Würzburg Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettelmann. Zitronen sind Vitamin-C-Bomben, ein Schnaps hilft bei der Verdauung und Kaffee entwässert. Wer scharf isst, lebt länger. Und nach 18 Uhr bitte keine Kohlenhydrate mehr. Denn wer abends isst, wird dick! Was kursieren nicht alles für Halbwahrheiten, Märchen und Mythen um unsere Ernährung. Was aber ist vernünftig und gesund? Internist Dr. Walter Burghardt, Arzt und Ernährungsbeauftragter am Universitätsklinikum Würzburg, sieht es entspannt – und räumt mit manchem Gerücht auf.
Herr Dr. Burghardt, der neueste Ernährungstrend: Superfood! Was ist für Sie denn Superfood – oder ein super Lebensmittel?
Dr. Walter Burghardt: Superfoods sollen eine nährstoffreiche, gesundheitlich überlegene Ernährung ermöglichen. Nach meinem Eindruck würden viele Superfood-Verfechter anstatt normaler Lebensmittel ja gerne ein Fertigprodukt haben, so dass sie gar kein normales Essen mehr brauchen. Es müsste doch, so der Gedanke, möglich sein, alle Erkenntnisse aus Laboruntersuchungen in die Produktion von Superfoods einfließen zu lassen. Doch die Umsetzung solcher Labordaten in den Alltag ist schwierig und im Effekt fraglich.
Es gibt dazu bislang keine verlässlichen Resultate. Und: Wissen wir denn tatsächlich so ganz genau, was wir brauchen? So weit ist die Medizin noch nicht.
Gut, gehen wir mal vom Durchschnittsmenschen aus. Einigermaßen gesund, nicht zu dick – was ist für den eine gesunde gute Ernährung?
Burghardt: Da muss man nur auf den Ernährungskreis der Deutschen Gesellschaft für Ernährung schauen: Man soll viele Getreideprodukte und Kartoffeln essen, dann viel mehr Gemüse und auch Obst. Besser mehr Gemüse als mehr Obst, wegen der Ballaststoffe und Zucker. Man soll ordentlich trinken, ungefähr 1,5 Liter am Tag, das reicht völlig. Und dann soll man viel Milchprodukte zu sich nehmen, auch wegen des Calciums. Fleisch, Wurst, Eier dann nur spärlich. Und Fisch gilt als sehr gut: gerne ein bis zwei Mahlzeiten pro Woche. Das Problem ist: Welchen Fisch essen wir, wenn die Meere weitgehen leer sind?
Mit unseren Meefischli kommt man da aber auch nicht weit.
Burghardt: Kaltwasserfische wären gut, weil sie viel Omega-3-Fettsäuren haben. Aber wo haben Fische die Bestandteile her für die Fischöle? Mehrheitlich aus Algen oder Aus den kleinen Krills, die sich ihrerseits von Algen ernähren.
Dann könnten wir also gleich die Algen essen?
Burghardt: Ja, es müssen die richtigen sein. Aber da werden wir hinkommen.
Hmm. Gewöhnungsbedürftig.
Burghardt: Was auch ganz wichtig ist bei den Empfehlungen für eine gesunde Ernährung: Vielfalt genießen! Für eine erfolgreiche Beratung der Konsumenten muss der Begriff Genießen vorkommen.
Das beruhigt ja. Wenn man die Low-Carb-Vertreter hört: Möglichst keine Kohlehydrate! Dann die Milch-Hasser: Bitte keine Laktose! Dann die Veganer, die nicht nur den Fisch, sondern auch das Ei ablehnen – da bleibt vom Ernährungskreis nicht mehr viel übrig. Was ist denn eine vernünftige Ernährung?
Burghardt: Eine bezüglich sogenannter Makro- und Mikro-Nährstoffe – also Kohlehydrate, Fett, Eiweiß, Mineralien, Vitamine, Spurenelemente - ausgeglichene und kalorisch nicht übermäßige Ernährung. Man geht von einem Grundumsatz von 24 Kilokalorien pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag aus. Ja nach Aktivität – Sport, Schwerarbeit – dann eben entsprechend mehr. Ich käme so auf 2200 Kilokalorien pro Tag. Man muss aber nicht jeden Tag Kalorien zählen und darf auch mal ein Hörnchen essen oder ein 300-Gramm-Steak. Wichtig ist, dass mittelfristig, das heißt über etwa zwei Wochen ein ausgeglichenes Profil erreicht wird ist. Die Gesamtbilanz muss stimmen.
Das heißt, gegen Low Carb und viel Protein haben Sie nichts?
Burghardt: Auf Kohlehydrate zu verzichten bedeutet einen höheren Fettverzehr. und Im Übermaß Eiweiß zu essen zum Energiegewinn – das ist nicht sehr sinnvoll. Kohlehydraten und Fette kann ich abbauen bis zu Wasser und Kohlendioxid. Bei Eiweiß ist auf der Ebene von Harnstoff Schluss. Zu viel Eiweiß belastet die Nieren. Eiweiß ja, um die Aminosäuren gleich weiterzuverwenden und daraus Muskulatur, Enzyme und Zellstrukturen herzustellen. Was die Kohlehydrate angeht – die Mediziner streiten sich über die kohlehydratarme Ernährung hartnäckig und heftig.
Momentan ist der Stand: unentschieden. Wenn man abnehmen will, geht das mit wenig Kohlehydraten und mehr Eiweiß und viel Fett schneller. Die Frage ist nur: Was ist nach zwei oder drei Jahren? Möglicherweise habe ich dann vielleicht eher eine Fettstoffwechselstörung bekommen.
Ein Hoch auf die dicke Scheibe Butterbrot! Was sagen Sie dem Vegetarier?
Burghardt: Gegen vegetarische Ernährung haben wir Mediziner nichts einzuwenden, wenn es ovo–lakto ist. Wenn Sie Eier und Milchprodukte essen, haben Sie überhaupt kein Problem. Es kursieren ja so merkwürdige Vorstellungen, wie viele Leute Vegetarier sind. Manchmal liest man, 20 Prozent der Deutschen ernährten sich dauerhaft vegetarisch. Die letzte Studie der Unis Göttingen und Hohenheim 2013 hat ergeben: 3,7 Prozent. Es sind also eher ganz wenige, vorwiegend Frauen, aber die leben gesund. Da gibt es keine Vorurteile. Aus rein gesundheitlicher Sicht gilt: Wer normal isst - also normale vollwertige Mischkost mit wenig Fleisch und wenig Wurst - , isst genauso gesund wie ein Ovolakto-Vegetarier.
Und sich ernähren ohne Ei und Milch, also vegan?
Burghardt: 80 Prozent der Vegetarier sagen ja, sie essen vegetarisch aus ethischen Gründen. Wer als Veganer gar keine tierischen Produkte isst, keine Lederschuhe, keinen Ledergürtel, keinen Seidenschal trägt lebt konsequent. Der mag auf manche seltsam wirken – aber es ist okay. Wann man sich allerdings nicht vegan ernähren sollte: Wenn ich schwanger werden will, schwanger bin oder stille. Kleinkinder sollte man nicht vegan ernähren und ganz alte Menschen sollten nicht vegan leben. Bei diesen Personengruppen geht man von einem erhöhten Risiko für Ernährungsdefizite aus. Die anderen können vegan leben. Aber: Sie müssen sich mächtig schlau machen bzw. professionelle Beratung in Anspruch nehmen. Einfach mal so beginnen, das geht leicht schief.
Wieso?
Burghardt: Zum Beispiel Vitamin B12. Das muss jeder vegan lebende Mensch ersetzen. Was in Nüssen oder Algen drin ist, reicht nicht. Das muss man als Präparat zu sich nehmen. Und andere kritische Stoffe wie Eisen, Zink, Jod, Calcium, Selen – die kann man durch geschickte Auswahl von Nahrungsmitteln ausreichend aufnehmen.
Um mal ein paar gängige Vorurteile und Einbildungen abzuklopfen: Spätes Abendessen – okay oder schlecht?
Burghardt: Wo werden die Menschen in Europa am ältesten? In Griechenland, in Italien, in Spanien. Wann speist man da? Durchaus am Abend um 22 Uhr und trinkt vielleicht auch noch Alkohol dazu. Offenbar machen die Südländer etwas richtig. Aber um es genau zu sagen: Es ist egal. Die Bilanz über den ganzen Tag zählt. Es kommt nicht auf das Wann, sondern auf das Wieviel an.
Kein Kaiser sein und nichts frühstücken – also auch nicht schlimm?
Burghardt: Überhaupt nicht. Die Behauptung, dass die Leute dann am späten Nachmittag umso mehr Heißhunger bekommen und immer dicker werden – da ist wissenschaftlich nichts dran.
Fünf kleine Mahlzeiten am Tag? Oder lieber fünf Stunden lang zwischen den Mahlzeiten nichts essen?
Burghardt: Große Abstände zwischen den Mahlzeiten sollen den Insulinspiegel absinken lassen und die Energiespeicherung in Grenzen halten. Aber wie gesagt, es gilt nur: Es kommt auf die Gesamtbilanz an. In wie viele Mahlzeiten man seine Tagesmenge aufteilt, kann jeder selbst entscheiden. Gesundheitlich macht das keinen Unterschied.
Trennkost?
Burghardt: Dass Kohlenhydrate und Proteine nicht zusammen gegessen werden sollen, weil sie der Körper nicht zeitgleich verdauen kann – diese Meinung ist nicht haltbar. Wissenschaftlich betrachtet ist das Konzept unsinnig. Wenn Trennung sinnvoll wäre, müsste nach langer Evolution wohl die eine Mutterbrust Proteine, die andere Kohlenhydrate geben. Aber das ist bekanntermaßen nicht der Fall. Gleichwohl kann Trennkost von der Zusammensetzung her Aber ist es eine gesunde Kost sein, es ist eben nur eine merkwürdige Verzehrsweise. Wer das unbedingt machen will – bitte sehr.
Scharfes Chili, Leberkässemmel oder Schokoladenkuchen – wieso unterscheiden wir uns Menschen eigentlich so sehr in dem, was wir am liebsten mögen?
Burghardt: Viele Vorlieben sind ja schon ähnlich. Süß mögen alle, sauer mögen wenige. Das hat sich durch die Evolution und die Natur ergeben. Fast alles Süße ist nicht giftig.
Keine Gluten, keine Laktose, am besten auch noch keine Fruktose und bloß nichts mit Nuss – haben Nahrungsmittelunverträglichkeiten zugenommen?
Burghardt: Natürlich gibt es echte Nahrungsmittelunverträglichkeiten, von Betroffenen meist als Allergien wahrgenommen, aber davon sind nicht viele Leute betroffen. Sie spielen auf die Modenahrungsmittelunverträglichkeiten an. Milchzuckerunverträglichkeit ist „in“: Leute kaufen L-Minus-Gouda, der das Dreifache kostet und sonst dem normalen Produkt fast gleich ist. Auch Butter enthält übrigens wie Käse nahezu kein Milchzucker. 80 Prozent der laktosefreien Produkte werden von Leuten gekauft, die es nicht bräuchten.
Der größte Ernährungsirrtum?
Burghardt: Dass Light-Produkte besser sind. Viele Verbraucher versprechen sich davon ja einen gesundheitlichen Nutzen. Allein, was heißt schon „light“, der Begriff ist nicht geregelt. Auf was bezieht sich das – Zucker, Kalorien, Fett? Nein, „light“ bedeutet nicht automatisch besser.
Was empfehlen Sie einem Büroarbeiter wie mir fürs Abendessen?
Burghardt: Was immer Sie wollen, was immer Sie mögen, Sie dürfen auch einen Schluck Alkohol trinken. Ich würde Ihnen nur erst noch empfehlen, nach Hause zu laufen, wenn Sie nicht zu weit weg wohnen.
Und was gibt?s bei Ihnen?
Burghardt: Für mich ist die Hauptmahlzeit das Mittagessen. Heute Abend werde mir einen kleinen Salat machen, ein paar Pflaumen essen, einen Apfel und vielleicht ein Käsebrot. Und auf dem Couchtisch stehen, das gebe ich zu, auch mal ein paar Gummibärchen.
Zur Person
Dr. Walter Burghardt ist Gastroenterologe und Diabetologe und hat an der Würzburger Uniklinik früh ein klinisches Ernährungsteam aufgebaut. Seit 1987 leitete er die Berufsfachschule für Diätassistenten am Uniklinikum. Er ist Vorstand im Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner und in der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (Freiburg) und auch nach der Pensionierung im vergangenen Jahr noch Ernährungsbeauftragter Arzt am Universitätsklinikum Würzburg.
Gut essen? Zehn Regeln!
Brot, Getreideflocken, Nudeln, Reis (am besten aus Vollkorn) sowie Kartoffeln enthalten reichlich Vitamine, Mineralstoffe sowie Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Also diese Lebensmittel essen – mit möglichst fettarmen Zutaten. Mindestens 30 Gramm Ballaststoffe, vor allem aus Vollkornprodukten, sollten es laut DEG täglich sein.
3. Viel Gemüse und Obst – Nimm 5 am Tag!
Fünf Portionen Gemüse und Obst am Tag, möglichst frisch, nur kurz gegart oder gelegentlich auch als Saft oder Smoothie – zu jeder Hauptmahlzeit und als Zwischenmahlzeit: Damit werden Sie reichlich mit Vitaminen, Mineralstoffen sowie Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen versorgt und verringern das Risiko für ernährungsmitbedingte Krankheiten. Immer gilt: saisonale Produkte bevorzugen.
4. Milch und Milchprodukte täglich, Fisch ein- bis zweimal in der Woche, Fleisch, Wurst und Eier in Maßen
Diese Lebensmittel enthalten wertvolle Nährstoffe, wie Calcium in Milch, Jod, Selen und Omega-3 Fettsäuren in Seefisch. Entscheiden Sie sich bei Fisch für Produkte mit anerkannt nachhaltiger Herkunft. Nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche essen wäre gut. Weißes Fleisch (Geflügel) ist unter gesundheitlichen Gesichtspunkten günstiger zu bewerten als rotes Fleisch (Rind, Schwein).
5. Wenig Fett
Fett liefert lebensnotwendige Fettsäuren, fetthaltige Lebensmittel enthalten auch fettlösliche Vitamine. Da es besonders energiereich ist, kann die gesteigerte Zufuhr von Nahrungsfett aber Übergewicht fördern. Zu viele gesättigte Fettsäuren erhöhen das Risiko für Fettstoffwechselstörungen, mit der möglichen Folge von Herz-Kreislauf-Krankheiten. Also lieber pflanzliche Öle und Fette nehmen, z. B. Raps- und Sojaöl. Achten Sie auf unsichtbares Fett, das in Fleischerzeugnissen, Milchprodukten, Gebäck und Süßwaren sowie in Fast-Food und Fertigprodukten meist enthalten ist. Insgesamt 60 bis 80 Gramm Fett pro Tag reichen laut DGE aus.
6. Zucker und Salz in Maßen
Zucker und Lebensmittel bzw. Getränke, die mit verschiedenen Zuckerarten (z. B. Glucosesirup) hergestellt wurden, sollte man nur gelegentlich zu sich nehmen. Würzen Sie kreativ mit Kräutern und Gewürzen und wenig Salz. Wenn Sie Salz verwenden, dann angereichert mit Jod und Fluorid.
7. Reichlich Flüssigkeit
Wasser ist lebensnotwendig. Trinken Sie rund 1,5 Liter Flüssigkeit jeden Tag. Bevorzugen Sie Wasser – ohne oder mit Kohlensäure – und energiearme Getränke. Trinken Sie zuckergesüßte Getränke nur selten. Diese sind energiereich und können bei gesteigerter Zufuhr die Entstehung von Übergewicht fördern. Alkoholische Getränke sollten wegen der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken nur ab und an und wenig konsumiert werden.
8. Schonend zubereiten
Garen Sie die Lebensmittel bei möglichst niedrigen Temperaturen, soweit es geht kurz, mit wenig Wasser und wenig Fett – das erhält den natürlichen Geschmack, schont die Nährstoffe und verhindert die Bildung schädlicher Verbindungen. Verwenden Sie möglichst frische Zutaten. So reduzieren Sie überflüssige Verpackungsabfälle.
9. Sich Zeit nehmen und genießen
Genuss ist erlaubt! Gönnen Sie sich eine Pause für Ihre Mahlzeiten und essen Sie nicht nebenbei. Lassen Sie sich Zeit, das fördert Ihr Sättigungsempfinden.
10. In Bewegung bleiben
Vollwertige Ernährung, viel körperliche Bewegung und Sport (30 – 60 Minuten pro Tag) gehören zusammen und helfen Ihnen dabei, Ihr Gewicht zu regulieren. Gehen Sie zum Beispiel öfter einmal zu Fuß oder fahren Sie mit dem Fahrrad. Das schont auch die Umwelt und fördert Ihre Gesundheit.
Laktosefreie Milch ist immer besser, denn Laktose entsteht nur, wenn Kühen Kraftfutter zugeführt wird. Würden sie auf der Weide Gras fressen, wäre die Milch laktosefrei.