Was für ein Sammeleifer! Und was für ein hohes gärtnerisches Können. Genau 9448 „Arten und Abarten“ trugen Vater und Sohn Wolff zusammen. In einem zweibändigen Verzeichnis aus den Jahren 1827 bis 1832 sind sie aufgelistet – feinsäuberlich, handschriftlich. Andreas Roman Wolff und sein Sohn Andreas, nacheinander botanische Gärtner der Universität und des Juliusspitals, belegten damit, was in Würzburg wuchs.
„Was die damals schon kultiviert haben!“ Dr. Gerd Vogg, der Wissenschaftliche Kustos des Botanischen Gartens knapp 200 Jahre später, ist begeistert über die Belege der Wolffs. „Da wird ersichtlich, welch hohe Gartenkunst man in dieser Zeit bereits pflegte.“
Doch es sind nicht nur die Tausenden getrockneten, gepressten und konservierten Pflanzen aus dem damaligen Würzburger Botanischen Garten, die Vogg heute noch staunen lassen. Auch dass Vater und Sohn Wolff – ihre Amtszeiten reichen von 1798 bis 1854 – Proben aus anderen Botanischen Gärten Europas und von bedeutenden Forschungsreisenden aus aller Welt aufnahmen, begeistert Vogg. Vor allem aber: Dass die Wolffs Pflanzen aus Würzburg und der näheren Umgebung erfassten. Denn einige Arten, sagt Vogg, gibt es in Unterfranken nicht mehr. Die Fundorte sind „längst erloschen“.
Im Herbarium Wolff aber liegen sie noch immer. Es sind die ältesten Belege der Pflanzen-Sammlung der Würzburger Universität. Am 2. April anno 1791 hatte der Würzburger Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal mit seiner Unterschrift unter eine Resolution den Grundstein gelegt für ein „Herbarii vivi“, eine wissenschaftliche Sammlung von Pflanzenarten. Einem Verzeichnis nach waren für die Erstellung 350 Gulden veranschlagt worden, etwa für Papier und Band und geeignete Schatullen. 50 Gulden wurden dafür eingesetzt „den dermaligen Vorrath der Pflanzen aufzutrocknen, die Tabellen und Nummern zu schreiben, und diese anzukleben“ – also für Personalkosten.
Zeitgleich zur Gärtnerfamilie Wolff war ein anderer Würzburger sammelnd unterwegs: Franz Xaver Heller. Sein Vater Ignaz war im 18. Jahrhundert Gärtner am Juliusspital gewesen – und hatte in seinem Sohn auf vielen gemeinsamen Wanderungen den Sinn für Schönheit und Reichtum der heimischen Pflanzenwelt geweckt. Heller studierte Medizin und wurde Chirurg – doch schrieb er seine Dissertation über die Fortpflanzungsorgane der Pflanzen.
Als 1803 die Universität neu organisiert wurde, erhielt der kaum 30 Jahre alte Heller eine ordentliche Professur für Botanik. Der rasche Aufstieg und die Anerkennung seiner botanischen Studien müssen ihn angespornt haben: 1810 und 1811 veröffentlichte Franz Xaver Heller die „Flora Wirceburgensis“, ergänzt durch ein Supplementum aus dem Jahr 1815.
Vom Titel des Werks, sagt Vogg, dürfe man sich nicht irritieren lassen. Das Gebiet, das Hellers Flora umfasst, wird begrenzt von den Landesgrenzen des von 1805 bis 1814 bestehenden Großherzogtums Würzburg. Es umfasst die ganze „Lange oder Hohe Rhön“ mit den Ämtern Hilders und Fladungen, reicht vom Mainviereck bis zum Westrand des Steigerwalds, im Südwesten erstreckte es sich ein Stück ins heutige badische Taubergebiet hinein. Alle Pflanzen, die die „Flora Wirceburgensis“ aufführt, sind als Belege im Herbarium Heller enthalten.
Und heute, 200 Jahre später, liegen sie – unversehrt und gut erhalten – auf ihren original Papierbögen in den Holzschränken im Würzburger Botanischen Garten. Etwa 100 000 Belege insgesamt umfasst das Herbarium der Universität Würzburg. „Im internationalen Vergleich eine kleine wissenschaftliche Sammlung“, sagt Betreuer und Kustos Gerd Vogg. In den weltweit größten Herbarien liegen Millionen und Abermillionen von Pflanzendokumenten: acht Millionen Belege hat das Muséum National D'Historie Naturelle in Paris, 7,8 Millionen der New York Botanical Garden. Und die berühmten Kew Gardens in London bewahren sieben Millionen Belege.
Was alle eint: eine möglichst ordentliche und vollständige Beschriftung. Wissenschaftlicher Name der Pflanze, Fundort, Funddatum, Sammler. Und ideal ist, wenn der Sammler dazu in einer Notiz vermerkt hat, wie häufig die Pflanze am Fundort vorkam und welche Begleitpflanzen drum herum wuchsen. Durch ein Herbarium sollen Botaniker das Vorkommen und die Verteilung von Pflanzenarten erfassen und vergleichende Studien machen können.
„Die auf einen Beleg gepresste Pflanze muss vollständig und von guter Qualität sein“, sagt Gerd Vogg. Alle relevanten Pflanzenteile sollten, so weit wie möglich, auf dem Belegbogen vorhanden sein: Blüte, Blatt, Spross, Wurzel, Früchte. In Deutschland beherbergt der Botanische Garten Berlin mit 3,8 Millionen Belegen das größte Herbar. Die Botanische Staatssammlung München hat immerhin noch 3,2 Millionen.
Dass das Herbarium der Universität Würzburg vor ein paar Jahren nicht auch nach München kam – es hängt mit der Einzigartigkeit, mit seiner regionalen Besonderheit zusammen. Die 100 000 getrockneten Pflanzen stammen hauptsächlich aus dem nordbayerischen Raum. „Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für floristische Untersuchungen in unserer Region“, sagt Vogg. Denn das Herbar umfasst Vertreter aller Pflanzengruppen: neben Samenpflanzen auch Algen, Pilze, Flechten, Moose und Farne. Ein einmaliger Schatz: „Etliche der enthaltenen Sippen sind inzwischen verschollen oder ausgestorben, vom Aussterben bedroht oder zumindest stark gefährdet“, sagt Vogg.
Sachgemäß gelagert – trocken und staubfrei und regelmäßig einer Frostbehandlung gegen Schädlinge ausgesetzt – sind Herbarbelege praktisch unbegrenzt haltbar. So können Forscher noch heute untersuchen, was die Gärtner wie die Wolffs oder Ignaz Heller einst am Juliusspital kultivierten. Selbst die genetische Information, in der DNA des Zellkerns gespeichert, ist bei dem getrockneten Material heute analysierbar. „Herzstück“ der Würzburger „Trockensammlung“ ist das „Herbarium Franconicum.
Ende des 19. Jahrhunderts, als sich am Botanischen Institut Julius von Sachs verstärkt physiologischen und ökologischen Fragen zuwandte, fanden sich immer mehr „Liebhaberbotaniker“ zusammen, die die Botanik der Heimat erforschen wollten. Der Sonneberger Apotheker Otto Appel gründete 1896 die Botanische Vereinigung Würzburg: Die Floristen gingen im Sommer auf Wanderungen, im Winter besprachen sie das gesammelte Material.
Als Otto Appel 1898 Würzburg verließ, wurde ein „Herbarium Franconiae“ quasi als „Abschiedsgeschenk“ als Ziel ausgegeben. Insgesamt 9700 Proben, meist aus der Zeit bis 1915, umfasst die Sammlung heute. Wenn man auch das Herbar von Franz Xaver Heller mit einbeziehe, könne man – „mit aller Vorsicht“ – Aussagen zum Wandel der mainfränkischen Flora für einen Zeitraum von nahezu 200 Jahren machen, sagt Gerd Vogg.
Botanikprofessor Heller hatte sich Anfang des 19. Jahrhunderts in Würzburgs Gesellschaft übrigens nicht nur Freunde gemacht. Im Vorwort zum ersten Band seiner Flora wandte er sich mit kräftigen Ausdrücken und ehrlicher Entrüstung gegen die Liebhaber exotischer Pflanzen: Es sei eine Schande, wenn jemand in Gewächshäusern vor fremdländischen Pflanzen vor Bewunderung mit aufgesperrtem Munde dastehe, von den gewöhnlichsten einheimischen Pflanzen aber nicht das Geringste wisse.
Ausstellung: Bis zum 3. Mai gibt der Botanische Garten der Uni Würzburg Einblicke in sein Herbarium: „Mehr als nur gepresste Pflanzen“. Die neue Ausstellung stellt die verschiedenen Teilsammlungen, die Sammler und ihre Intentionen vor.
Geöffnet hat der Botanische Garten am Dallenberg, Julius-von-Sachs-Platz 4, jeden Tag! Bis Ende März von 8 bis 16 Uhr, ab April bis 18 Uhr. Eintritt frei.
Viele Informationen zum Herbarium: https://go.uniwue.de/herbarium