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WÜRZBURG/EISINGEN
Gespräche mit dem Tod
Gespräche mit dem Tod       -  Raimund, 61 Jahre. 1987 infizierte sich der Gärtner beim Drogenkonsum mit HIV.  Damals hätte wohl niemand erwartet, dass Raimund inzwischen beinahe 30 Jahre mit dem Virus in seinem Körper leben würde.
Foto: Christoph Weiß | Raimund, 61 Jahre. 1987 infizierte sich der Gärtner beim Drogenkonsum mit HIV. Damals hätte wohl niemand erwartet, dass Raimund inzwischen beinahe 30 Jahre mit dem Virus in seinem Körper leben würde.
Sarah-Sophie Schmitt
Sara Sophie Fessner
 |  aktualisiert: 15.01.2016 03:40 Uhr

Protokolle: Sie kennen sich nicht, haben sich im Alltag nie getroffen und doch haben sie eines gemeinsam: Sie alle sind dem Tod begegnet. Von ihren Ängsten, von ihren Hoffnungen und von ihren Gesprächen mit dem Sensenmann erzählen sie – in Worten und Bildern. Der Würzburger Fotograf Christoph Weiß hat sie für den Verein „ Hilfe im Kampf gegen den Krebs“ fotografiert. Seine und auch die Bilder seines Kollegen Norbert Schmelz sind derzeit in einer Ausstellung der Würzburger Uniklinik zu sehen.

Raimund Link aus Würzburg , seit 27 Jahren HIV-positiv:

""Herr Link, Sie wissen ja", so hörte es sich an, mein Todesurteil. Diese Worte ziehen sich durch mein Leben wie ein roter Faden. Ich kann sie nicht abschütteln. Ich erinnere mich noch genau an damals. Ich saß auf dem Bett meiner Zelle im Gefängnis. Ich war wegen Drogenhandels eingesperrt. Die Tür ging nur wenige Sekunden auf und sofort wieder zu. Der Polizist sagt nur diesen kurzen Satz und ich wusste Bescheid. Mir war sofort klar, was er meinte. Ich habe HIV. Das war’s, war mein erster Gedanke. 1988 war das. Ich habe damals Drogen genommen. Schon als Jugendlicher in der achten Klasse habe ich mit Haschisch angefangen.

Später kamen andere Sachen dazu, auch Heroin. Bei mir drehte sich alles um den nächsten Schuss. Anfang dreißig war ich damals. Ob die Spritze sauber war oder nicht, war mir aber egal. Ich brauchte meinen Stoff. Ich wusste, dass das gefährlich war, dass ich mich so infizieren konnte. Aber die Sucht war größer als die Angst. Das Rumgifteln ist ja eh irgendwie ein Spiel mit dem Tod. Ich habe wohl eine schmutzige Spritze erwischt. Wann und wo genau, ich weiß es nicht, aber mir fallen etliche Situationen ein. Vielleicht in Frankfurt, vielleicht in Amsterdam. Ich war viel unterwegs, hatte einen großen Freiheitsdrang. Oft war mir einfach alles zu eng.

Da saß ich nun also auf meinem Bett in der Zelle. Die Tür war zu, die Fenster vergittert. Was sollte ich machen?! Zwei Stunden saß ich da und habe nachgedacht, wie mein Leben nun laufen könnte. Zwei Jahre habe ich mir noch gegeben. Ich wurde nicht wütend, hatte keine Angst. Ich wusste: Jetzt musst du es so nehmen, wie es ist. 27 Jahre ist das nun her. Ich bin seit vielen Jahren clean. Wie lange genau weiß ich nicht. Zeit ist mir nicht wichtig. Was war, das war, und was kommt, das kommt. Heute sitze ich immer noch hier und mache mir meine Gedanken. Angst vor dem Tod habe ich nicht, hatte ich nie. Er gehört für mich dazu. Viele meiner Freunde sind an Aids gestorben.


Manchmal wundere ich mich selbst, weshalb ich noch da bin. So viele Jahre wollte der Sensenmann mich nicht mitnehmen, trotzdem war er mein ständiger Begleiter. Immer wieder habe ich gedacht, dass es jetzt vorbei ist. Ich habe ihn sogar gesehen. Ich erinnere mich, dass ich einmal zugedröhnt meine Kleider in einer kleinen Gartenlaube verbrannt habe. In den Kleidungsstücken habe ich den Tod gesehen. Wart’ noch ein bissle, ich bin noch nicht so weit, habe ich damals zu ihm gesagt. Ich bin selbst schuld an meinem Schicksal, das weiß ich.

Vieles habe ich falsch gemacht. Wenn ich zurückblicke, hätte ich gerne ein normales Leben gehabt, eine Familie, zwei oder drei Kinder vielleicht. Aber es ist, wie es ist. Und trotz allem habe ich Freude am Leben – immer gehabt. Klar, durch die Drogen habe ich den Tod in Kauf genommen, aber ich habe nie drüber nachgedacht, mich umzubringen. Auch nach der Diagnose nicht. Warum auch. Wenn ich jetzt an den Tod denke, habe ich nur eine Bitte: Lass mich noch ein bisschen hier.“

Frederic Hümmer aus Würzburg, mit 17 Jahren an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Derzeit ohne Befund:

"Lass mich in Ruhe. Das kannste knicken. Ich bin noch zu jung. Viele Gedanken sind mir nach meiner Diagnose durch den Kopf geschossen. Angst war keiner davon. Ich habe dem Tod den Kampf angesagt. Wie ein trotziger Teenager, ich ließ mich nicht einschüchtern. Kein Wunder, ich war doch erst 17. Ich hatte Pläne, wollte in den Ferien mit Freunden wegfahren. Und dann diese Diagnose. Eigentlich hatte mich meine Mutter nur wegen meinem Reizhusten zum Arzt schicken wollen. Aber als er sich meine Röntgenbilder angeschaut hat, ist ihm die Kinnlade runtergefallen.

Gesprache mit dem Tod       -  Mit 17 Jahren erkrankte Frederic an Lymphdrüsenkrebs.  Nach vier Chemotherapien und 2 Bestrahlungsblöcken gilt er heute als geheilt.
Foto: Christoph Weiß | Mit 17 Jahren erkrankte Frederic an Lymphdrüsenkrebs. Nach vier Chemotherapien und 2 Bestrahlungsblöcken gilt er heute als geheilt.

Er hat mich gleich zum nächsten Arzt geschickt, von da aus ging es in die Würzburger Uniklinik. Das war am 31. Mai 2013, ein Freitag. An das Datum erinnere ich mich noch genau. Ich wollte mit Freunden über das Wochenende wegfahren. Jetzt durfte ich nicht mehr. Eine Woche dauerte es, bis das Ergebnis der Untersuchung feststand: Morbus Hodgkin, Stufe zwei, bösartig. Lymphdrü- senkrebs. In meiner Brust war ein riesiger Tumor. Ein Liter Tumor breitete sich von meiner Schulter bis zum Solarplexus aus. Er hatte sich um die Atemwege, die Lunge, die Hauptschlagader, die Venen und all das gelegt. Wenn ich zwei Wochen später gekommen wäre, hätte ich wohl einen Schlaganfall erlitten, meinten die Ärzte.

Krebs, das bekommen doch nur alte Menschen, schoss es mir durch den Kopf. Auch der Gedanke an den Tod kam manchmal. Aber ich habe ihn verdrängt. Ich schaffe das, das habe ich mir immer wieder gesagt. Ich wollte weiterleben. Ich wusste, dass ich an der Situation nichts ändern kann. Ich kann nur versuchen, das Beste aus der Zeit zu machen. Wenn ich immer an den Tod denke, verdirbt es mir die Zeit, die ich noch habe. Es war gut, dass ich mit einer gewissen körperlichen Fitness den Kampf angetreten habe. Aber auch meine „Du-schaffst-das“-Überzeugung hat mir geholfen. Die Chemo lief quasi Tag und Nacht. Insgesamt vier Blöcke bekam ich, den ersten komplett in der Klinik. Die Nebenwirkungen waren teils echt heftig.

Von einem Medikament habe ich Herzrhythmusstörungen bekommen. Ein anderes Mal hatte ich so starke Schmerzen, dass ich ohnmächtig wurde. Es hat sich angefühlt, als ob jemand glühende Zimmermannsnägel in meinen Oberschenkel geschossen hätte. Ich habe viel verdrängt. Von vielen Tagen weiß ich gar nicht, was passiert ist. Ich habe keine Angst vorm Tod, auch heute nicht. Ich kann jederzeit sterben.

Ein Verrückter kann mich mit dem Auto überfahren. Da ist es egal, wie alt ich bin. Aber man lernt das Leben ganz anders schätzen. Ich habe mich über Kleinigkeiten viel mehr gefreut als vorher, vor allem am Anfang. Ich bin an der ganzen Geschichte gewachsen, gereift. Sie hat mich stark gemacht. Im Herbst 2013, einen Tag vor meinem 18. Geburtstag war die Behandlung abgeschlossen. Und wenn ich heute zurückdenke, sage ich dem Tod nur eines: Fuck you. Du kannst mich mal."

Beate Beyrich aus Eisingen, erkrankte mit 50 Jahren an Brustkrebs. Derzeit ist sie ohne Befund:

"Nein, das kann nicht sein. Ich nicht. Ich werde doch noch gebraucht. Als ich die Diagnose gehört habe, war es, als ob die Zeit stehen geblieben ist. Alles andere war weg. Das Leben um mich herum war verschwunden. Ich kam mir plötzlich so klein vor. Ich habe direkt realisiert, was los ist, was die Diagnose bedeutet. Sofort kamen die Erinnerungen an meine Mutter in mir hoch. Sie ist an Krebs gestorben.

Gesprache mit dem Tod       -  Die Versicherungsfachfrau Beate litt vor 12 Jahren an Brustkrebs, der operativ entfernt werden musste.  Eine Chemotherapie blieb ihr erspart.
| Die Versicherungsfachfrau Beate litt vor 12 Jahren an Brustkrebs, der operativ entfernt werden musste. Eine Chemotherapie blieb ihr erspart.

Die Diagnose erhielt sie, da war sie so alt wie ich damals. Ich wusste also, dass Krebs tödlich enden kann. Der Gedanke war da von Anfang an, aber ich wollte mich davon nicht einschüchtern lassen. Ich wurde wütend, aber nicht auf die Krankheit, sondern auf mich selbst. Darauf, dass ich mich so oft in meinem Leben verbogen habe und nicht besser auf mich gehört habe. Wenn das Immunsystem, die Seele und der Körper nicht im Einklang sind, gibt es eine Schublade, die aufgehen kann. Das war die Ursache für meine Erkrankung. Davon bin ich felsenfest überzeugt.

Denn die Zeit vor der Diagnose war für mich sehr schwierig. Ich wusste weder ein noch aus. In meiner Ehe gab es große Probleme. Ich weiß, dass ich Glück hatte. Der Tumor wurde früh erkannt. Ich brauchte weder Chemo noch Bestrahlung, die Zeit zwischen Diagnose und Heilung dauerte „nur“ einen Monat. Aber diese Wochen im Sommer 2003 waren sehr intensiv. Ich erinnere mich sehr genau an damals. Zum Beispiel an einen Traum, den ich nach der Diagnose hatte.

Ich habe im Krankenhaus in einem Bett gelegen und die Ärzte standen um mich herum. Ich habe gemerkt, wie ich meinen Körper verlassen habe und auf meine leblose Hülle geblickt habe. Aber ich habe entschieden, in meinem Körper, in mein Leben zurückzukehren. Ich habe gesehen, wie ich in die Hülle zurückgegangen bin, und dann bin ich aufgewacht. Ich wollte leben, habe nie aufgegeben. Die Angst vor dem Krebs ist da, auch heute. Im Alltag ist sie winzig klein, aber vor einer Untersuchung wird sie plötzlich riesig.

Aber ich lasse mir von dieser Angst nicht die Lebensfreude nehmen. Der liebe Gott braucht mich noch. Dieser Gedanke ist mein Lebenselixier. Der Tod ist für mich weit weg. So weit, dass ich ihm den Satz, den ich ihm damals gesagt habe, jetzt gar nicht mehr sagen muss: Du kriegst mich nicht!"

 
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