
Neulich in der Ottostraße. Um 8.45 Uhr hält neben mir ein schickes, neues Auto mit auswärtigem Kennzeichen. "Ist das das Gericht?", fragt die Seniorin auf dem Beifahrersitz und deutet auf den alten Justizpalast. "Das ist das Ziviljustizzentrum und der Neubau daneben ist das Strafjustizzentrum", sage ich. "Ist das nun das Gericht oder nicht?", fragt sie ungeduldig. "Es ist halt eines von mehreren Gerichten in Würzburg", antworte ich und frage, um die Sache abzukürzen, worum es denn geht. "Das geht Sie gar nichts an", sagt die Dame empört.
Böser Blick
Der mutmaßliche Gatte am Steuer wirft ihr einen bösen Blick zu, lässt ihr den Deckel des Handschuhfachs auf die Knie knallen und kramt nach einem Brief. "Da müssen wir hin", sagt er und reicht mir das Schreiben. "Zum Sozialgericht also", sage ich, nachdem ich den Zettel überflogen habe, "dann müssen Sie hier geradeaus fahren, über die erste Kreuzung, an der Residenz vorbei, an der nächsten Kreuzung rechts, durch das historische Tor…" Die Dame unterbricht mich: "Also ist das hier doch nicht das Gericht". "Doch", sage ich, "aber halt nicht das Sozialgericht. Das ist in der Ludwigstraße. Hier ist die Ottostraße".
"Das kann er nicht"
Die Dame stöhnt. Der mutmaßlich Angetraute verdreht die Augen. "Sie sollten sich vielleicht beeilen", rege ich an, "Sie sind für 9 Uhr geladen und in der Theaterstraße sind Parkplätze knapp". "Auch das noch", entrüstet sich die Dame. Dem alten Herrn treten Schweißperlen auf die Stirn. "Also muss ich jetzt hier umdrehen?", fragt er. "Nein", sage ich, "Sie fahren einfach geradeaus, über die Kreuzung, an der Residenz vorbei …" Dann sehe ich, dass das Auto über ein Navi verfügt. "Geben Sie einfach Ludwigstraße 33 ein", empfehle ich, "dann führt das Gerät sie hin". "Das kann er nicht", sagt die Dame, "er kommt mit dem teuren Ding nicht klar. Aber er musste es ja unbedingt haben."
Parkplatz reserviert
Der alte Herr tut mir leid. "Soll ich Ihnen die Adresse in das Navi schreiben?", frage ich. "Können Sie das?", fragt die Dame misstrauisch. "Steig aus und lass die Frau ins Auto", bellt der schwitzende Mann am Steuer. Missmutig folgt sie seiner Anweisung, ich rutsche auf den Beifahrersitz, bediene das Navi. "Gleich sagt Ihnen die Stimme, wie Sie fahren müssen", beruhige ich den Fahrer und räume den Platz der Dame . "Vielen Dank", sagt er. "Findet das Ding uns denn auch einen Parkplatz vor dem Gebäude?", fragt sie. Sie sei "nicht mehr gut zu Fuß". "Selbstverständlich", antworte ich und lächele freundlich, "ich habe alles einprogrammiert".
Man muss nicht immerzu ein guter Mensch sein.