicht. Doch stattdessen sollen sie - perfider Weise aus der Suchtklinik in Lohr (Lkr. Main-Spessart) heraus - laut Anklage dann einen professionellen Handel für andere Süchtige organisiert haben. Besonders heikel: Den Stoff sollen sie sogar zu Häftlingen in die Würzburger Justizvollzugsanstalt (JVA) geschmuggelt haben.
Staatsanwältin fordert hohe Strafen
Die Justiz würde dazu gerne Details wissen - denn JVA und das Bezirkskrankenhaus sind sensible Bereiche. Aber ob es wie vom Gericht erhofft ein kurzer Prozess wird, scheint zum Auftakt am Dienstag fraglich: Als die Staatsanwältin zu Beginn gefragt wird, welche Strafen ihr für fünf Angeklagten - die vier Männer und die Mutter des einen - vorschweben, steigt sie mit einer hohen Forderung ein. So hoch, dass die fünf Angeklagten und ihre acht Anwälte blass werden: über zehn Jahre für den mutmaßlichen Kopf der Bande, sechs bis zehn Jahre für die anderen. Selbst für die Mutter, die laut Anklage Handlangerdienste leistete, sollen es zwei bis vier Jahre hinter Gittern werden, fordert die Staatsanwältin.
Die Verteidiger sehen darin keinen Anreiz für Geständnisse, wie sie in ihren ersten Stellungnahmen sagen. Sie hatten sich "eine Perspektive für die Mandanten", also deutlich mildere Haftstrafen, erwartet. Nun soll das Gericht bis zum nächsten Verhandlungstag am 31. Januar einen Kompromissvorschlag vorlegen, der die Gesprächsbereitschaft mehr fördert.
Viele Angeklagte, viele Beteiligte: Prozess verlegt an den Wöllrieder Hof
Der Prozess hat eine große Dimension angenommen: Selbst der größte Sitzungssaal im Landgericht Würzburg ist zu klein für die gut zwei Dutzend Prozessbeteiligten und die vielen Zuschauer. Jetzt wird in der großen Festhalle am Wöllrieder Hof in Rottendorf (Lkr. Würzburg) verhandelt. Er ist einstweilen für neun Prozesstage binnen drei Monaten angemietet.
Die Bande soll ihre Waren aus der Lohrer Klinik heraus konspirativ in den Niederlanden bestellt und in der Internet-Währung Bitcoin bezahlt haben. Die Ware wurde anonym an Packstationen geschickt, wo Kuriere sie dann abholten und weiterverteilten - ohne zu ahnen, dass die Lieferungen längst observiert und die Kuriere teilweise abgefangen wurden. Die Dealer bestellten im Rhythmus weniger Wochen offenbar immer wieder aus der Klinik heraus, bis in den Kilobereich. Sie sollen so Abhängige bis in den Raum Aschaffenburg und Augsburg hinein beliefert haben.
17 einzelne Fälle sind angeklagt - und das Gericht hätte viele Fragen: Auch dazu, wer bei der konspirativen "Tätigkeit" in der Klinik und im Würzburger Gefängnis dezent wegschaute und wer die mutmaßlichen Täter womöglich gar unterstützte. Einige der Angeklagten sollen grundsätzlich bereit sein, ihr Wissen offenzulegen, wenn man ihnen bei der Strafe entgegenkommt, sagen die Verteidiger.
Drogenkonsum seit Jugendjahren - und wegen Drogenhandels in Haft
Der mutmaßliche Anführer der Bande hat offenbar seit dem 16. Lebensjahr Drogen konsumiert und "schnell Gefallen daran gefunden". Die eigene Sucht finanzierte er durch Dealen, seit 2019 sitzt er deshalb in Haft. Nun könnten noch einmal knapp ein Dutzend Haftjahre dazukommen.
Am 31. Januar geht der Prozess weiter - mit Geständnissen oder einer wochenlangen mühsamen Beweisaufnahme. Ein Urteil könnte am 18. April fallen.