Zeitungsleser lernen immer neue Menschen kennen. Und da spreche ich jetzt nicht von Abgeordneten, die sich im Altenheim angesichts von Presse-Kameras zwischen überrumpelte Senioren drängeln, die viel lieber in Ruhe Kuchen essen würden, als sich erklären zu lassen, wo sie am Sonntag ihr Kreuzchen machen sollen. Ich meine ganz normale Menschen.
Haare im Gesicht
Solche wie Siegfried B., der sich mir kürzlich in dieser unserer schönen Zeitung vorgestellt hat: 71 Jahre ist er alt, hat mehr Haare im Gesicht als auf dem Kopf, ein rotes Polohemd - und Erektionsstörungen.
Trotzdem hat Siegfried B. gut lachen.
"Seitdem ich dieses Arzneimittel nehme, ist mein Liebesleben wie ausgewechselt", teilt er dem Zeitungsleser auf einer halbseitigen Anzeige des Herstellers der homöopathischen Pillen mit. Und gibt mit spürbarer Erleichterung bekannt, dass er nun wieder "aus der Leidenschaft des Moments" agieren könne und nur noch "absolute Volltreffer" erziele. Da ist man als empathischer Mitmensch doch geneigt, sich für Siegfried B. zu freuen.
Alles "nachempfunden"
Dann entdeckt man neben dem zehn mal 16 Zentimeter großen Foto des Mannes, den man bislang für Siegfried B. gehalten hat, ein paar winzig kleine Lettern: "Erfahrungberichte nachempfunden", "Abbildung Betroffenen nachempfunden, persönliche Daten geändert". Und es fällt einem wie Schuppen von den Augen: Der Kerl in der Anzeige ist gar nicht Siegfried B.. Er hatte nie Erektionsstörungen. Er landet auch keine Volltreffer. Und wahrscheinlich ist das Polohemd in Wahrheit blau.
Da lob ich mir doch unsere Politiker. Auch wenn sie alte Leute beim Kaffeekränzchen stören, sind sie wenigstens echt. Oder glaubt jemand ernsthaft, die Damen und Herren Volksvertreter seien "Betroffenen nachempfunden"?