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Würzburg
Grenzwerte: Folgt dem Wissen, nicht den Interessen
Im pseudowissenschaftlichen Abgas-Streit erinnern die echten Fachleute die Politik an das eigentliche Problem. Und mahnen, endlich die Hauptaufgabe anzugehen.
Stuttgart, Mitte Februar: Ein Anzeige weist in der Innenstadt auf Feinstaubalarm hin.
Foto: Marijan Murat | Stuttgart, Mitte Februar: Ein Anzeige weist in der Innenstadt auf Feinstaubalarm hin.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:35 Uhr

Was wohl jetzt mit den knapp 50 Seiten passiert? Ob sie in der Ablage bei den erledigten Dingen landen? 20 Fachleute der Nationalakademie Leopoldina haben in der Debatte um saubere Luft Klartext gesprochen und das von der Kanzlerin gewünschte Gutachten vorgelegt. Und während sonst nicht immer ganz einfach ist, die Ausführungen von Wissenschaftlern zu verstehen, weil die meisten Sachverhalte komplex sind und von verschiedensten Seiten beleuchtet werden müssen – die Aussagen der Leopoldina sind ziemlich eindeutig und gut verständlich. Und die Botschaft zwischen den Zeilen ist es unmissverständlich auch: Ohrfeige! Für die Politik der vergangenen 30 Jahre. Und für den aktuellen Verkehrsminister, der die Grenzwerte für viel zu streng hält.

Zur Erinnerung. Anfang des Jahres zweifeln ein pensionierter Lungenarzt und hundert Fachverbandskollegen unterstützt von einem ehemaligen Motorentwickler die EU-weiten Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub an. Verkehrsminister Scheuer von der CSU zweifelt gerne mit. Und über Wochen läuft eine wirr-wilde Debatte über Dieselabgase, Fahrverbote, gesundheitliche Schäden und das Zigarettenrauchen. Und die, die da hart und nicht immer fair streiten, pusten munter beliebige belegte und unbelegte Zahlen durch die Luft. Öffentliche Diskussion kennt keine Grenzwerte für Schwachsinn, keine Lügenfilter, leider. Meinungen werden als Fakten verkauft, Empfindung gilt als Expertise. Die Debatte wird von Leuten geführt, die Interessen haben. Kein Wissen.  

Jetzt liegt der tatsächliche Sachstand vor - ohne Zweifel an den Grenzwerten 

Aber gut. Die Kanzlerin wollte irgendwann den Streit fachlich geschlichtet wissen und beauftragte die Leopoldina. 20 führende Wissenschaftler prüften sämtliche Studien und Erkenntnisse, die es derzeit zu den Auswirkungen von Feinstaub und Stickstoffoxid gibt. Jetzt ist alles komprimiert – und gesagt, was zu sagen ist. Die laut der obersten deutschen Wissenschaftsakademie tatsächlichen, nicht gewünschten Fakten: Stickoxide, also Abgase aus Dieselfahrzeugen ohne funktionierende Reinigung, gefährden die Gesundheit, durchaus schon in sehr kleinen Dosen. Die Grenzwerte sind also nicht infrage zu stellen. Und Feinstaub gefährdet die Gesundheit. Nämlich noch weit, weit mehr. Die kleinen Partikel, die durch Autoabgase, vor allem aber durch Bremsen, Reifenabrieb oder Holzverbrennung in Öfen entstehen, sind so schädlich, dass die EU-weiten Grenzwerte dafür noch gesenkt werden müssen.

Dem Sachstand folgt die Ohrfeige für die Politik: Die Wissenschaftler vermissen die langfristige Strategie für saubere Luft. Bundesweit, ressortübergreifend, den Verkehr und alle anderen Feinstaubquellen berücksichtigend. Diejenigen, die das Wissen haben, nicht nur Interessen, mahnen deutlich an: In der aktuellen Grenzwert-Debatte vergisst die Regierung zu gerne das Kohlendioxid. CO2 ist ungiftig – mit Blick auf die Erwärmung des Weltklimas gefährdet es mittelbar aber eben doch unsere Gesundheit. Und mag die Luft über Deutschland insgesamt sehr viel sauberer geworden, der Schadstoffausstoß am einzelnen Fahrzeug zurückgegangen sein: Weil der Verkehr insgesamt enorm zugenommen hat und immer noch zunimmt, steigt und steigt und steigt der Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases.

Höfliche Erinnerung: nachhaltige Verkehrswende für Klimaschutz!

Die Fahrverbote für Schadstoff-Schleudern, die Gerichte irgendwann anordneten, weil die Regierungen die Stickoxid-Grenzwerte über Jahrzehnte untätig ignorierten? Unsinnig, sagen die Wissenschaftler. Der richtige Weg kann nur heißen: konsequent weg vom Auto. Vom Diesel, vom Benziner, und vom E-Auto, von dessen Reifen sich auch Partikel freireiben, auch. Dafür braucht es gescheite Mobilitätskonzepte jenseits des Individualverkehrs. Und wie war das mit der Verpflichtung, bis 2030 den CO2-Ausstoß zu verringern? Die Leopoldina schreibt es in ihrer freundlichen Erinnerung deutlich: Endlich rasch die nachhaltige Verkehrswende einleiten. Egal, was ideologisches Halbwissen und Partikularinteressen sagen.

 
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  • sauer.paul.nordheim.de@web.de
    Da hat Frau Natter in ihrem Kommentar - wie in der jüngsten Zeit schon des Öfteren - wieder einmal den Nagel voll auf dem Kopf getroffen.

    Hoffentlich verstehen unser Politiker bald den Ernst der Lage, d. h. ohne Einschränkungen der Bevölkerung wird es keine Rettung der Umwelt geben.

    Frau Natter schicken Sie bitte Ihren Kommentar als Brief an alle Politiker aus nah und fern, von denen Ihnen eine Adresse bekannt ist.

    Vielen Dank.
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  • jebusara@web.de
    Hat jemand ein anderes Ergebnis erwartet? Ich nicht! Ich vermisse allerdings die Erwähnung der Flugzeuge. Verbreiten die keinen Feinstaub? Dann lügen wohl all die Berichte über Ablagerungen im Umkreis von Flughäfen....

    Aber Flughäfen haben bekanntlich einen Sonderstatus, die dürfen alles. Auf den kleinen Mann mit seinem Dieselauto das er mühsam abbezahlt kann man locker drauf hauen - die Vorstände der Flughafenbetreiber sind da schon eine andere Liga. Die wissen sich zu wehren!
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  • TLW-tu_W
    Wann werden Sie verstehen, dass das Problem nicht der Dieselfahrer, sondern der Dieselbauer ist?

    Und wann werden Sie dann verstehen, dass die Politik den Betrügern endlich die Rechnung ausstellen muss?
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  • molnar_family@gmx.de
    Es gilt wie schon bei den Römern:
    Hetzt man den Pleps (das gemeine Volk im antiken Rom) nur geschickt gegeneinander auf, dann kann man sich entspannt zurück lehnen.
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  • TLW-tu_W
    Was zu erwarten war...

    Man hat durch Lungenärzte mit Rechenschwäche nun wieder mal die Wissenschaft angeriffen. Ist kräftig auf die Schnauze gefallen und sich die Zeit mit nichtstun vertrieben.

    Kein Applaus für sch.... ...

    Ich "freu" mich jetzt schon auf die Verschwörungstheorien der afd und ihrer Anhänger warum das doch nicht alles so schlimm ist.
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  • 50Hertz
    Im Grundseminar Statistik lernte ich vor 40 Jahren an einem einfachen Beispiel den Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation. Zwischen dem Rückgang der Zahl der Störche und der Neugeborenen besteht eine eindeutige Korrelation - denn beides läuft zeitgleich ab. Daraus zu schließen, es gäbe auch eine Kaussalität (nämlich den Beleg, daß der Storch die Kinder bringt), ist allerdings falsch. So ist es auch zwischen NO2 und gesundheitlichen Risiken. Aber Politik differenziert nicht gerne. Das sieht man schon an der Korrelation zwischen Industrialisierung und "Klimawandel". Bestünde hier eine Kausalität, hätte es im Hochmittelalter (als es in Europa wärmer war, als heute) mächtig viel Industrie geben müssen. Aber, wer sich moralisch erregen will, findet wohl immer einen Anlass.... zwinkern
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  • TLW-tu_W
    50Hertz/DRF4
    Scheinbar lernten Sie vor 40 Jahren noch nicht das man komplizierte Sachverhalte lieber von Experten (Wissenschaftlern) beurteilen lässt.
    Ein Google-Studium ist kein annerkannter Bildungsabschluss.

    Sie haben bis heute noch nicht begriffen das man Klima global sehen muss und nicht Lokal bewerten kann.
    Und genau hier liegt das Grundproblem.

    Sie wollen so gern immer gegen den Strom schwimmen, das Ihnen Fakten egal sind, hauptsache es findet sich eine Halbwahrheit mit der man seine Verschwörungstheorie begründen kann.

    https://www.scientists4future.org/

    PS: Was waren das noch mal für Hunde von denen Sie neulich sprachen? grinsen
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  • 50Hertz
    Kann es sein , dass Sie den Inhalt des vorangegangenen Posts nicht
    verstanden haben ? grinsen grinsen
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  • TLW-tu_W
    50Hertz/DRF4
    Ich habe verstanden das Sie nichts - aber auch wirklich gar nichts - verstanden haben.

    Sie haben kein Verständnis für Wissenschaftliche Ergebnisse in Sachen Feinstaub, weil "Sie haben da mal was gehört/gegoogelt dass das alles nicht so schlimm sein kann".

    Sie haben keine Grundidee was es mit dem Klimawandel auf sich hat, weil "Sie haben da mal was gehört/gegoogelt dass das alles nicht so schlimm sein kann".

    Ich bin ja wirklich gespannt wie lang es noch dauert bis Sie merken, dass Sie ständig ohne Fakten da stehen.
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  • ub-ejournals@uni-wuerzburg.de
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  • jhuller@gmx.de
    "..Ohrfeige! Für die Politik der vergangenen 30 Jahre. ..."

    Unsere Politik versteht es vortrefflich, vom eigentlichen Problem und dem eigenen Versagen ab zu lenken. Ich frage mich immer warum sich das Volk so leicht blenden läßt. Aufmerksamkeitsdefizit?

    Beispiele gefällig?
    - Problem: Klimawandel. Statt endlich über Massnahmen zu diskutieren, gibt es eine nebensächliche "Schulschwänzerdebatte". Schon geifert der Mob die Schüler an, statt die Politik. Das Kernproblem bleibt liegen.
    - Problem: Dieselskandal. Den Betrügern geschieht nichts, stattdessen hetzt man das Volk gegen die DUH Hilfe auf, die auf Einhaltung geltenden Rechts pocht. Versagt hat aber das Verkehrsministerium. Hassobjekt ist die DUH.
    - Problem Glyphosat. Statt auf den Mist endlich zu verzichten, redet man den Bauern ein der Sündenbock zu sein. Was natürlich Unsinn ist. Egal, es hilft. Bauern hetzen gegen "Städter".

    In allen Punkten gilt: Den Streß für das Politikversagen kriegen andere ab. Tarnen, täuschen und verpi*
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  • grafer.andy@t-online.de
    auf den punkt gebracht! 👍
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  • hessdoerferth
    Mutti und ihr feinstaubsüchtiges Konglomerat legt weiter die Hände in den Schoß...
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