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WÜRZBURG
"Gitterfisch" hinter schwedischen Gardinen
Die Würzburger Gefängnisküche ist beim Online-Shop der bayerischen Strafanstalten mit einem Genusspaket vertreten: Essig, Öl, Salz, mit Kräutern aus dem eigenen Garten und einer Rezeptsammlung von Gefangenen.
Foto: Fotos (2): Franz Barthel | Die Würzburger Gefängnisküche ist beim Online-Shop der bayerischen Strafanstalten mit einem Genusspaket vertreten: Essig, Öl, Salz, mit Kräutern aus dem eigenen Garten und einer Rezeptsammlung von Gefangenen.
Franz Barthel
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:17 Uhr

Auch ohne Vorstrafe kann man seit einigen Tagen ganz schnell zum Kunden bayerischer Justizstrafanstalten (JVA) werden: Per Mausklick, auf der Internetseite „www.haftsache.de“. Da werden über 70 hinter Gittern produzierte Produkte angeboten. Keine in Zellen „gebastelte“ Basar-Ware, kein Ramsch vom Fließband, sondern nur – durchaus nicht billige – Handarbeit aus JVA-Werkstätten: Zum Beispiel aus der Schlosserei in Würzburg, wo der Metallbaumeister Erich Sendner aus Volkach das Sagen und attraktive Edelstahl-Produkte im Angebot hat: Salz- und Pfefferstreuer und -mühlen zum Beispiel, Flaschenstopfen und einen auch als Teelicht zu verwendenden Eierbecher.

Wer bei „Haftsache“ kauft, so der für die Arbeitsverwaltung in der Würzburger JVA zuständige Frank Hitzler-Schmalisch, erhält Produkte aus sorgfältiger Handarbeit, hochwertigen Materialien und er leistet einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Wiedereingliederung von Strafgefangenen. Berufliche Aus- und Weiterbildung sowie geregelte Arbeit der Gefangenen während der Haft seien zentrale Bausteine für eine erfolgreiche Resozialisierung, um den Gefangenen einen Neustart in ein straffreies Leben nach der Haft zu ermöglichen.

Den Online-Shop hat der bayerische Justizminister Winfried Bausback in der vergangenen Woche freigeschaltet.

Am Anfang war der Kräutergarten

Dass die JVA Würzburg beim „Haftsache“-Angebot unter anderem mit einem Genusspaket aus der Knast-Küche vertreten ist, hat – so Küchenchef Roland Hell – eine Vorgeschichte: Da Strafgefangene in Würzburg auch immer wieder eine „draußen“ bereits begonnene Ausbildung zum Koch „drinnen“ fortsetzen oder überhaupt erst mal in den Beruf einsteigen wollen, wurde zur praxisnahen Ausbildung ein Kräutergarten auf dem JVA-Gelände angelegt. Und das Angebot an frischen Kräutern, die in keiner Küche fehlen sollten, wurde zunehmend erweitert: von Rosmarin, Thymian, Salbei, Bohnenkraut, Liebstöckel und Majoran, über Oregano, Basilikum, Melisse, Minze bis zu Lavendel.

Die positive Resonanz auf den Kräutergarten, zunächst hinter Gittern, hat Hell inspiriert, damit dann auch nach draußen zu gehen: Mit Kräutersalz hat er angefangen, dann kam Kräuteressig und Chili-Paprika-Öl dazu, für die kalte Küche, für aromatische Dressings für Salate und Gemüseplatten. Abgerundet wird das Genusspaket durch eine Rezeptsammlung von Gefangenen, illustriert von dem Würzburger Künstler Reinhold Müller, der jede Woche freiwillig in den Knast geht, zur „Malstunde“ mit Untersuchungsgefangenen.

Die Rezeptsammlung gibt einen Einblick, mit welch bescheidenen Mitteln Inhaftierte in ihrer Freizeit in der Teeküche ihrer Station ihre ganz private Esskultur „pflegen“. Da gibt es Knast-Spatzen mit Salat, Bratkartoffeln mit Espresso, Jailhouse(Gefängnis)-Chicken und einen bunten „Gitterfisch“ (Seelachsfilet) mit Paprika-Zwiebelgemüse und Basmatireis.

„Süße Versuchung hinter Gittern“ kam auch problemlos in die Sammlung, da es sich dabei „nur“ um einen Kirsch-Streuselkuchen handelt. Für solche und andere „Experimente“ dürfen Gefangene in einer Welt, in der nahezu alles geregelt ist, drei Siebtel ihres Verdienstes zum Einkauf von Nahrungs- und Genussmitteln verwenden. Die Zeiten, in denen schlechtes Essen Teil der Strafe war, sind lange vorbei, so Roland Hell, mit einer Uni-Mensa könne eine durchschnittliche JVA-Küche gut mithalten.

Die Produktideen von „Haftsache“ wurden bayernweit von kreativen Mitarbeitern und Gefangenen der Arbeitsbetriebe sowie von Studenten am Lehrstuhl für Industrial Design der Technischen Universität München entworfen. Da gibt es nach alter Tradition gefertigte Pfannen aus der Knast-Schlosserei der JVA Bernau, die angeblich „lebenslänglich“ halten. Filzschuhe aus 100 Prozent Merino-Wolle und in modischen Farben werden in der JVA Kaisheim produziert, Taschen und Etuis aus Naturfilz und Leder für Brillen, Notebook und Tablets in den Strafanstalten München und Aichach.

Neue Produkte in Planung

Ist in Würzburg nach Genuss-Pa-ket und Eierbecher in Edelstahl schon ein neues Produkt angedacht? Selbstverständlich, so Frank Hitzler-Schmalisch. Zum Beispiel ein Nistkasten nach Plänen eines Münchner Design-Studenten und als Alternative zum Feuerkorb, der viel qualmt und wenig wärmt, ein neuer Holzofen für winterliche Begegnungen im Freien.

Das Genuss-Paket war eine Idee von Roland Hell (links), Chef der Würzburger JVA-Küche. Reinhold Müller hat die Rezeptsammlung von Gefangenen illustriert.
Foto: Franz Barthel | Das Genuss-Paket war eine Idee von Roland Hell (links), Chef der Würzburger JVA-Küche. Reinhold Müller hat die Rezeptsammlung von Gefangenen illustriert.
 
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  • U. K.
    wird den der Gewinn verwendet? kann man das auch erfahren?
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  • R. B.
    Auf der einen Seite zahlen die "normalen" Gewerbetreibenden ihre Steuern ... damit finanziert Vater Staat u. a. Gefängnisse .... hier werden Waren hergestellt und vertrieben = Konkurrenz der freien Wirtschaft .... ERGO: Die freie Wirtschaft finanziert ihre eigene Konkurrenz!
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  • M. G.
    Ich habe mir die Preise angeschaut, muß aber sagen, viel zu teuer, selbst das Holz oder das Bsp. Schwedenfeuer! Wenn ich hier kaufe, werde ich zweimal bestraft, einmal durch die Steuergelder, was der Knast uns Bürger kostet, zum anderen durch die gesalzenen Preise, für die "Freizeitbeschäftigung"! Also Leute, so kann man (glaube ich), keinen Erfolg haben! Irgendwo muss man die Kirche beim Dorf lassen!
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